Die Serie «In Treatment» hat auf HBO und in den USA mit einem offenem Ende schon lange das Zeitliche gesegnet. Erst jetzt können auch deutsche Zuschauer mit Pay-TV sich wieder auf die Fernseh- und Therapeutencouch legen.
«In Treatment»-Developer Rodrigo García
Bevor der 1959 geborene Autor und Regisseur die Serie «In Treatment» für HBO entwickelte, arbeitete er für das kolumbianische Fernsehen. Später war er Kameramann bei Filmen wie «Four Rooms», einer Kollaboration zwischen den Regisseuren Quentin Tarantino, Robert Rodriguez, Allison Anders und Alexandre Rockwell. Als Regisseur arbeitete er unter anderem an den Filmen «Nine Lives», «Passengers», «Albert Nobbs» und «Last Days in the Desert». Wir schreiben das Jahr 2008. Wir waren schon fast am Ende von HBOs Monopolstellung, was die hochqualitative, nationale und internationale Serienproduktionen anging. Und der Sender konnte sich scheinbar sogar eine Serie leisten, die zumindest auf dem Papier so aussieht, als sei sie unmöglich zu bewerkstelligen, auszustrahlen und dann noch ein williges Publikum dafür zu finden. Ehemaliger Kameramann, Autor und Regisseur Garcia Rodriguez entwickelte die Adaption einer israelischen Serie namens «BeTipul», die fünf mal pro Woche ausgestrahlt wurde und in jeder Episode jeweils eine Therapiesitzung beim Psychologen Dr. Paul Weston (Gabriel Byrne) beschreibt. Hauptdarsteller Gabriel Byrne gewann einen Golden Globe als bester Schauspieler einer Drama-Serie. Blair Underwood, Melissa George, die unter anderem seine Patienten spielten und Diane Wiest, die Byrnes eigene Therapeutin darstellte, wurden für den Golden Globe und Emmys sowie einige weitere Schauspielerpreise nominiert. Kein Wunder, die Serie besticht zwar nicht unbedingt durch pompöse Regie-Hampeleien, sondern hauptsächlich durch die Schauspieler, die Emotionen und das Leben, was alles mit Erzählungen und den Dialogen dargeboten wird. Jede weniger mutige Serie hätte diese Herangehensweise mit Rückblenden, Traum- oder gar Fantasiesequenzen verwässert, «In Treatment» hält sich von solchen Kaspereien jedoch fern.
Psychologische Aufarbeitung statt ausufender Plot
Es ist schwer, den Inhalt der Episoden zusammenzufassen. Ein Thema oder eine These, welche die einzelnen Staffeln vereint, kann man kaum ausmachen. Vor allem weil es schwer ist, Emotionen und deren komplexe psychologische Aufarbeitung in eine simple Plotbeschreibung zu pressen. Wer jedoch kein Interesse an einer kurzen Patientenhistorie und damit Zusammenfassung der Figuren der ersten beiden Staffeln hat, sollte vielleicht diesen Absatz überspringen. Denn es gibt sicherlich rote Fäden: In der ersten Staffel gesteht die Patientin Laura (Melissa George) Dr. Weston ihre Liebe und der verheiratete Weston muss sich eingestehen, dass er sich vielleicht sogar selbst zu seiner Patientin hingezogen fühlt. Der Navy-Pilot Alex (Blaire Underwood) muss mit einer furchtbaren Tat zurecht kommen, die er im Irakkrieg begangen hat, und sucht nach einem Weg, den Militärdienst wieder aufzunehmen, auch wenn das wahrscheinlich nicht die beste Idee für ihn ist. Teenager Sophie (Mia Wasikowska) hat eine mehr als gespannte Beziehung zu ihren Eltern, eine zweifelhafte Beziehung zu ihrem Gymnastik-Trainer und scheint suizidalen Gedanken zu folgen.
Das Paar Amy (Embeth Davidtz) und Jake (Josh Charles) versucht die kaputte Ehe zu retten. In der zweiten Staffel findet sich eine neue Reihe von Patienten: Eine beruflich erfolgreiche, aber privat erfolglose Anwältin, die schon vor 20 Jahren Dr. Westons Patientin war und ihn nun für ihr verpfuschtes Privatleben verantwortlich macht. Die Architekturstudentin April (Allison Pill), die mit einer Krebsdiagnose umgehen muss. Der 12jährige Oliver (Aaron Shaw), der die Scheidung seiner Eltern zu verdauen hat und von seinen Mitschülern gehänselt und gequält wird. Walter Barnett (John Mahoney), erfolgreicher CEO, der von Panikattacken heimgesucht wird.
Wenn die Serie eine ernüchternde Erkenntnis für Dr. Paul Weston und für den Zuschauer bereithält, dann dass sich nur ein geringer Prozentsatz der Patienten helfen lässt und dass viele auch in Zukunft weiter ihren selbstzerstörerischen Verhaltensmustern folgen werden. Aber auch dass wir alle, ob Patient oder Arzt, mehr oder weniger vom Leben gebrochene Menschen sind, durch welchen Umstand auch immer. Dass wir manche Fehlgriffe in unserem Leben beheben können, vielleicht mit Therapie, vielleicht aber auch ohne Therapie, und dass wir den ein oder anderen Fehler wiederholen werden. Das sind nicht notwendigerweise hoffnungsvolle Aussichten, mit der uns eine Serie wieder ins reale Leben entlässt. Allerdings sind es wahrhaftige Aussagen, die mehr über die emotionalen Unsicherheiten des Lebens preisgeben, als es dem ein oder anderen Zuschauer wahrscheinlich lieb ist.
Intime Gespräche mit bescheidenen Erfolgen
Vielleicht hat es auch mit dieser Art von Erkenntnissen zu tun, dass die Serie „schon“ nach drei Staffeln ihren Abschied nehmen musste. Mit über hundert Episoden kann «In Treatment» allerdings mehr Material aufweisen als so manche andere Serie und sogar HBO-Serie. Sie hat damit vielleicht noch mehr Aussagekraft über den menschlichen Zustand in der heutigen Gesellschaft als viele andere Serien, die um solche oder ähnliche Themen und Punkte herumtanzen, bis das Ergebnis nur noch enttäuschen kann. Was diese Serie so erstaunlich macht, ist die Empathie, welche sie ihren Figuren entgegenbringt. Ganz egal, wie tief die Abgründe sind, die sich auftuen, es wird nicht verurteilt. Es wird geredet, es wird zugehört und bestmöglich nach einer Lösung gesucht, um im Leben irgendwie weiterzumachen. Das mag banal und gefühlsduselig klingen, aber, hey, es geht um eine Serie, die von einem Psychologen und seine Patienten erzählt! Zudem ist es in der Durchführung gleichzeitig tiefgründig und profund. Auf eine emotional ambiguen und unangenehmen Note aufzuhören, fühlt sich für die drei Staffeln, welche sich zuvor präsentiert haben, passender an als ein möglicherweise versöhnlicheres Ende. Auch wenn dieses Ende letztendlich unfreiwillig war.
Es ist schwer, sich vorzustellen, dass «In Treatment» einer dieser sogenannten Water-Cooler-Serien war. Eine Serie, wo sich die Zuschauer am nächsten Tag nach der Ausstrahlung einer besonders ereignisreichen Episode im Büro um einen Wasserspender versammeln, um genau diese Episode mit Enthusiasmus zu diskutieren. Kaum jemand wird zu seinem Kommilitonen, Arbeits- oder Schulkollegen gesagt haben: „Kannst du glauben, was Sophie oder Alex oder Jake und Amy zu ihrem Therapeuten Gabriel Byrne gesagt haben?“ Von einem kommerziellem Standpunkt aus gesehen, mag dies ein Nachteil sein. «In Treatment» wird auch kaum eine popkulturelle Auswirkung haben, wie es «Breaking Bad» oder «Game of Thrones» taten. Auch wird der momentane Verlust der Serie nicht vom High-Brow-Publikum beklagt, wie es z.B. bei «The Wire» oder dem Shakespearian Westerndrama «Deadwood» gerne geschieht. Nach einer «In Treatment»-Wiedervereinigung oder einem TV-Film, der die Story zufriedenstellend abschließt, verlangt wahrscheinlich auch kaum jemand. Die Serie erreichte in ihrer dritten Staffel gerade einmal durchschnittlich 259.000 Zuschauer. Jedoch ist das nicht schlimm. «In Treatment» muss nichts von alledem können und kein Teil eines nationalen oder gar internationalen Diskurses sein, es müssen keine wöchentlichen Viewing Partys um die Serie herum stattfinden, wo sich mehrere Zuschauer und ihre Freunde mit Chips, Cola oder Bier zusammenfinden.
Denn «In Treatment» ist Teil einer viel intimeren Konversation, nämlich der zwischen Serie und jedem individuellem Zuschauer selbst. Dabei ist es nicht einmal unbedingt relevant, dass es sich um fiktionale Figuren oder fiktionale Probleme handelt. Die Emotionen, Ängste, Trauer und Depressionen, die in dieser Serie offen gelegt wurden, kommen nicht aus dem Nichts eines Vakuums. Auch Schauspieler müssen auf ein gewisses Repertoire zurückgreifen, um diese hervor kitzeln zu können. Hier gibt es keine Schießereien, keine CGI-Drachen, keine Vampire, keine Vorstadt-Drogendealer (nicht dass das in irgendeiner Form verwerflich wäre), sondern nur rohe Emotionen und offen gelegte Nerven von vermeintlich gestandenen Erwachsenen, Ehepaaren, Teenagern und Kindern, die aber nicht minder ernst genommen werden. Vielleicht bot «In Treatment» nicht unbedingt große Schauwerte, aber immerhin tolle und große, aber nie überzogene schauspielerische Leistungen von Darstellern, die zwar nicht die bekanntesten sein dürften, die aber dennoch hier die verdiente Chance bekommen, im Rampenlicht zu stehen. Außerdem war es ein durchaus beeindruckender Karrierestart von jungen Darstellern wie z.B. Mia Wasikowska oder Dane DeHaan.
Der lange Weg nach Deutschland
Warum hat es aber so lange gedauert, bis die dritte Staffel der Serie ihren Weg nach Deutschland gefunden hat? Wie so oft bei dieser Art von Serien taten sich deutsche Sender schwer, eine geeignete, passende Sendezeit zu finden. Das spezielle Format von «In Treatment» hat möglicherweise dazu beigetragen. Im Oktober 2008 liefen 15 Episoden der ersten Staffel auf Premiere Serie, welches allerdings später durch den FOX Channel ersetzt wurde. Dort musste die Serie noch einmal im November 2008 von vorne starten, um sie innerhalb von einem Monat immerhin komplett zu versenden. Seinen Weg ins deutsche Free-TV schaffte «In Treatment» allerdings erst im Februar 2010. 3sat nahm es auf sich, die fiktionalen Therapie-Sitzungen zunächst Montags bis Freitags um 21 Uhr zu zeigen.
Diese noch zugänglichere Uhrzeit wurde aus quotentechnischen Gründen verworfen und die Serie nur noch mittwochs um 22 Uhr gezeigt. Eine Sendezeit, die ebenfalls kaum von Erfolgen geprägt war. Dennoch hielt 3sat bewundernswerterweise an dem Konzept fest und strahlte vom Februar bis November 2011 immerhin noch die zweite Staffel aus. Allerdings nur montags und erst um 23.55 Uhr. Auch zu dieser Sendezeit wollten sich verständlicherweise keine Erfolge einstellen, denn kaum jemand wird um diese Uhrzeit die Kraft für gelegentlich emotional auslaugende Zwiegespräche haben. Es ist kein Wunder, dass sich kaum ein Sender danach noch an die ambitionierte Serie mit dem ungewöhnlichen Konzept herantraute. Mittlerweile ist es wahrscheinlich aus quotentechnischer Hinsicht nicht minder riskant, die Serie auszustrahlen, zumal sie wahrscheinlich nicht unbedingt im kollektiven Gedächtnis des deutschen Zuschauers hängen geblieben ist.
Dennoch hat sich Sky Atlantic immerhin für das zahlende Publikum erbarmt, das Format in einer Weise zu zeigen, wie es auch ursprünglich gedacht war: nämlich fünfmal in der Woche. Mit wiederum neuen Patienten: Der 52-jährige Sunil (Irrfan Khan), welcher nach dem Tod seiner Frau wiederwillig zu seinem Sohn, seiner Schwiegertochter und seinen Enkeln gezogen ist. Die erfolgreiche Schauspielerin Francis (Debra Winger), die sich nicht mehr an ihren Text erinnern kann und mit der Krebskrankheit ihrer Schwester zu kämpfen hat. Der verstörte Teenager Jesse (Dane DeHaan), der bei seiner Adoptivfamilie lebt. Und natürlich Dr. Weston selbst, der in eine Identitätskrise stürzt und bei seiner eigenen, neuen Therapeutin Adele (Amy Ryan) Zweifel an seiner Profession und seinem Berufsstand äußert. Für Therapie-Freunde ein Muss!
Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
24.08.2016 15:11 Uhr 1
24.08.2016 17:04 Uhr 2
Schade, das Michelle Forbes, als Byrne's Ex, ab Staffel 2 kaum mehr stattgefunden hat....