Die glorreichen 6: Kleinode der heutigen Science-Fiction (Teil I)
Sechs Filme aus diesem Jahrtausend. Sechs Formen der Science-Fiction. Sie alle haben gemeinsam: Es sind starke Werke abseits großer Hollywood-Franchises. Zum Auftakt: «Der Kreis».
Die Story
Filmfacts «Der Kreis»
Regie und Drehbuch: Aaron Hann, Mario Miscione
Produktion: Justin Bursch, Scott Einbinder, Michael Nardelli, Tim Nardelli, Brent Stiefel
Produktionsjahr: 2015
Originaltitel: «Circle»
Darsteller: Michael Nardelli, Carter Jenkins, Lawrence Kao, Allegra Masters, Julie Benz
Musik: Justin Marshall Elias
Kamera: Zoran Popovic
Schnitt: Tom Campbell
Laufzeit: 86 Minuten
50 Menschen wachen in einem pechschwarzen, minimalistischen Raum auf. Sie alle stehen auf leuchtenden, runden Platten und sind in einem Kreis angeordnet. Ihre Erinnerungen sind verschwommen. Wer sich von einer der Platten entfernt, wird durch eine Laserwaffe getötet. Ruhig stehen bleiben sichert das Überleben allerdings nicht. Denn alle zwei Minuten wird einer der Gefangenen durch den Laser exekutiert. Der Zufallsmechanismus lässt sich jedoch ausschalten: Durch Handbewegungen kann jeder im Raum bestimmen, wer seiner Ansicht nach als nächstes sterben sollte – die Person mit den meisten Stimmen, muss dran glauben. Was nun?
Die Themen
Science-Fiction als Genre lässt sich derart mannigfaltig verwenden, dass es unter Genrefreunden zwangsweise zu Differenzen diesbezüglich kommt, was überhaupt alles in diese Kategorie gehört und was nicht. Auch «Der Kreis» dürfte für manche Science-Fiction-Fanatiker auf der Kippe stehen, da das Langfilmdebüt von Aaron Hann und Mario Miscione nicht etwa über Technologien und ihre Konsequenzen referieret. Viel mehr nutzen sie für ihre Geschichte ein dezent futuristisches Setting, um eine Parabel über die menschlichen Wertevorstellungen zu kreieren: Wie lassen wir uns von Oberflächlichkeiten, Gruppendruck und gesellschaftspolitischen Einstellungen sowie Vorurteilen beeinflussen, wenn wir mit dem Rücken zur sprichwörtlichen Wand stehen?
Die 6 glorreichen Aspekte von «Der Kreis»
Dieses futuristische Kammerspiel ist ein hervorragendes Beispiel für einen Film, bei dem dank seines Konzepts noch mehr im eigenen Kopf geschieht als in der eigentlichen Geschichte. Dadurch, dass Aaron Hann und Mario Miscione ihrem Publikum keinerlei Wissensvorsprung gegenüber den handelnden Figuren vergönnen, versetzen sie es in die Rolle eines stillen Mitinsassen und drängen es dazu, mitzuknobeln: Was sagt mir mein Gefühl – in was für einer Situation befinden wir uns hier eigentlich? Welche Taktik würde ich einschlagen? Wie würde ich bei den jeweiligen Abstimmungsrunden entscheiden? Würde ich mich opfern oder ginge es mir um das bloße Überleben?
Dass dieser Funke, miträtseln und mitphilosophieren zu wollen, bei «Der Kreis» überspringt, und der Film nicht etwa wie die filmgewordene, missratene Ethikschulstunde «The Philosophers – Wer überlebt?» als Zeigefinger erhebendes Lernmaterial daherkommt, liegt auch im cleveren Einsatz des Sci-Fi-Elements begründet. Per se könnte die Grundidee von «Der Kreis» auch in der Gegenwart spielen. Irgendwie ließe sich ein Szenario aufbauen, in dem 50 grundverschiedene Menschen in einem ständigen Wettlauf mit der Zeit entscheiden müssen, wer als nächster den Tod verdient hat – während im Hinterkopf die ständige Frage pocht: „Vielleicht ist das gar nicht die Frage, der wir jetzt nachgehen sollten? Was, wenn es andere Lösungen gibt?“
Solch eine Ausgangssituation plausibel und spannend zu kreieren, würde jedoch viel Erklärungsarbeit verlangen. Dadurch würde sich der narrative Schwerpunkt von den einzelnen moralischen Dilemmata hin zur kuriosen Story 50 Gefangener verlagern, was wiederum das Publikum in einer passiveren Rolle (mit dem Grundgedanken „Na, mal gucken, ob die aus der Lage rauskommen!“) verweilen ließe.
So aber ist «Der Kreis» ein filmischer Cousin des Sidney-Lumet-Klassikers «Die zwölf Geschworenen». Dieser nimmt ein leicht erklärtes, alltäglich-nachvollziehbares Konzept, um das Publikum mit seinen eigenen Wertevorstellungen zu konfrontieren, «Der Kreis» schafft diese Stimmung durch ein ebenso schnell erklärtes, abgefahrenes Konzept, das durch seine fesselnde Simplizität sofort packt. Das Filmkonzept ist schlicht, die Bildästhetik ebenfalls, es gibt somit keinerlei Hürden, um sich in diese Lage hineinzuversetzen – und ab dann wird es knifflig.
Vor allem deshalb, weil sich das für die Regie und das Skript verantwortliche Duo stets darum bemüht, keine klare politische Linie zu fahren. Da wird in Streitgesprächen, die sich zwangsweise unter den Kreis-Insassen entwickeln, mal ein Pastor als besonnen und tolerant gezeichnet, während ein Atheist poltert und hetzt. Doch im nächsten Moment ist es ein arbeitsamer Familienmensch, der die Ellenbogen ausfährt, während eine Frau mit alternativem Familienbild durch ihren kühlen Kopf die Sympathien auf sich zieht. Immer wieder wird zwar die Karte „konservativ gegen liberal“ gezückt, doch nie machen es Hann und Miscione dem Publikum emotional einfach, sollten sie einer Seite aus Prinzip recht geben.
Die Gespräche, die sich zwischen den Gefangenen entwickeln, sind ärgerlicherweise gelegentlich dramaturgisch arg zugespitzt, womit Hann und Miscione dann und wann überdeutlich einen Themenwechsel forcieren. Dessen ungeachtet ist die knackige Dramaturgie ein großer Pluspunkt dieses „Ethikthrillers“: Nach einer raschen „Was geht vor sich?“-Phase schmeißt das Duo sein Publikum direkt von einer Zwickmühle in die nächste, um dann in der zweiten Filmhälfte ein wenig die Vorgehensweise zu ändern: Innerhalb des Kreises bilden sich drei Lager. Zwei Gruppen, die behaupten, die ideale Strategie für den weiteren Prozess gefunden zu haben, buhlen um die Unentschlossenen. Dies bringt rechtzeitig Abwechslung ins Geschehen, der Schluss ist ebenso zügig, und so wickeln Hann und Miscione ihr Konzept in weniger als 90 Minuten ab – lang genug, um Nerven aufzureiben und Fragen aufzuwerfen, doch so zügig, dass es sich nicht überreizt.
Die vornehmlich mit engagierten Laiendarstellern, die bis auf wenige dick auftragende Ausnahmen ihre Arbeit solide bis sehr gut erledigen, besetzte Produktion verzichtet zudem auf billige Twists. Gelegentlich übt sich das Skript in pechschwarzem Humor, doch nie ziehen die Filmemacher dem Publikum den Teppich unter den Füßen weg, nur um einen eiligen Schockeffekt zu erzeugen – dabei gibt es gerade gegen Schluss mehrere Gelegenheiten, einen großen Knall folgen zu lassen. «Der Kreis» endet aber nicht mit einem Ausrufezeichen sowie aus dem Nichts kommenden Erklärungen, sondern mit Fragezeichen – und bleibt sich somit konsequent treu. Das Publikum soll sich anhaltend einen Reim aus dem Gesehenen machen, statt sich nach diesem Suspense-Ritt entspannt zurückzulehnen. Deswegen ist «Der Kreis» schlussendlich sehr wohl genau auf einer Wellenlänge mit vielen großen Sci-Fi-Werken …
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