Die glorreichen 6: Eine filmische Weltreise (Teil V)
Sommerzeit, Reisezeit. Wir stellen sechs Filmmärkte anhand je eines Beispielfilms vor. Heute: «Kon-Tiki» aus Norwegen.
Der Filmmarkt
Filmfacts «Kon-Tiki»
Regie: Joachim Rønning, Espen Sandberg
Produktion: Jeremy Thomas, Aage Aaberge
Darsteller: Pål Sverre Valheim Hagen, Anders Baasmo Christiansen, Tobias Santelmann, Gustaf Skarsgård, Odd-Magnus Williamson, Jakob Oftebro, Agnes Kittelsen
Musik: Johan Söderqvist
Kamera: Geir Hartly Andreassen
Schnitt: Per-Erik Eriksen, Martin Stoltz
Herkunftsland: Norwegen
Erscheinungsjahr: 2012
Nominiert für den Golden Globe sowie den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film
Seit 1907 werden in Norwegen Filme produziert, wobei dieser Kinomarkt seit den späten 1990er-Jahren um ein Vielfaches produktiver geworden ist. Konsequenterweise hat in dieser Zeit die wirtschaftliche Bedeutung der Eigenproduktionen zugelegt – drei der zehn erfolgreichsten Filme der vergangenen 18 Jahre stammen aus Norwegen. Der Einfluss Hollywoods ist in der norwegischen Filmkultur dennoch deutlich spürbar, schon die Vorreiterregisseure Leif Sinding und Tancred Ibsen orientierten sich tonal in der Stummfilmzeit und den 30er-Jahren an den US-Vorbildern – nur, dass sie mit kleineren Budgets handtierten.
In Sachen internationaler Anerkennung hat das norwegische Kino eine interessante Dopplung aufzuweisen: Den ersten Oscar, der nach Norwegen ging, erhielt Thor Heyerdahl für seine Dokumentation «Kon-Tiki» über eine halsbrecherische Floßfahrt. Neben diesem Academy Award aus der Sparte „Beste Dokumentation“ ging zudem ein Kurzfilm-Oscar nach Norwegen, in der Sparte „Bester fremdsprachiger Film“ erhielt Norwegen derweil fünf Nominierungen. Die bisher letzte wurde für die fiktionale Aufarbeitung der in «Kon-Tiki» geschilderten Ereignisse ausgesprochen ...
Die Handlung
Der Ethnograf und Abenteurer Thor Heyerdahl will 1947 eine umstrittene These untermauern: Seiner Ansicht nach wurde Polynesien vor rund 1500 Jahren von Südamerika aus besiedelt – die wissenschaftlich bevorzugte Annahme spricht dagegen von einer Einwanderung mit Ursprung in Asien. Um zu beweisen, dass eine solche Überfahrt zumindest möglich war, setzt sich Thor ein halsbrecherisches Vorhaben in den Kopf: Mit fünf weiteren Männern baut er ein Floß, dass den damals gegebenen handwerklichen Möglichkeiten und Materialien entspricht, und will damit von Peru nach Polynesien fahren. Nach der anstrengenden Beschaffung der nötigen finanziellen Mittel fangen die Probleme für Thor und seine Crew erst richtig an: Nur einer von ihnen hat Erfahrung im Segeln, sie alle kennen sich kaum bis gar nicht und aufgrund einer Vielzahl an Rückschlägen durch natürliche Urgewalten sinkt die Moral an Bord des Floßes von Tag zu Tag. Dass der verbissene Leiter der Expedition außerdem Nichtschwimmer ist und seine Ehe wegen dieser lebensgefährlichen Eskapade auf dem Spiel steht, sorgt für weiteren Unmut auf dem schwimmenden Balsaholz-Haufen, den Thor nach dem Inka-Schöpfergott Kon-Tiki benannt hat ...
Die 6 glorreichen Aspekte von «Kon-Tiki»
Als die Regisseure Joachim Rønning und Espen Sandberg «Kon-Tiki» verwirklichten, stellten sie einen Rekord auf: Ihr Historienfilm war mit Kosten von etwas mehr als 15 Millionen Dollar die teuerste Produktion in der Geschichte ihres Landes. Und dennoch ist «Kon-Tiki», selbst an den Maßstäben des norwegischen Films gemessen, keineswegs eine reine Materialschlacht. Rønning und Sandberg vollführen einen Balanceakt zwischen Bombast und Intimität: Dem hohen Produktionsaufwand und der abenteuerlichen Geschichte steht der thematische Schwerpunkt gegenüber, den «Kon-Tiki» legt. Denn letztlich geht es bei diesem wagemutigen Abenteuer vor allem um die emotionale Befindlichkeiten Heyerdahls – wie macht er sich trotz seiner großen Angst vor dem kühlen Nass und den Verlustängsten seiner Frau gegenüber diese Überfahrt zu einem großen Vergnügen?
Daher ist auch das Spiel des Hauptdarstellers Pål Sverre Valheim Hagen, der den norwegischen Nationalhelden mit einer unerwarteten Unbekümmertheit verkörpert, eine Stütze des Films. Hayerdahl verkommt dabei trotzdem nicht zur Witzfigur oder zu einem völlig weltfremden Spinner. Hagen bringt großes komödiantisches Timing mit, agiert zugleich aber recht trocken, so dass seine Interpretation Hayerdahls für viele Schmunzler sorgt, die allerdings keinesfalls die Verzweiflung vertuschen, die zwischenzeitlich in seinen Augen aufblitzt.
Nicht zuletzt daher stellt «Kon-Tiki» einen faszinierenden Genremix dar: Das Duo Rønning/Sandberg ist ein humorvolles Abenteuer-Drama gelungen, dessen emotionale Stütze allerdings eine melancholische Liebesgeschichte darstellt. Die Übergänge zwischen dem Galgenhumor der Expeditionsteilnehmer, den packenden Actionsequenzen zu hoher See, den argen Streitgesprächen auf dem Floß und Hayerdahls Sorgen über den Stand seiner Ehe sind mal abrupt und mal fließend. Der Tonfall des Films schlägt gewissermaßen Wellen und ist somit gelegentlich rau, doch er wirkt dabei stets natürlich und nie erzwungen. Dies führt dazu, dass «Kon-Tiki» ansprechend altmodisch, aber nicht altbacken wirkt: Rønning/Sandberg setzen auf die überhöhten Gefühle des alten Hollywoods, geben ihrem Film dabei allerdings eine malerische Optik mit gegenwärtigem Bombast.
Überhaupt ist die Bildsprache von «Kon-Tiki» unvergesslich: Zusammen mit Kameramann Geir Hartly Andreassen schaffen die Regisseure poetische Aufnahmen der widerspenstigen Natur, die angesichts der kontrastreichen Farbästhetik fast schon andersweltlich wirken. Umso realer und nervenaufreibender fällt das Sounddesign aus, welches das Publikum mitten auf das Floß versetzt und dem lauten, unruhigen Ozean einen sehr einschüchternden Klang und so die naturbedingten Gefahren, denen die Forscher begegnen, immensen Nachdruck verleiht.
«Kon-Tiki» ist auf DVD und Blu-ray erhältlich und zudem via Amazon, Netflix, Maxdome, iTunes, Wuaki und Google Play zu streamen.
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