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Die Kritiker: «Herr Lenz reist in den Frühling»

Dass Spießer nicht zwangsläufig komplett verachtenswerte Verlierer sein müssen, sondern lediglich einen großen Tritt in den Allerwertesten brauchen, zeigt diese wunderbare Tragikomödie, die zwar gelegentlich etwas zu sehr auf plumpe Verbalmetaphorik setzt, ansonsten aber das Herz am rechten Fleck hat und zudem überaus attraktiv anzuschauen ist – es ist selten, dass ein Fernsehfilm so schicke Bildern präsentiert.

Cast und Crew «Herr Lenz reist in den Frühling»

  • Regie: Andreas Kleinert
  • Darsteller: Ulrich Tukur, Steffi Kühnert, Simon Jensen, Peter Franke
  • Drehbuch: Karl-Heinz Käfer
  • Kamera: Johann Feindt
  • Schnitt: Gisela Zick
  • Szenenbild: Myrna Drews
Holger Lenz (Ulrich Tukur) ist die leibhaftige Verkörperung des Wortes „Spießer“: Seine kleine Welt besteht aus den vier Eigenheim-Wänden (das er mit einem ausgesprochenen Sicherheitstick zur Festung ausgebaut hat) und dem grauen Büroalltag in einer Lebensversicherung. Doch die starre, aber auch schön überschaubare Existenz gerät ins Wanken: Bei der eigentlich lang verdienten Beförderung muss er dank einem jüngeren Kollegen zurückstecken, seine Frau Illona (Steffi Kühnert) ist unzufrieden, denn der Mann, der einst die Welt erobern wollte, sitzt jetzt lieber vor dem PC und surft nach Sicherheits-Tipps und sein schwuler Sohn Julius hasst ihn, was sich ihn bösartige Internetvideos über seinen Erzeuger manifestiert. Selbst der Hund scheint keinerlei Respekt mehr zu haben – dabei wollte Herr Lenz doch immer nur alles richtig machen!

Auf in die große Welt!


Endgültig gerät seine Welt aus den Fugen als eines Tages plötzlich ein alter Spanier im Büro aufkreuzt und Lenz die Asche seine Vaters in einer Waschmittelflasche überbringt. Dieser hatte die letzten zwei Jahrzehnte in Thailand verbracht, denn der Hardcore-Sozialist hatte die Wiedervereinigung nicht verkraftet und sich eine neue Existenz aufgebaut, in der für Sohnemann kein Platz mehr war. Nun soll der so schmählich in Stich Gelassene sein Appartement in Pattaya kriegen. Um es gewinnbringend zu verkaufen macht sich der an Vertrautheit und Überblick gewohnte Mann ins ferne, fremde und chaotische Thailand auf. Eine Reise, von der er natürlich als ein anderer Mensch wiederkehren wird….

Kleiner Mann – was nun?


«Herr Lenz reist in den Frühling» behandelt ein ganz klassisches Thema, dass sowohl im Film als auch in der Literatur schon viele Male durchgekaut wurde: Der Herbst des Lebens. Die einstmals gesetzten Ziele (Beruf, Eigenheim, Auto, Familie) sind mehr oder weniger erreicht - was kommt jetzt? Lenz steht vor diesem Eckpunkt in seinem Leben, er hat es nur noch nicht so ganz realisiert, zu sehr hat er sich in die Routine des wenig aufregenden, aber auch bequemen Alltag geflüchtet, der wachsende Unzufriedenheit seiner Frau, die im Gegensatz zu ihm noch Wünsche hat, steht er mit Befremden gegenüber, zu seinem schrill gewandeten Sohn, der zudem noch auf Männer steht, findet er nicht den geringsten Zugang. Lenz hat sein Leben lang – ganz im Gegensatz zu seinem Vater, der für Julius zwar ein antibürgerlicher Held, für ihn aber nur ein peinvolles Element aus seiner Vergangenheit ist – gesellschaftlich oktroyierte Ideale verfolgt, die Lebensglück versprachen, aber letztendlich ins Nichts führen, dennoch hält er dran fest, denn er hat nichts anderes.

Eine Reise der Erkenntnis


Autor Karl Heinz-Käfer nutzt diese Ausgangslage für eine Art Pilgerfahrt, dass der „alte Mann“ dabei nach Thailand fährt, lässt natürlich Erwartungen auf klassische Altmänner-Erotik-Abenteuer hochkommen, das wird vom Drehbuch allerdings mit geschickten Wendungen umschifft – auch Lenz ist natürlich nicht immun gegen die Reize blutjunger asiatischer Schönheiten, muss für dieses Verlangen aber auch entsprechend bezahlen: Die Begegnung mit einer geheimnisvollen jungen Frau wird sein Leben auf eine Weise verändern, die wohl auch die Zuschauer kaum voraussehen werden.

Allerdings ist spätestens nach dieser zentralen Szene (etwa zur Mitte des Films) klar, wohin der Film einen seiner zwei-drei Diskurse trägt, was anderseits aber auch nicht schlimm ist, denn «Herr Lenz reist in den Frühling» ist trotzdem weit entfernt von einem Lehrstück, die Macher setzten hier eher auf angenehmes Understatement und bleiben auch bei einer weiteren überraschenden Entwicklung angenehm auf den Boden – der Film untergräbt wie auch immer geartete Aussteigerträume auf wohlüberlegte Weise und macht auch klar, dass der Weg von Lenz nicht zwangsläufig der Falsche war.

Nicht immer stilsicher…


Etwas weniger dezent gibt man sich aber bei manchen Dialogen zwischen den beiden Eheleute: So beschreibt Lenz die Beziehung zu seinem Vater mit „Die Mauer war weg, aber zwischen uns beiden war Beton!“ Und natürlich hat Lenz seine Frau beim Pink-Floyd-Konzert in Berlin 1990 kennengelernt: „„The Wall“ – alle Mauern einreißen war damals die Devise. Und heute? Unser Haus ist besser bewacht als der antifaschistische Schutzwall“ - hier wird der ansonsten recht subtile Weg doch deutlich verlassen.

Das sind aber nur kleine Kratzer auf der Glasplatte, die durch den cleveren und angenehm ungezwungenen Einsatz moderner Medien wieder rauspoliert werden, mit denen auf unterhaltsame Art und Weise die Entfremdung der Familie illustriert wird: So fällt Lenz zum Beispiel erst beim Video-Chat (wieder) auf, wie hübsch seine Frau doch eigentlich ist und die vor Sarkasmus triefenden Videos seine Sohns („Aus dem Tagebuch eines homophoben Spießers“) könnten die Sprachlosigkeit zwischen den Beiden kaum besser auf den Punkt bringen.

Auch wenn Andreas Kleinerts Film nicht ganz frei von Holprigkeiten ist: Man begleitet Herr Lenz doch ausgesprochen gerne auf seiner Reise, der Film ist gut gemacht und hat das Herz am rechten Fleck, ganz so wie seine Hauptfigur.

«Herr Lenz reist in den Frühling» ist am Mittwoch, den 20. Juli 2016, ab 20.15 Uhr in der ARD zu sehen.
19.07.2016 12:14 Uhr Kurz-URL: qmde.de/86912
Thorsten Hanisch

super
schade


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Herr Lenz reist in den Frühling

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