Am vergangenen Sonntag feierte Thomas Gottschalk seine Rückkehr in die Welt der großen Live-Show. Katerstimmung herrschte dann am Montag, mit Bekanntwerden der Einschaltquoten. Kein Grund, jetzt schon aufzugeben - meint unser Redakteur.
Lieber Herr Hoffmann,
mit «Mensch Gottschalk» haben Sie vor gut einer Woche ein Format auf dem Sonntagabend präsentiert, das man durchaus als Experiment bezeichnen kann. Eine fast vierstündige Live-Show mit einem in die Jahre gekommenen Moderator, einem weit gefächertem Themenmix von Terror und Krebs über neue Technologien bis hin zu «Let´s Dance» und Hundedressur sowie einem sehr gediegenen, fast klassisch öffentlich-rechtlichen Ablauf - und das alles in direkter Konkurrenz zum «Tatort» und bei (zumindest in manchen Regionen Deutschlands) bestem Sommerwetter.
Das Ergebnis ist bekannt. Schaut man rein auf die Sendungen, die ab 20.15 Uhr liefen, gewann der «Tatort» im Ersten (8,10 Millionen) vor «Ein Sommer in Amsterdam» im ZDF (3,77 Millionen), «Planet der Affen: Revolution» bei ProSieben (2,54 Millionen), «Navy CIS» bei Sat.1 (2,30 Millionen) sowie «Grill den Henssler» bei VOX (2,15 Millionen) - erst dann folgte auf Platz 6 «Mensch Gottschalk» mit 2,09 Millionen bei RTL.
Ein Debakel. Ein Untergang. Zurückhaltend war die Presse im Umgang mit diesem Ergebnis sicher nicht.
Doch gibt es eben auch noch eine andere Seite – Gottschalks Show war fast vier Stunden lang. Die Vergleichsformate liefen alle zwischen einer und drei Stunden. Danach waren alle anderen Sender gezwungen, ihr Programm bis Mitternacht im Rahmen von einer bis drei Stunden mit anderen Formaten zu füllen – warum nehmen wir also nicht einfach die gesamte Laufzeit als Vergleichsbasis? Hier zeigt sich direkt ein anderes Bild: Plötzlich führt das Erste zwar immer noch, kommt aber nur noch auf 4,81 Millionen. Dahinter platziert sich das ZDF mit 3,28 Millionen. Und Überraschung: Auf Platz 3 landet RTL mit «Mensch Gottschalk» (2,09 Millionen). Die weiteren Plätze gehen dann an ProSieben (1,92 Millionen), VOX (1,87 Millionen) und Sat.1 (1,74 Millionen).
Ergebnis dieser Sichtweise: Ein hart umkämpfter Slot, bei dem alle ihre Probleme hatten und sich das Publikum ziemlich breit aufteilte. Versieht man das Ganze mit einem positiven Dreh, könnte man auch sagen: Die Show hat sich zum Auftakt zumindest dort platziert, wo RTL zur Zeit auch bei den Marktanteilen insgesamt steht – hinter ARD und ZDF und vor allen anderen.
Doch muss man abseits dieser Rechenspiele natürlich noch eines ganz realistisch festhalten: «Mensch Gottschalk» verfehlte mit 7,9 Prozent bei allen und 9,5 Prozent in der Zielgruppe gleich doppelt und eindeutig den eigenen Senderschnitt (Mai 2016: 9,8 % bei allen, 12,4% in der Zielgruppe). Das galt jedoch leider an diesem Tag bei den Umworbenen auch für fast alle anderen Sendung auf RTL – einzige prominente Ausnahme: «RTL Aktuell». Auch beim Gesamtpublikum sah es wenig besser aus – hier mühten sich zwar mehrere Formate über den Senderschnitt, wirklich rosige Ergebnisse waren aber nicht dabei.
Auch ist es nicht so, dass RTL in der Vergangenheit sonntags gänzlich anders hatte auftreten können – egal ob mit den Filmen «Rubbeldiekatz», «Thor», «Wall-E» oder James Bond persönlich – der 20.15 Uhr-Slot war zuletzt durchweg problematisch und führte regelmäßig unter den Sendeschnitt.
Eine Show wie «Mensch Gottschalk» hier zu platzieren, war also durchaus ein Wagnis – und das möchte ich gar nicht negativ verstanden wissen. Sie, Herr Hoffmann, haben versucht, einen kriselnden Slot vollkommen anders zu bestücken – Sie haben dabei sogar die althergebrachte Fernsehkonvention der großen Samstagabendshow ignoriert und sind die Sache einfach mal ganz anders angegangen - ein Scheitern war sicherlich - zumindest im Ansatz - einkalkuliert.
Steckbrief
Björn Sülter ist bei Quotenmeter seit 2015 zuständig für
Rezensionen,
Interviews &
Schwerpunkte. Zudem lieferte er die Kolumne
Sülters Sendepause und schrieb für
Die Experten und
Der Sportcheck.
Der Autor, Journalist, Podcaster, Moderator und Hörbuchsprecher ist Fachmann in Sachen
Star Trek und schreibt seit 25 Jahren über das langlebige Franchise. Für sein Buch
Es lebe Star Trek gewann er 2019 den
Deutschen Phantastik Preis.
Er ist Headwriter & Experte bei
SYFY sowie freier Mitarbeiter bei
Serienjunkies, der GEEK! und dem FedCon Insider und Chefredakteur des Printmagazins
TV-Klassiker und des
Corona Magazine.
Seine Homepage erreicht ihr
hier, seine Veröffentlichungen als Autor auf seiner
Autorenseite.
Im Lichte dieser Überlegungen ist die Frage nach der Qualität und Relevanz des Ganzen vielleicht sogar wichtiger als der simple Blick auf die Welt der Zahlen. Natürlich war das Medienecho gespalten – einige Kollegen der schreibenden Zunft nutzten die Gunst der Stunde, Altmeister Gottschalk teilweise unflätig abzustrafen und auf eine seit Jahren gern zitierte, klischeehafte Betrachtung zu reduzieren. In Deutschland, dem Land der Mecker- und Motzköpfe, ist es eine Auslebung des Zeitgeistes, alles was bei 3 nicht auf den Bäumen ist, in Grund und Boden zu schreiben.
Doch gab es eben auch ganz andere Stimmen – verfolgte man zum Beispiel die Twitter-Reaktionen (#MenschGottschalk) während der Show, konnte man einen durchaus positiven Eindruck in Sachen Rezeption gewinnen. Auch trauten sich einige andere Kollegen tatsächlich an lobende oder zumindest lösungsorientierte Rezensionen.
Unsere Leser stimmten seit einer Woche ebenfalls im Rahmen einer Umfrage ab – rund 60% gaben der Show eine gute bis sehr gute Wertung, 20% gaben an, sie nicht gesehen zu haben, die restlichen 20% fällten ihr Urteil im Bereich Mittelmaß bis schlecht – Nur ein kleiner Ausriss, aber dennoch kein unerfreuliches Ergebnis, oder?
Und wirklich – vieles wurde richtig gemacht. Thomas Gottschalk präsentierte sich spritzig und motiviert wie lange nicht, sein Humor zündete größtenteils, die Einspielfilme (produziert von SpiegelTV) zeigten hohe journalistische Qualität und die Gäste boten interessante und der zur Verfügung stehenden Zeit angemessene Einblicke in die jeweiligen Themen. Hinzu kamen ein gemütliches, überschaubares Studio, ein angenehmer Flow und ausreichend Abwechslung.
Doch selbstverständlich muss eine differenzierte Sichtweise auch immer den Ansatz der Fehlersuche beinhalten. Damit soll jedoch nicht der globale „alles muss jetzt anders“-Ansatz proklamiert werden – es geht eher um Feintuning, um das Gesicht zu erhalten, in Nuancen aber Verbesserungen herbeizuführen.
Punkt 1
Die Show ist für den Sonntagabend zu lang – belässt man sie dort, sollte sie auf eine Laufzeit bis 23.00 Uhr gekürzt werden.
Punkt 2
Eine Kürzung der Laufzeit führt zum zweiten Punkt: Weniger Themen. Dabei ist es zuerst einmal interessant, sich den Sinn der Show vor Augen zu führen. Es handelt sich hier nicht um einen Jahresrückblick, aber auch nicht um eine wöchentliche Show. Somit sind Themen wie das Finale von «Let´s Dance» oder die Unwetter in Süddeutschland nicht zwingend erforderlich – diese eignen sich für ein regelmäßigeres Format wie «SternTV» besser. Die Halbwertszeit der Themen sollte also klar an den Ausstrahlungsrhythmus angepasst werden. Pendelt man sich am Ende bei 2/3 des Auftaktvolumens ein, ist das immer noch ausreichend Stoff.
Punkt 3
Die Musik-Acts waren gut – dürften jedoch gerne moderner werden. Hat man dann noch einen Act wie
Mark Forster im Portfolio, sollte man diesen nicht um Mitternacht versenden und die sich selbst seit Jahren wiederholenden
Pet Shop Boys prominent auf den ersten Slot des Abends setzen – hier darf ebenfalls konstruktiv gefeilt werden.
Mit diesen eher dezenten Eingriffen sollte man die zweite Show angehen – und abwarten, was passiert. Ein Format, das vom Start weg funktioniert, ist sicherlich immer erstrebenswert – man darf aber auch gerne mal den anderen, steinigen Weg gehen und etwas, an das man glaubt, behutsam aufbauen und wachsen lassen.
«Mensch Gottschalk» deckt einen Bereich im deutschen Fernsehen ab, der alleine schon aufgrund der Qualität des Gastgebers aktuell vakant ist. Hier nach einem holprigen Start direkt wieder den Stecker zu ziehen, widerspricht dem Mut für den RTL früher so oft stand und Sie Herr Hoffmann besonders in Ihrer Zeit bei VOX lange standen. Oder etwas blumiger ausgedrückt: Es ist an der Zeit für Cojones. Qualität setzt sich am Ende immer durch - und vielleicht zahlt sich somit ein langer Atem letztlich auch hier aus.
Es gibt 6 Kommentare zum Artikel
11.06.2016 20:58 Uhr 4
14.06.2016 09:08 Uhr 5
15.06.2016 01:06 Uhr 6
Nostalgiger kommen bei Mensch Gottschalk voll auf ihre Kosten. Wer in den 80 Jahren stehen geblieben ist, wer sich zurücksehnt nach gemütlichen Fernsehabenden wird gern mit Gottschalk warten wollen bis das Leben endlich vorbei ist.
Wem Stern TV zu modern ist kann seinen Sonntagabend gern bei RTL verschlafen.
Die werberelevanten Zuschauer werden diese Sendung nie bewusst anschauen sondern nur aus versehen in der Werbepause eines Films auf Pro 7, RTL2 etc. mal kurz rein zappen, was die Statistik verfälscht jedoch keine wirklichen Zuschauer der Sendung sind.
RTL hat keine einzige Sendung von Relevanz! WWM wird nur aus Gewohnheit geschaut um zu sehen wie ein unbegabter Moderator alles falsch macht und trotzdem von allen toll gefunden wird.
Quote machen teuer eingekaufte Sportereignisse (Fußball, Boxen) und das jährliche, sich bald totlaufende, Dschungelcamp, ein paar wenige überteuerte Spielfilme und der Glaube, dass die Sendungen die bei Senderstart alle so innovativ, zuschauerbinden waren, doch nach 20 Jahren nicht auf einmal niemand mehr sehen will oder kann.
Durch immer mehr Spartensendern versucht RTL wenigstens als RTL-Gruppe noch Marktanteilsrelvant (Werberelevant) zu sein. Was dazu beiträgt das von fiktionale Formate die dort permanent abgenudelt werden auch neu produzierte Episoden kein Schwein mehr interessieren.
Für Deutschland wäre es schön, wenn nicht nur die HD-Sat und DVBT-Wege der RTL Sender nur noch gegen Bezahlung zu sehen wären, sonder alle Verbreitungswege nur noch gegen regelmäßige "Gebühren" zu empfangen sind. Damit niemand versehentlich im Retro-TV zurück in die Vergangenheit geschleudert wird und dort unnötig kostbare Lebenszeit verschwendet. Ein paar wird es immer geben die gern mit Gottschalk darauf warten bis das Ende kommt, welches bei Gottschalk auch recht teuer werden kann (Gottschalk Live).