Holy Shit! Die neue AMC-Serie «Preacher» lässt in bester Seth-Rogen-Manier Köpfe rollen und Priester explodieren. Darauf ein Hallelujah!
Cast & Crew
- Produktion: Seth Rogen, Evan Goldberg
- Schöpfer: Sam Catlin, Seth Rogen, Evan Goldberg
- Darsteller: Dominic Cooper, Joseph Gilgun, Ruth Negga, Lucy Griffith, W. Earl Brown, Tom Brooke, Ian Colletti, Derek Wilson
- Musik: Dave Porter
- Kamera: John Grillo, Bill Pope
- Genre: Komödie/Action/Fantasy
- Staffel 1: 10 Folgen à 60 Minuten
- OT: Preacher (USA 2016)
Der gut aussehende Texaner Jesse Custer (Dominic Cooper) hat es nicht leicht. Nach der schmerzhaften Trennung von seiner Freundin Tulip (Ruth Negga) sucht er sein Glück an einer kleinen Kirche in der Provinz, wo er sich mehr schlecht als recht jeden Sonntag an tiefschürfenden Predigten versucht. Zur selben Zeit werden Prediger quer durch die USA von einer mysteriösen Kreatur heimgesucht, die ihnen zunächst übernatürliche Kräfte verleiht und anschließend auf qualvolle Art und Weise den Tod bringt. Eines Tages wird auch Jesse zum Opfer ebenjenes Wesens, das ihn dazu bringt, einen gefährlichen Einfluss auf seine Mitmenschen auszuüben. Alles, was Jesse ihnen befiehlt, führen diese sogleich aus – und das nicht immer nur im übertragenden, sondern manchmal auch im schrecklich wörtlichen Sinne. Gemeinsam mit dem irischen Vampir Cassidy (Joe Gilgun) und seiner Ex Tulip macht sich Jesse auf die Suche nach Gott und versucht herauszufinden, was hinter diesen merkwürdigen Vorkommnissen steckt.
Köpfe werden explodieren!
Vom Duo Goldberg-Rogen ist man zwar immer eine gewisse Derbheit gewohnt, doch besonders blutig ging es bei den Verantwortlichen von «Das ist das Ende», «Bad Neighbors 1 und 2», «Die highligen drei Könige» und «The Interview» noch nie zu. Was die beiden trotzdem zur idealen Besetzung des Produzentenpostens bei «Preacher» macht, ist der unbedingte Wille zum Exzess, die fehlende Scheu, moralische Grenzen zu überschreiten und – natürlich – auch ihr von tiefschwarz bis kindisch-albern reichender Sinn für Humor. Insofern fällt einem auf den ersten Blick auch Niemand so wirklich ein, von dem man sich vorstellen könnte, dass er sich direkt in der Pilotepisode eines neuen TV-Formats trauen würde, Hollywoodstar Tom Cruise in die Luft zu sprengen. Doch spätestens, wenn die Eilmeldung zu ebenjenem Super-GAU über die Fernsehbildschirme in «Preacher» flimmert, ist klar: Hier wird es ohne Rücksicht auf Verluste ordentlich zur Sache gehen. Da explodieren Köpfe, ein alter Mann schneidet sich für seine senile Mutter das Herz heraus, um es ihr – buchstäblich – „zu öffnen“ und ein Blutsauger verspeist vor laufender Kamera eine (natürlich noch lebende) Kuh.
Das ist nicht etwa der Inhalt einer ganzen Staffel. Nein, all das passiert in «Preacher» innerhalb der Pilotepisode. Die Serie basiert auf der gleichnamigen Comicreihe und gehört Liebhabern zufolge zu den verrücktesten Franchises überhaupt innerhalb des DC-Universums. Und tatsächlich: Schaut man sich die Entwicklung an, die der direkte Marvel-Konkurrent in den vergangenen Jahren sowohl auf der Kino-Leinwand, als auch im Fernsehen durchlief, dann lässt sich «Preacher» da nur schwer einordnen. Im Vergleich zu Christopher Nolans «The Dark Knight»-Trilogie, den Eskapaden, die Zack Snyder mit seinem «Man of Steel» bisher anstellte, oder den Serienabenteuern von «Arrow» und «Gotham» ist die Weltsicht in «Preacher» zwar nicht sonderlich optimistischer. Doch anders als die zurate gezogenen Beispiele geht dem neuesten Schrei aus dem Hause DC die depressiv-melancholische Atmosphäre seiner indirekten Vorgänger ab. Dies mag zum einen daran liegen, dass Seth Rogen und Evan Goldberg das Format nicht bloß produzieren, sondern bei der ersten Folge sogar direkt die Regie übernommen haben. Es ist vor allem der Schreibstil Sam Catlins, dessen Gespür dafür, auch in den düstersten Facetten des Lebens im Detail so etwas wie Komik zu erkennen, hier immer wieder durchscheint; nicht umsonst zeichnete er für einen Großteil der Folgen des Sensationserfolges «Breaking Bad» verantwortlich. Darüber hinaus wurde mit Michael Slovis ein weiteres Mitglied der Walter-White-Family verpflichtet. Der Inszenator mehrerer «Breaking Bad»-Episoden führte auch bei «Preacher» Regie.
Das «Breaking Bad» unter den Comicserien
«Preacher» und «Breaking Bad» ähneln sich allerdings nicht nur in ihrem Verständnis für Galgenhumor. Auch bei der Zeichnung der Hauptfigur sind Parallelen erkennbar. Wie schon der krebskranke Drogenkoch Walter White ist auch Jesse Custer eine vom Schicksal gebeutelte Person, dessen Handeln von Anfang an sowohl kritisch, als auch bewundernd verfolgt werden kann. Wenn Jesse in seinen Predigten mit sichtbar fehlendem Enthusiasmus zu Werke tritt und er die wenigen verbliebenen Gläubigen ein weiteres Mal herb enttäuscht, ergänzt sich diese Attitüde mit dem generellen Desinteresse, das er seinem Umfeld entgegen bringt. Nein, Jesse ist kein Typ, den man gern um sich hat; als Gläubiger erst recht nicht. Doch mit der Zeit offenbaren sich nicht bloß Teile seiner Vergangenheit, die ihn hier und da in einem äußerst tragischen Licht erscheinen lassen. Insbesondere wenn durchscheint, dass Jesse doch im Kern einer von den Guten ist, moralisch vertretbare Ansichten hat und im Glauben so etwas wie Erlösung findet, erschließt sich dem Zuschauer auch rasch die Faszination für die Figur. Dominic Cooper («Abraham Lincoln: Vampirjäger») meistert diesen Spagat hervorragend, hat stets einen coolen Spruch auf den Lippen und vereint die unnahbare, bisweilen schwer zu durchschauende Seite seines Charakters mühelos mit dem charmant-süffisanten Gegenpart.
Schon in den von uns bislang gesichteten zwei Auftaktfolgen schlägt «Preacher» nicht nur ein hohes Tempo an. Auch der Gewalt- und Goregehalt pendelt sich recht schnell auf einem beachtlichen Level ein. Anders als etwa die Serienvariante von «From Dusk Till Dawn» wird das jedoch nicht sogleich zum Selbstläufer; wann immer in «Preacher» Blut spritzt, wird dieser Umstand regelrecht zelebriert. Mit Voyeurismus hat das nichts zu tun, wohl aber mit Kreativität. Seth Rogen und Evan Goldberg machen keine Gefangenen, wenn es darum geht, dem Publikum ein möglichst vielfältiges Maß an Verletzungen, Todesarten et cetera darzubieten. Vielmehr gehen die beiden mit einer fast schon kindischen Naivität ans Werk, wenn es darum geht, Charakter um Charakter nieder zu meucheln. Hartgesottene werden damit sicherlich keinerlei Probleme haben, im Gegenteil. Durch die handgemachten Effekte behält «Preacher» durchgehend einen herrlich altmodischen Retro-Charme bei. Wer hingegen zarter besaitet ist, könnte sich an den hier und da empor steigenden Blutfontänen stören. Vor allem deshalb, weil diese zumeist unvorbereitet eintreten und es nahezu unmöglich ist, vorherzusehen, wann es zur nächsten kommen wird.
Heilige Sch***e!
All diese gelungenen Aspekte sind in der Lage, kleinere Schwachpunkte im Rahmen des Auftaktes auszugleichen. Wo der einen Figur zur Einführung eine spektakuläre Actionsequenz über den Wolken vergönnt ist, müssen andere sich mit wenigen Sätzen begnügen, die uns den Charakter zu Beginn nur wenig nahe bringen, was sich in den kommenden Episoden sicherlich ändern kann und wird. Auch die Anzahl der Figuren sowie diverse Wechsel der Settings sorgen anfangs noch für Verwirrung und hemmen ein wenig den Genuss, der dem Versuch weichen muss, bei all den vielen Geschehnissen überhaupt erst einmal einen Überblick über die Prämisse zu bekommen. Trotz seiner stolzen Lauflänge von über einer Stunde scheint der Pilotfilm immer noch viel zu kurz geraten zu sein. Die zweite Folge «See» wirkt hingegen übersichtlicher und geordneter, was dem Feeling für kecke Anarchie jedoch nicht im Wege steht. «Preacher» ist – salopp formuliert – der brandheiße Scheiß des aktuellen Serienfernsehens. Konsequent, blutig, wahnsinnig komisch und unberechenbar. Hallelujah – wir wollen mehr!
Amazon Prime veröffentlicht jeden Montag eine neue von insgesamt zehn Folgen von «Preacher» in OV und deutscher Sprache.
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