Eine Sache ist im deutschen TV sonnenklar – funktioniert eine neue Idee, muss jeder sie sofort kopieren. Hatte ProSieben just mit «Musicshake» eine böse Bruchlandung hingelegt, ist es nun sogar Vox selber, das seinem eigenen «Sing meinen Song»-Erfolg nacheifert. Ob das klappt?
Zündende Idee
Vox hatte in den vergangenen Jahren definitiv die eine oder andere kreative Idee zu bieten, die sich dann auch erfreulicherweise sogar als Publikumsrenner herausstellte – mit Formaten wie «Die Höhle der Löwen» oder «Sing meinen Song – Das Tauschkonzert» schuf man Marken, die nun bereits seit Jahren funktionieren und naturgemäß auch Nachahmer auf den Plan rufen.
So ging in der vergangenen Woche Rea Garvey (bekannt als Solosänger und Ex-Frontmann von
Reamonn sowie Jurymitglied von «The Voice of Germany») mit seinem neuen Format «Musicshake» auf Sendung – und erlitt Schiffbruch. Nur 980.000 Zuschauer (schwache 5,8%) verirrten sich in das zwar unterhaltsame, aber auch uninspiriert-unspektakuläre Musikspektakel. Ob es nach diesem Auftakt überhaupt weitergeht, ist mehr als ungewiss.
Zweitverwertung
Doch soll man sich vom Scheitern der anderen ja bekanntlich nicht entmutigen lassen. So möchte nun also auch Vox selber ein weiteres Stück des musikalischen TV-Kuchens für sich beanspruchen und schickt den sympathisch-kauzigen Daniel Wirtz, der bereits in der zweiten Staffel von «Sing meinen Song» mit von der Partie war, in ein eigenes Show-Abenteuer.
Dabei ist Wirtz im Kontrast zu Garvey oder auch Xavier Naidoo eher ein Host mit geringem Glamourfaktor – der ehemalige Sänger der Band
Sub7even und heutige Solokünstler konnte zwar seine letzten beiden Alben in den deutschen Top10 platzieren und gilt als geschätzter und appealbehafteter Musiker, ist aber in Sachen Airplay und kommerzieller Auswertung bisher eher weniger in Erscheinung getreten. Dafür verkörpert er jedoch zu 100% das Bild eines typischen und vollkommen authentischen Rockmusikers, was ihn wiederum angenehm von der Stromlinienförmigkeit eines Naidoo abhebt. Mut seitens Vox, den man durchaus wertschätzen sollte.
Der durchaus liebenswerte, wenn auch etwas verquere Titel «One Night Song – Blind Date im Wirtz-Haus» spielt auf charmante Weise mit dem überschaubaren Konzept: Wirtz wartet in einer abgelegenen Hütte in den österreichischen Alpen auf einen Überraschungsgast, von dem er vorab nur die Titel dreier Lieblingssongs verraten bekommt. Er und sein Gast verbringen dann eine musikalische Nacht miteinander und sollen neben dem persönlichen Kennenlernen und Gedankenaustausch einen dieser Songs gemeinsam neu interpretieren und am nächsten Morgen bei einem außergewöhnlichen Konzert den wartenden Fans präsentieren. So weit, so schräg.
Sympathen unter sich
Doch was zählt ist eben immer
aufm Platz (oder
on stage) - so ging man zumindest beim Gast erstmal auf Nummer sicher und setzte seitens der Produktion ganz auf den Sympathiefaktor: Neben Wirtz wählte man
Volks-Rock'n'Roller Andreas Gabalier, der ebenfalls bei «Sing meinen Song» sehr positiv auf sich aufmerksam hatte machen können – allerdings bereits im ersten Jahr der Show.
Gabalier hatte seine Karriere 2009 im Musikantenstadl begonnen und seitdem drei Nummer-1-Alben in Österreich an den Start gebracht. In Deutschland reichte es auch zu veritablen Erfolgen, jedoch gelang ihm hierzulande erst mit dem 2015 erschienenen
Mountain Man der Sprung auf Platz 1. Fünf seiner Alben haben Gold- oder Platin-Status erreicht,
I sing a Lied für di und
Amoi seg’ ma uns wieder gelten als seine größten Single-Hits. Seit 1975 hat kein Künstler in Deutschland so viele Einheiten eines Songs im Bereich Schlager oder volkstümliche Musik verkauft.
Dass Gabalier sich zudem in diversen Interviews und Shows als ein äußerst gewitzter, schlagfertiger und nachdenklicher Gesprächspartner gezeigt hatte, konnte Wirtz und seiner Auftaktsendung nur helfen.
Meet, Greet & Jam
Bühne frei für die Gladiatoren des Abends: Zuerst präsentierte man uns die natürlich absolut gegensätzlich inszenierten Hauptdarsteller - hier der coole, etwas derbe, aber total authentische Wirtz, da der nicht minder coole, aber volksnähere Schlagercowboy. Zumindest die Vorauswahl der Künstler seitens Gabalier sorgte direkt für Freude beim Gastgeber:
Nirvana,
Rolling Stones und als Quotenschock
Die sieben Raben - für den Alternative-Rocker bahnte sich aber eventuell ein Heimspiel an.
Auch das erste Treffen sorgte nicht für Abwehrreaktionen - lieber als
Hansi Hinterseer, die
Wildecker Herzbuben oder
Andrea Berg war dem Wirtz der kernige Andreas Gabalier dann doch. Nach einigem entspannten Smalltalk, diversen Bierflaschen, mindestens einer Flasche Wein, Schinken, einigen Kalauern und der Einbeziehung der Band fiel die Wahl der Beiden letztlich auf den Song
Where did you sleep last night von
Nirvana - ein Song der ursprünglich gar aus dem 19. Jahrhundert stammt und der Sklavenbewegung entspringt. Die Show war zu diesem Zeitpunkt bereits weit mehr als zur Hälfte vorbei, konnte aber durchaus noch als kurzweilig bezeichnet werden.
Als die Entscheidung stand, ging es ans Werk: Dieser Teil der Show geriet dann im Vergleich erstaunlich knapp - und ließ somit gerade den kreativen Prozess und die Entstehung eines Songs zu weiten Teilen aus. Einzige Erkenntnis für den Unbedarften: Singen ist gar nicht so leicht. Vielleicht war man hier unsicher, in wie weit dieser Akt für den typischen Zuschauer wirklich interessant wäre.
Ab auf die Showbühne
Zuletzt hieß es, das Erarbeitete zu präsentieren. Aus dem Proberaum wurde eine Bühne, das Publikum tauchte auf und die beiden Musiker performten zum Warmwerden jeder einen eigenen Song. Eigenwerbung ist schließlich erlaubt und durfte was Gabalier angeht auch direkt einen kompletten Song namens
Hulapalu einnehmen - ein echter Ohrwurm nebenbei.
Es folgte aber natürlich noch der Höhepunkt: Wirtz & Gabalier mit dem Klassiker
Where did you sleep last night. Dank der kompetenten Umsetzung durch die Band, einem dynamischen Aufbau und einigen Spielereien durchaus eine gelungene Sache, wenn auch sicher nicht im Geniestreichbereich. Der Weg war definitiv das Ziel.
Eine unbedeutende Frage blieb am Ende offen: Wurden die Innenaufnahmen wirklich in dieser malerischen Hütte in den Alpen oder in einem gemütlich ausstaffierten Studio gefilmt? Nicht, dass es das Vergnügen hätte schmälern können, doch würde der Tipp dieses Redakteurs vermutlich auf Letzteres fallen.
Fazit
«One Night Song» ist fraglos nett, Daniel Wirtz ein sympathischer Host und bezüglich des ersten Gastes traf man eine fast optimale Entscheidung. Zudem feiert die Show - ähnlich wie «Sing meinen Song» - das Wunderbare der Musik und lässt die Protagonisten ihre Gefühle und ihre Faszination in epischer Breite in Worte fassen. Und obwohl nichts wirklich überrascht und man sich eher wie bei einem James-Last-Album beim scheintoten Mitwippen ertappt, fühlt sich das Konzept aufgrund der liebenswerten Kauzigkeit eben nicht wie der x-te Coversong eines heiß geliebten Hits der Vergangenheit an, sondern überzeugt durch Herzenswärme und Authentizität. Ob das am Ende für einen Quotenerfolg reicht, entscheidet wie immer das Publikum. Im Vergleich zum ungleich sterileren «Musicshake» hätte Vox einen Erfolg hier aber in jedem Fall (mal wieder) verdient.
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