Der neue «Tatort» aus Münster legt eine kesse Sohle aufs Parkett. Zumindest zum Auftakt und zum Schluss. Im Mittelteil schwoft der Fall «Ein Fuß kommt selten allein» hingegen lasch daher.
Cast und Crew
- Regie: Thomas Jauch
- Darsteller: Axel Prahl, Jan Josef Liefers, Friederike Kempter, ChrisTine Urspruch, Mechthild Großmann, Claus D. Clausnitzer, Thomas Heinze, Max von Pufendorf, Mersiha Husagic
- Drehbuch: Stefan Cantz, Jan Hinter
- Kamera: Clemens Messow
- Schnitt: Julia Oehring
- Musik: Karim Sebastian Elias
- Produktionsfirma: Bavaria Fernsehproduktion Köln
Was wohl Joachim Llambi zum aktuellen «Tatort»-Fall sagen würde? Nun, es wäre gewiss strenger als das engagiert dahingebrabbelte Urteil des charmanten, studierten Radioökologen Jorge González und der milde dahingelächelte Kommentar von Motsi Mabuse. Denn selbst wenn Llambis Strenge längst zum Running Gag in der RTL-Show «Let’s Dance» wurde, so ist der Duisburger erstens einer der wenigen fairen und konstruktiven „harschen“ Juroren der deutschen Castingshow-Historie. Und zweitens hat Llambi nicht nur Expertise, sondern lässt auch nie sein geschultes Auge von der dargebotenen Performance weichen. Ein guter Anfang und eine Punktlandung bei der Schlusspose reichen nicht – auch im Mittelteil haben Takt, Rhythmusgefühl und jeder einzelne Schritt zu sitzen. Insofern ist es plausibel, zu glauben, dass Llambis Fazit mit ein paar warmen Worten beginnen würde. Nur damit Llambi enttäuscht festhalten kann, wo Thiel und Boerne bei ihrem Paartanz geschludert und somit Potential verschenkt haben.
Für all jene, die es sich an dieser Stelle noch immer nicht zusammengereimt haben: Im «Tatort» aus Münster wird dieses Mal der Mikrokosmos 'Wettkampftanz' besucht. Und nebenher auch die Welt des risikofreudigen Pilzesammelns. Und der kleine Ableger des Bundesverdienstkreuzes wird ebenfalls in die Handlung eingewoben. Denn Professor Boerne (Jan Josef Liefers) hat aktuell die Faxen dicke, selbst wenn er es sich nicht anmerken lassen will: Da erhält doch tatsächlich seine Assistentin (ChrisTine Urspruch) die Verdienstmedaille des Verdienstordens, während er ohne Auszeichnung aus der Wäsche schaut. Das den Beruf der Staatsanwältin ausübende Reibeisen Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) verspricht dem murrenden Rechtsmediziner, Beziehungen spielen zu lassen und auch ihm zu einem Orden zu verhelfen. Unter einer Bedingung: Er muss mit ihr in die Tanzschule gehen, um ihr als Partner bei den Tangostunden zu dienen.
An diesem Punkt finden die Handlungsfäden zusammen und begegnen sich die beiden Aushängeschilder der Münsteraner Reihe: Denn Kommissar Thiel (Axel Prahl) stieß beim Pilzesammeln mit seinem redseligen Hippie-Vater (Claus D. Clausnitzer) auf eine Frauenleiche. Bei dieser handelt es sich möglicherweise um ein früheres Mitglied der in direkter Nachbarschaft zu Klemm und Boerne probenden Tanzsportgemeinschaft Blau-Weiß …
Mit den Hauptverdächtigen hat der Tanz-«Tatort» zwei gute Stützpfeiler für seinen (typisch Münster: in der Prioritätenliste eher untergeordneten) Spannungsbogen gefunden: Der cholerische Tanzverein-Präsident Dr. Winfried Steul (Thomas Heinze) und der keinerlei Erbarmen kennende Trainer Andreas Roth (Max von Pufendorf) sind ideal besetzt. Heinze und von Pufendorf tänzeln gelungen auf der Grenze zwischen klamaukiger Überzeichnung und glaubwürdiger Motivation, womöglich den im Mittelpunkt stehenden Mord begannen zu haben. Darüber hinaus finden die wiederkehrenden Münster-Autoren Stefan Cantz & Jan Hinter einen launigen Einstieg in den Fall: Prahl und Clausnitzer spielen sich im Wald mit großem Vergnügen die Bälle zu und sinnieren über die Geschichte des Fliegenpilzkonsums.
Thematisch wird der Smalltalk über psychedelisch wirkende Pilze nicht wieder aufgegriffen, womit sich dieser Fall schon Mal von den dichter verwobenen, alle Subplots verschmelzenden Ausgaben der jüngeren Vergangenheit unterscheidet (siehe Infobox).
Im letzten Drittel hagelt es dann pointierte Dialoge – inklusive des Meta-Seitenhiebs, dass Thiel aus Boernes Albereien entnervt aufstöhnt: „Geht’s auch mit etwas weniger Klamauk?“ Boernes trockener Kommentar: „Ja, aber dann müssen Sie sich einen anderen Rechtsmediziner suchen.“ Und das will wohl kaum jemand. Denn der Klamauk ist das geringste Problem in Münster – oder in diesem spezifischen Fall. Die Krux ist die Art und Weise, wie der klamaukige Tonfall umgesetzt wird. Während in Weimar dies neulich reizend gelungen ist (
mehr dazu), schlenkern Thiel und Boerne im Mittelteil dieses Neunzigminüters schleppend umher. Boerne hat vergleichsweise wenig zu tun und zu sagen, während mit einem (keinen nennenswerten Ertrag zeigenden) Subplot über ein nie überkommenes Afghanistan-Trauma die exzentrische Wetttanz-Stimmung verjagt wird. Und auch der mit so viel Wortwitz begonnene Faden rund um Vadder Thiel mündet mit einer vorhersehbaren Kotzattacke, die weit hinter den intellektuellen Albernheiten zurückbleibt, die es in den besseren Münster-Fällen zu genießen gibt.
Die routinierte Inszenierung des «Tatort»-Regieexperten Thomas Jauch schnürt das Ganze durchaus zu einem halbwegs runden Paket zusammen, so dass milde gestimmte Juroren und treue Anhänger der Kommissare gewiss einige nette Worte zu sagen hätten, müssten sie in einer Liveshow ein Urteil abgeben. Wenn es dann aber an die Punktevergabe geht, so verlockt diese Ausgabe schlicht nicht dazu, zu den besseren Noten zu greifen. Und ein Llambi wüsste das auch zu begründen. „Was sollte das Rumgewurschtel da im Mittelteil? Bleib besser deinen Stärken treu und konzentrier‘ dich nächstes Mal etwas mehr!“
«Tatort: Ein Fuß kommt selten allein» ist am 8. Mai 2016 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel