Woche für Woche mauserte sich «Person of Interest» fast unbemerkt zu einer smarten Erkundung von Überwachung, Künstlicher Intelligenz und Heldentum. Nun beginnt in den USA die fünfte und letzte Staffel.
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«Person of Interest»-Erfinder Jonathan Nolan
Der 1976 geborene, jüngere Bruder von Christopher Nolan ist Schriftsteller, Drehbuchautor, Produzent und Regisseur. Sein Bruder Christopher basierte seinen Erfolgsfilm «Memento» auf Jonathans Kurzgeschichte «Memento Mori». Seitdem arbeiteten die beiden Brüder immer wieder an Projekten zusammen und schrieben die Drehbücher zu «The Prestige», «The Dark Knight», «The Dark Knight Rises» und «Interstellar». Im Moment arbeitet Jonathan an der HBO-Serie und Michael Crichton-Adaption «Westworld», deren Produktion allerdings momentan verschoben werden musste. Zwei CBS-Serien gehen in diesem Jahr zu Ende, die unterschiedlicher kaum sein können. Qualitativ sind sie allerdings beide große Verluste für den Sender: Sowohl «Good Wife», eine Anwaltsserie,
über die wir schon im letzten Monat berichteten, als auch «Person of Interest», dessen fünfte und letzte Staffel am 3. Mai im US-Fernsehen startete. Serien, die potentiell langweilig und Woche für Woche strukturell das gleiche Programm herunter spulen könnten, aber innerhalb ihres vermeintlich sicheren, allerdings auch einengenden Korsetts des Network-TVs etwas unglaublich Interessantes gemacht haben und immer wieder die erzählerischen und thematischen Grenzen normaler Network-Serien in einer äußerst unterhaltsamen Weise ausgetestet haben.
Zwei Jahre vor den Edward-Snowden-Enthüllungen über die Totalüberwachung durch amerikanische Geheimdienste, teilte uns die Stimme des ehemaligen «Lost»-Bösewichts Michael Emerson schon im Vorspann von «Person of Interest» mit, dass wir alle zu jeder Zeit beobachtet werden. Was sich in der von Jonathan Nolan (Bruder von Regisseur Christopher Nolan) erfundenen und produzierten Serie in ihren Anfängen noch nach ferner, vielleicht sogar alberner Science-Fiction-Musik anhörte, ist wahrscheinlich schon länger Realität, als uns allen lieb ist. Genau damit, und noch viel mehr, beschäftigt sich diese sehenswerte Serie. Emerson spielt den genialen, aber auch extrem zurückgezogenen Hightech-Programmierer Harold Finch, der im erzählerischen Universum von «Person of Interest» für einige unserer heute angenehmsten Computererfindungen verantwortlich ist, oder zumindest eine treibende Kraft hinter diesen war. Dementsprechend steht ihm ein großzügiges Bankkonto zur Verfügung. Aber anstatt sich, wie es sich für ein anständiges Mitglied der oberen Zehntausend gehört, auf seinem Reichtum auszuruhen bzw. auf die Vermehrung dieses Reichtums zu konzentrieren, versucht er lieber die Welt zu retten. Und zwar eine unschuldige Person nach der anderen. Ein solches Verhalten gilt übrigens unter reichen Menschen nicht als verrückt, sondern als exzentrisch.
Von CIA-Killern, korrupten Polizisten und Psychopathen, die zu Helden werden
Zu diesem Zwecke hat er eine Maschine erfunden, die mittels komplexer mathematischer Algorithmen, Formeln und nicht zuletzt einer globalen, flächendeckenden Komplettüberwachung terroristische Aktivitäten vorhersehen kann. Die amerikanische Regierung setzt diese Technologie bereits zur Terrorbekämpfung ein. Finch, jemand der lieber ein anonymer und autonomer Außenseiter bleibt, hat unversehens eine Hintertür in dieses hochkomplexe System eingebaut, wodurch er immerzu Sozialversicherungsnummern von Tätern oder Opfern von zukünftigen Verbrechen zugespielt bekommt. Um diese armen Seelen zu retten (bzw. diese nicht so armen Täter zur Rechenschaft zu ziehen) engagiert er den ausgebrannten, ehemaligen Elite-Soldaten und CIA-Killer John Reese (Jim Caviezel), der die etwas härteren Aspekte dieser Arbeit ausführt und z.B. bösen Buben kräftig in den Hintern sowie in andere Körperteile tritt. Das ist die recht simple Prämisse der Actionserie und vor etwa 20 Fernsehjahren wäre es wahrscheinlich bei dieser Ein- bis Zwei-Mann-«A-Team»-Variante mit immer gleichen, erzählerischen Abläufen geblieben.
So zukunftsorientiert oder modern die Serie auch daher kommen mag, «Person of Interest» ist gleichzeitig ein amerikanischer Urmythos, nämlich ein klassischer Western mit einem namenlosen Cowboy, der in die Stadt reitet, um die Entrechteten zu verteidigen, nur dass Jim Caviezel keinen Cowboyhut auf den Kopf und keinen Sechsschüsser-Colt an der Hüfte trägt, sondern mit einem edlen Nadelstreifenanzug und tödlichen Nah- und Fernkampf-Techniken ausgestattet ist. Trotz dieser bekannten und meist unterhaltsamen Ausgangssituation, ist aller Anfang schwer, und gerade die etwas repetitive Variante dieses Prozederes, das noch die erste Staffel so stark prägt, in der jede Woche eine Frau, ein Mann, ein Kind (es gab zwischendurch sogar ein schutzbedürftiges Baby) oder eine ganze Familie gerettet werden muss, kann schnell redundant werden. Hinzu kommt das stoische, fast katatonische Spiel des Hauptdarstellers Caviezel (und seine, zumindest im englischen Originalton heisere Flüsterstimme, die sogar Christian Bales Batman neidisch gemacht hätte), was zu Beginn gewöhnungsbedürftig ist. Eine Stoik, die seine emotionalen Ausfälle dafür umso verletzlicher und Anflüge von Humor umso willkommener erscheinen lassen. Wie ein Terminator bewegt sich Caviezel mechanisch durch die Handlung und wenn er nicht gerade die Kniescheiben seiner Gegner wegpustet, entdeckt er Stück für Stück seine Menschlichkeit wieder.
Die zahlreichen Nebencharaktere, welche die Serie mittlerweile angesammelt hat, runden das Paket jedoch weiterhin ab: Die resolute Polizistin Detective Carter (Taraji P. Henson) ist nicht nur eine kompetente Ermittlerin, sondern auch moralisches Zentrum der Serie. Sie muss sich zunächst allein gegen ihr korruptes Umfeld behaupten, bis sie widerwillig die selbst ernannten Ordnungshüter Finch und Reese als Unterstützung zu Rate zieht. Carter ist außerdem diejenige, welche die fragwürdigen Vorgehensweisen ihrer unfreiwilligen Kollegen immer wieder hinterfragt und in der ersten Staffel den notwendigen emotionalen Tiefgang mitbringt, der Caviezel oftmals zu fehlen scheint.
Apropos korrupte Polizei: Die geheime Polizistenorganisation HR sorgt weniger für Recht und Verfassung in New York, sondern geht lieber den eigenen, meist gewinnversprechenden Interessen nach. Detective Lionel Fusco (Kevin Chapman), der zwar äußerlich die Züge eines Teddybärs besitzt, aber trotzdem einigen Dreck am Stecken hat, wird aus deren Mitte von Finch und Reese direkt in der ersten Episode rekrutiert. Aus dieser Figur hätte leicht ein zweidimensionaler Wegwerfcharakter werden können, der hier allerdings wieder lernen darf, wie gut es tun kann, Gutes zu tun. Eine Reise, die sich für den Zuschauer immer wieder lohnt, denn der Polizist ist oftmals zwar komödiantischer Aspekt der Serie, bekommt dafür aber auch das ein oder andere Helden-Highlight zugespielt. Die großen Themen, welche die Serie wahrscheinlich von Anfang bis Ende durchziehen werden, sind zweite Chancen, Wiedergutmachung und Erlösung. Für eine Actionshow, die sich vornehmlich mit Maschinen und künstlichen Intelligenzen beschäftigt, ist dies einnehmend menschlich.
Auf der nächsten Seite: «Person of Interest» gibt sowohl seinen Helden als auch seinen Schurken Dimensionen und erkundet die Implikationen künstlicher Intelligenzen auf aufregende wie actionreiche Weise
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