Jan Böhmermann ist aufgrund des Rummels um ihn und seine Satireshow in eine TV-Pause geflohen. Unsere Redakteure Manuel Nunez Sanchez und Sidney Schering debattieren: Sollte das ZDF nach Böhmermanns Rückkehr die Schlagzahl von «Neo Magazin Royale» erhöhen?
Pro von Sidney Schering
Seit mehr als zwei Wochen dominiert ein Thema die deutschen Medien. Ob Boulevardmagazin, Medienportal, Feuilleton oder Hauptnachrichten: Die Bundesrepublik wird über jeden Aspekt der Causa Böhmermann informiert – und sie debattiert, sinniert und streitet fröhlich mit. Für eine „kleine, gebührenfinanzierte Losershow“, die bei ihrer linearen Erstausstrahlung Woche für Woche nur eine quotentechnische Medienrandnotiz darstellt, ist das eine immense Leistung! Da können die Mitbewerber nur staunen: Das «Neo Magazin Royale» hat mit dem Schmähgedicht auf Erdogan die deutsche Satirewelt stärker aufgerüttelt, als «Die Anstalt», «Nuhr im Ersten» und die «heute-show» in ihrer gesamten Sendehistorie zusammengenommen. Und selbst wenn diese Aktion den Gipfel der medialen Aufmerksamkeit für Böhmermann und die bildundtonfabrik darstellt, so ist die Schmähkritik-Debatte längst nicht ihr erster großer Wurf: Vom vermeintlich gefälschten Varofakis-Stinkefinger hin zu „Ich hab Polizei“ und den wenigen Stunden, in denen „Be Deutsch“ die sozialen Netzwerke beherrschte, ehe Erdogan alles ins Wanken gebracht hat – das «Neo Magazin Royale» gießt wie keine andere Sendung Öl ins Feuer der medialen und politischen Selbstreflexion.
Hinzu kommt, dass sowohl Produktionsfirma als auch Böhmermann das «Neo Magazin Royale» nicht bloß als Satireshow positionieren. Sondern auch als Blödelshow sowie als moderne Late-Night-Show, gewissermaßen als „«Harald Schmidt Show» für Generation Social Media“. Die drei Seelen in der Brust dieser Show machen das «Neo Magazin Royale» erst zu dem was es ist. In welcher anderen Sendung wird denn sonst die Legitimation einer großen Sonntagabend-Talkshow hinterfragt, über Laugengebäck gesungen und die Webhistorie des Studiopublikums durchleuchtet?
Doch so einmalig Böhmermanns ZDFneo-Format aufgrund dieser Vielseitigkeit sein mag – sie schränkt das «Neo Magazin Royale» bei einem wöchentlichen Takt auch arg ein. Innerhalb von rund 40 Minuten wollen tagespolitische Themen abgedeckt sein, muss das Neue aus der Pop- und Netzkultur verballhornt werden (Bibi und ihre iPads verschlingende Bettritze seien gegrüßt!) und dann sollte noch Raum für Sketche oder Blödeleien mit dem Studiogast übrig bleiben. Da bleibt zwangsweise viel auf der Strecke – ein «Neo Magazin Royale» mit drei bis vier Ausgaben in der Woche könnte hingegen mehr Blödeleien über Irrelevantes, mehr Anflüge von Böhmermanns Showexzentrik und mehr satirische Inhalte pro Woche bieten. Für YouTuber-Bashing müsste kein aktueller Politkommentar mehr weichen und für ein neues „Eier aus Stahl“ müsste Böhmermann nicht mehr auf Studiospaßaktionen verzichten! Es gäbe einfach nur Mehr von etwas Gutem, das sich bislang zurückhalten musste!
Die dazu nötige, sprudelnde Kreativität hat die Redaktion – nun braucht sie nur das nötige Geld und die nötigen Sendeplätze. Damit weiterhin zu knausern wäre jedoch nicht im Sinne des Senders: In Zeiten, in denen Medien immer mächtiger werden, aber auch immer lauter hinterfragt werden, braucht der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Spaßsendung, die für Trubel sorgt und der dabei Relevanz beigemessen wird. Genau die hat das ZDF auf der Hand – und der Ärger, den Böhmermann gelegentlich verursacht, ist ein kleiner Preis für die so gewonnene Legitimation. Und für das Durchdringen zu einem Publikum, das sonst vielleicht wenig für die alten Medieninstitutionen übrig hat. Also, liebes ZDF: Nutzt die gesteigerte Aufmerksamkeit, die Böhmermann genießt, so lange sich die Bundesrepublik noch für provokant-satirische Blödel-Late-Night interessiert und kündigt die vom dürren, blassen Jungen wiederholt geforderte «Neo Magazin Royale»-Frequenzerhöhung an!
Contra von Manuel Nunez Sanchez
Über einen Monat lang muss Fernsehdeutschland nun voraussichtlich auf Jan Böhmermann und das «Neo Magazin Royale» verzichten - ausgerechnet jetzt, mag man sagen, wo die sympathische kleine Losershow so stark im breiten öffentlichen Interesse steht wie nie zuvor. Das ist bei allem Verständnis für die Entscheidung des mittlerweile gar unter Polizeischutz stehenden Satirikers aus rein egoistischer Perspektive bitter, möchte man doch nur allzu gerne wissen, wie Böhmermann zum dauerpikierten türkischen Präsidenten, zur deutschen Spitzenpolitik und vor allem zu den zahlreichen Personen des öffentlichen Lebens steht, die gefragt oder ungefragt ihre Meinung zur "Causa Böhmermann" in die Welt posaunen. Ja, momentan ließen sich die knapp 45 Minuten wöchentliche Sendezeit im Nu füllen. Und wahrscheinlich würde man erneut mehrere Online-Exklusivvideos drehen können, da die Sendezeit hinten und vorne nicht ausreicht, um sämtliches aufgezeichnetes und vorproduziertes Material zu verarbeiten.
Es ist allzu nur allzu naheliegend, sich in diesen Zeiten mehr Raum zur Entfaltung des gesamten Böhmi-Wahnsinns zu wünschen. Bis zu einem gewissen Punkt gehe ich da auch mit: Die bis vor wenigen Monaten üblichen 30 Minuten pro Woche wurden dem Format schon seit längerem nicht mehr gerecht, die zusätzliche Viertelstunde hat den Zeitmangel zwar spürbar gelindert, doch einige Male schon war auch das noch zu knapp bemessen. Hier aber kommen wir zum springenden Punkt:
Einige Male wirkten die 45 Minuten zu knapp, keineswegs in jeder Woche. Denn rufen wir uns alleine die jüngsten Folgen nochmal in Erinnerung, gab es ja durchaus auch Show-Momente, auf die man ohne großen Verlust hätte verzichten können: Das weitgehend inhaltsleere Interview mit Schriftstellerin Ronja von Rönne beispielsweise, die in aller Regel im orientierungslosen inhaltlichen Nichts verharrende Rubrik "William will's wissen" oder auch immer wieder Teile des Stand-Ups. Sicher, dass mal ein Gag nicht zündet, bei einem Interview keine Dynamik aufkommt oder ein Einspieler gut gemeint, aber schlecht umgesetzt wird, liegt in der Natur eines experimentellen Formats.
Doch bei allem Experimentiereifer sind es - mal vom von Politik und Medien hochstilisierten Erdogan-Schmähgedicht abgesehen - in aller Regel die wirklich aufwändigen und damit Zeit und Budget fressenden Clips wie "Ich hab Polizei", "Be Deutsch" oder erst kürzlich das wunderbare
"Zapping" in der Anne-Will-Folge, die in Erinnerung bleiben, Debatten und Hypes initiieren und die Sendung immer wieder zum "Talk of the Town" machen - weniger die Stand-Ups, Interviews und Spielchen, die sich nur
mit den Highlights zu dem starken Gesamtwerk zusammenfügen, auf das man sich jeden Donnerstag freuen darf. Und da man es nachvollziehbarerweise schon jetzt nicht schafft, wöchentlich ein solches Highlight abzuliefern, ist es mehr als nur wahrscheinlich, dass ihr Anteil bei einer drastischen Erhöhung der Schlagzahl erheblich sinken würde. Zu befürchten ist gar, dass künftig noch weniger dieser Clips produziert werden, denn die zwei bis drei zusätzlichen Folgen pro Woche wollen ja gefüllt werden. Da geht Zeit drauf, da geht Geld drauf, da gehen sehr wahrscheinlich dauerhaft auch einige Körner des Teams der bildundtonfabrik drauf.
Das unschöne Wort, das dann wohl vermehrt Einzug hielte, wäre Routine. Wozu Routine im Endstadium führen kann, lässt sich sehr schön rekapitulieren, wenn man auf den Werdegang von «TV total» blickt. Nun wollen wir den Teufel mal nicht an die Wand malen und in unserer Glaskugel einen lustlos an seinem Schreibtisch festgeklebten Jan Böhmermann erblicken, der sich nicht mehr auf seine Gäste vorbereitet, jahrelang Rentnerpaare die Meldungen der Woche kommentieren lässt und jede Aufzeichnung nach Schema F abfertigt, aber tendenziell dürfte es eher in diese Richtung gehen, als dass man künftig jede Woche die Öffentlichkeit mit neuen Coups im Atem hält. Insofern darf man gerne darüber diskutieren, ob Böhmermann in naher Zukunft eine volle Stunde lässt, vielleicht sogar die Dosis auf zwei maximal 45-minütige Folgen pro Woche erhöht. Noch mehr als das ist nach derzeitigem Stand aber weder realpolitisch realistisch noch künstlerisch erstrebenswert.
Pro oder Contra: Soll das «Neo Magazin Royale» als (beinahe) tägliche Sendung zurückkehren?
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19.04.2016 12:27 Uhr 1