Die allgemeine Entrüstung über Erdogans juristische Schritte gegen Jan Böhmermann ist nicht frei von allerhand Scheinheiligkeiten. Ein Kommentar.
Irgendwo ist etwas schiefgelaufen. Denn obwohl Jan Böhmermann aufgrund der Natur der Grenzüberschreitung bestimmt davon ausgegangen ist, nach seinem Erdogan-Gedicht (juristischen) Gegenwind zu spüren zu bekommen, wird er kaum damit gerechnet haben, zwei Wochen später unter Polizeischutz gestellt zu werden.
Böhmermann war bisher immer der Ungreifbare – was zumeist Ausgangspunkt für meine Kritik an ihm war. Ich habe ihn als die televisionäre Nullmenge aufgefasst, eine seelenlose Satiremaschine, die nur die Haltung hat, keine Haltung zu haben, und der so immer die Möglichkeit offensteht, von dem einmal Gesagten im Zweifel sofort zurückweichen zu können. Der in Grenzüberschreitungen einen Selbstzweck sieht und dabei immer so passiv-aggressiv wirkt, wie jemand, der einem unangenehm aufdringlich auf die Pelle rückt und dabei ruft „Ich fass‘ dich doch gar nicht an“, damit man sich nicht gegen ihn wehren kann.
Diese Reißleine, die ihm bisher stets offen stand – „Alles nur Satire! Ihr habt doch nicht wirklich geglaubt, dass ich das ernst meine!“ – kann er in der Causa Erdogan-Gedicht nicht mehr ziehen. Das macht ihn zum ersten Mal richtig fassbar.
Nicht ganz absichtlich allerdings. Denn Böhmermann – wir erinnern uns an die ganze Sendung – trug sein Gedicht nicht isoliert vor, sondern eingebettet in den Versuch einer Definition von Schmähkritik. Diese Reißleine („Aber! Aber! Es war doch nur eine Definition!“) haben bisher weder Böhmermann noch die Bildundtonfabrik gezogen. Vermutlich weil sie ahnen, dass sie den rettenden Fallschirm auch nicht mehr auslösen könnte.
Das eigentliche Problem an diesem Gedicht: Böhmermann könnte Erdogan in die Hände gespielt haben. Denn sollte Böhmermann – und das ist nicht unwahrscheinlich – wegen des ominösen §103 StGB oder wegen der Allerweltsstraftat einer Beleidigung verurteilt werden, wird der türkische Präsident, wenn er das nächste Mal Journalisten einsperren lässt, entgegnen können: „Was wollt ihr denn? Auch die demokratisch lupenreine Bundesrepublik Deutschland schleift manchmal ihre Satiriker (lies: Journalisten) vor Gericht und verurteilt sie wegen Majestätsbeleidigung, äh Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten.“
Schafft diesen schwachsinnigen Paragraphen ab, heißt es jetzt. Ist sowieso überfällig, ist der Konsens. D’accord. Nur gehört eine solche Entscheidung ins Parlament und nicht vor Gericht. Eine Strafverfolgung einzustellen, nur weil einem die Gesetze, die man hat, auf einmal nicht mehr gefallen: Das lässt sich schwer mit unseren Ansprüchen an rechtsstaatliche Prinzipien und Verfahren vereinbaren.
Und selbst wenn man sich (richtigerweise) nun doch entschließen sollte, diese Altlast des Strafgesetzbuches endlich loszuwerden, stünde Erdogan immer noch die Möglichkeit offen, eine Strafverfolgung wegen Beleidigung gegen Böhmermann anzustrengen. Wofür sein Anwalt bereits erste Schritte unternommen hat.
In der letzten Woche habe ich
an dieser Stelle einmal auseinanderzuklamüsern versucht, wohin die Causa Böhmermann, denkt man sie schlüssig zu Ende, in letzter Konsequenz führen würde: nämlich zu einer Amerikanisierung der juristischen und ethischen Auffassungen von derb-zynisch-bösartigen Meinungsäußerungen jenseits der Grenze zur Schmähkritik. Andere Länder haben damit gute Erfahrungen gemacht. Nur: Das muss man wollen.
Denn wenn es zulässig sein soll, einen Recep Erdogan mit diesen harten Bandagen anzugehen, dann muss das genau so (!) auch bei anderen Personen des politischen (oder besser: öffentlichen) Lebens möglich sein, die einem beliebigen Satiriker nicht passen. Das kann dann auch mal die deutsche Bundeskanzlerin oder der französische Präsident sein. Und schon klänge das alles weniger nach Satire, sondern nach, nun ja, dreister, bösartiger Beleidigung.
Ich wage die Behauptung: Wären statt Präsident Erdogan Francois Hollande oder Angela Merkel mit denselben Worten von Jan Böhmermann angegangen worden, wäre das Echo in der Presse ein anderes, und die Solidaritätsausschüttungen von Kollegen aus der Branche dürften größtenteils ausgeblieben sein.
Nun wird man entgegnen wollen: Der despotische bis diktatorische Erdogan ist doch eine ganz andere Hausnummer als ein vollumfänglich legitimierter Hollande oder Konsens-Kanzlerin Merkel. Natürlich. Aber im Streit um die Satire muss man, wenn man Erdogan sagt, auch Merkel sagen. Wahrscheinlich hätten viele gerne eine Rechtsordnung, in der man Despoten beleidigen darf (die haben es ja verdient), demokratische Staats- und Regierungschefs eng verbundener Nationen (und der eigenen) aber lieber nicht (das wäre unangemessen).
Eine solche Unterscheidung würde uns aber aus rechtsstaatlicher Sicht direkt ins Verderben führen. Denn es sollte weder die Entscheidung des Gesetzgebers noch der Gerichte sein, wen Satire angehen darf und wen nicht. Im Klartext: Entweder dürfen wir sie alle ziegenfickende Perverse nennen. Oder eben keinen.
Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
14.04.2016 13:15 Uhr 1
14.04.2016 14:23 Uhr 2
14.04.2016 14:27 Uhr 3
Das andere ist: Man stelle sich doch mal vor, das Gedicht sei auf einen selber bezogen. Dann hat man drei Möglichkeiten damit umzugehen: Die erste ist, es als Satire zu sehen, die man sich allerhöchstens in der Form zu Herzen nehmen sollte, seine eigene Position zu überdenken. Hält man diese weiterhin für richtig, ignoriert man die Satire.
Die zweite Möglichkeit: Ich sehe das ganze als üble, wüste Beschimpfung. Dann denke ich mir nur, "was für ein armes Würstchen hat den sowas nötig" und ignoriere das ganze.
Oder die dritte: Ich gehe juristisch dagegen vor, verschaffe dem Gedicht eine Öffentlichkeit, die es sonst nie erhalten hätte und mache mich gleichzeitig für Leute, die mich bisher schon nicht mochten, weiter angreifbar.
Also ich halte die dritte Möglichkeit für die schlechteste...