Die Diskussion über Böhmermanns Erdogan-Gedicht offenbart interessante Spannungsfelder zwischen Meinungsäußerung und Schutz vor Schmähkritik.
Herrje.
Da schreibe ich einmal etwas Positives über Jan Böhmermann und keine Woche später hat der Mann
die Mainzer Staatsanwaltschaft am Hals.
Verantwortlich für die Ermittlungen ist ein Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten, das Böhmermann in seiner Sendung vorlas, vorgeblich als ein Versuch, Schmähkritik zu definieren. Der Beitrag ist aktuell weder in der Mediathek des ZDF noch bei YouTube vertreten, bei anderen Angeboten dagegen mit etwas gutem Willen leicht zu finden.
Böhmermanns Aussagen waren letztlich nicht nur gewagt, sondern in der Bundesrepublik Deutschland höchstwahrscheinlich in dieser Form auch strafbar.
Ich will hier nun keine juristische Diskussion über die Strafbarkeit von Beleidigungen, insbesondere die ausländischer Staatsoberhäupter, oder Schmähkritik beziehungsweise ihre Strafbarkeitsvoraussetzungen führen. Denn an dem Diskurs über Böhmermanns Gedicht ist die Frage, ob er sich strafbar gemacht hat, nicht die interessanteste. Sondern die, ob das, was er gemacht hat, strafbar sein sollte.
Werfen wir einen Blick in den angelsächsischen Raum, speziell die USA.
Nun ist es aufgrund der anderen inhaltlichen Ausrichtung nicht realistisch, dass Jimmy Fallon oder Stephen Colbert eine kackdreiste Schmähpoesie im Stil von Böhmermanns Erdogan-Gedicht loslassen würden. Einem Bill Maher würde man es dagegen zutrauen. Und er hätte danach sicherlich nicht mit dem Staatsanwalt rechnen müssen. Weil in den USA auch derbste, verletzendste und bösartigste Schmähungen von Personen des öffentlichen Lebens nahezu unumschränkt zulässig sind. Jerry Falwell, den „Hustler Magazine“ in einem legendären Satirebeitrag in den 80er Jahren gestehen ließ,
von seiner Mutter auf dem Scheißhaus entjungfert worden zu sein, kann ein Lied davon singen. Der amerikanische Supreme Court, der sich auch damals schon in nicht sonderlich viel einig wurde,
schmetterte seine Klage einstimmig ab.
Die deutsche Rechtskultur sieht Äußerungen im Bereich der bösartigen Schmähkritik dagegen nicht mehr als legitime Meinungsäußerungen, sondern als justiziabel an – und steht damit in einem direkten Gegensatz zur amerikanischen. Auch was härtere Bandagen im politischen Diskurs angeht: Jutta Ditfurth ist seit Jahren damit beschäftigt, sich zu erstreiten,
Jürgen Elsässer als glühenden Antisemiten bezeichnen zu dürfen. Die bisherigen Instanzen untersagten ihr dies mit abenteuerlichen Begründungen.
Auch vergleichsweise liberale Persönlichkeiten der Jurisprudenz wie Bundesrichter Thomas Fischer messen der persönlichen Ehre, die durch Schmähkritik und üble Nachrede verletzt werden kann, eine außerordentlich große Bedeutung zu:
“Meinungsfreiheit, so meinen wir zu Recht, kann nicht das Recht umfassen, andere Menschen ohne berechtigten Grund in der Achtung der Allgemeinheit zu beschädigen und sie sozial auszugrenzen oder zu ruinieren.“
Im angelsächsischen Raum werden dagegen auch beinharte Beleidigungen unter politischem Diskurs subsumiert – und der darf nicht nur zynisch und satirisch, sondern auch beleidigend und bösartig sein. Sicherlich gegen jemanden wie Präsident Erdogan, aber auch gegen jede andere Person des öffentlichen Lebens, erst recht des politischen. Wer nun Freiheit für Böhmi fordert, fordert im Kern amerikanische Verhältnisse im deutschen Meinungsäußerungsrecht.
Das ist interessant, weil das amerikanische Presserecht und amerikanische journalistische Prinzipien in Deutschland gerne skeptisch gesehen werden.
Man denke nur ein Jahr zurück, als man hierzulande schockiert war, wie nonchalant angelsächsische Medien den vollen Namen, den Wohnort und allerhand unverpixelte Bilder des Ko-Piloten der abgestürzten Germanwings-Maschine veröffentlichten, während es amerikanische Journalisten schockierte, dass ihre deutschen Kollegen das größtenteils unterließen.
The first responsibility of a journalist is to uncover and report the truth, right?
Nächste Woche vielleicht ein Gedicht über Jürgen Elsässer, Herr Böhmermann? Arbeitstitel: Was gesagt werden muss.
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