… und er schiebt sich Popcorn ins Gesicht. Denn nach der großen Erdoğan-Kontroverse und dem Beginn strafrechtlicher Ermittlungen gegen Jan Böhmermann, provoziert das «Neo Magazin Royale» mit einer fluffig-zuckrigen Ausgabe. Doch ihr wohnt ein harter Kern inne. Ist das noch Satirotainment oder schon Quatschhetze?
Er ist nach eigenen Angaben zu dumm für RTL. Er ist ein Kind der 90er sowie ein Connaisseur des Laugengebäcks. Er fordert die fremdenhassende Rechte, endlich mal wirklich deutsch zu sein. Er hat Polizei. Und er hat die Staatsanwaltschaft an den Fersen kleben – sowie sie gegen mehrere ZDF-Mitarbeiter aufgebracht. Denn die Frage nach dem Kontext ist in diesen Tagen wohl zu anspruchsvoll. Daher sei hier sicherheitshalber der zum vollen Verständnis dieses Artikels nötige Kontext nachgereicht: Die Rede ist von Jan Böhmermann. Seines Zeichens Entertainer, dem der Ruf eines Provokateurs anhaftet. Und der eines brillanten Satirikers. Auch wenn er sein «Neo Magazin Royale» selber bloß als Quatschsendung bezeichnet.
Böhmermann, Erdoğan und das aus der Mediathek verschwundene Gedicht
Und in eben dieser satirisch-quatschigen Provokationssendung ging Böhmermann am 31. März darauf ein, dass sich der türkische Präsident Erdoğan durch einen «extra 3»-Beitrag beleidigt fühlt und daher dessen Löschung aus dem Netz fordert. Böhmermanns Reaktion: Er erklärte, dass der «extra 3»-Beitrag keine Beleidigung darstellte, sondern Satire. Und damit das Recht der Pressefreiheit genießt. Eine strafbare Beleidigung sähe ganz anders aus. Zur Erläuterung folgte ein Schmähgedicht.
Die Erklärung, was den Strafbestand der Beleidigung darstellt, ist (liebe Kinder, nun folgt eine Tautologie) keine Beleidigung, sondern eine Erklärung. Und eine abartig lange, übertrieben garstige Erklärung ist, nun ja, provokant-satirischer Quatsch. Den kann man wegen des überstrapazierten Gags nur durchschnittlich lustig finden (so wie der Verfasser dieser Zeilen), total doof oder gerade daher saukomisch. Nur steht unwitziger Humor aus juristischer Sicht nicht unter Strafe. Sonst säße bereits ein Gros der TV-Comedians hinter Gittern. Der Kontext ist es, der zählt, und der war bei Böhmermann fast schon kackendreist überdeutlich. Trotzdem hat sich Frau Bundeskanzlerin auf das politische Parkett begeben, um sich für die vom 1. April an in der ZDF-Mediathek gesperrte, als solche nicht erkannte quatschig-provokante Satire zu entschuldigen.
Parallel dazu geht die Staatsanwaltschaft den von mehr als 20 Privatpersonen losgetretenen Anzeigen gegen Böhmermann und Teile des ZDF nach. Denn so ein Satriequatschprovokations-Sandwich ist schon schwer zu schlucken, wenn man nicht richtig zu kauen gelernt hat. Der Böhmermann, der kann aber kauen. Wie er sechs Tage nach der so kontroversen «Neo Magazin Royale»-Folge in seiner wöchentlichen Selbstkritik-Onlinerubrik unter Beweis gestellt hat:
Eine Reaktion, so verdaulich und zuckrig wie Popcorn – nur komplexer im Geschmack
In dieser Ruhe des Böhmermanns steckt nicht etwa Kraft, sondern Ironie. Der provokante Quatschsatiriker, dem seine Gegner so gerne vorwerfen, dass es ihm nicht um eine gute Show geht, sondern bloß darum, sich daran aufzugeilen, wie viel Beachtung ihm geschenkt wird … Nunja, dem ist der Wirbel um seine ein Schmähgedicht beinhaltende Beleidigungsdefinition vollkommen egal. Vielleicht vertraut er darauf, dass irgendjemand im deutschen Justizapparat nachschlägt, welchen Einfluss so ein Kontext mit sich bringt. Auf jeden Fall ist ihm Kritik egal. Vielleicht auch positive oder zumindest konstruktive, weshalb selbst dieser Artikel an seiner Popcornschüssel vorbeigehen könnte.
Auf jeden Fall ist Böhmermann nicht so geil auf Aufmerksamkeit, dass er den simpelsten, unquatschigsten, doch zuschauerträchtigsten Weg geht, und im Eröffnungsmonolog seiner neusten «Neo Magazin Royale»-Ausgabe ein großes Satirefass aufmacht. Abgesehen davon, dass der „Hashtag der Woche“ erneut „witzefrei“ lautet und Böhmermann die diversen möglichen Definitionen vor sich hinmurmelt, spielt der Erdoğan-Eklat erst einmal keine Rolle. Nicht sehr aufmerksamkeitsfördernd, doch vielleicht gerade daher eine große Provokation. Nicht jeder, der aus reiner Neugier nach all den Schlagzeilen ausnahmsweise einschaltet, wird das mögen. Doch wie Böhmermann schon in den Charts krakeelte: „Hast du was dagegen? Ruf doch Polizei!“
Stattdessen verläuft die Ausgabe (von denkbar kleinen Sticheleien gegen das ZDF, seine Richtlinien und mögliche Zensur durch mangelnde Qualität) so harmlos und latenightshowmäßig wie nur denkbar: Böhmermann ulkt über Til Schweigers Lifestyle-Onlineshop und als Einspieler gibt es eine neue Ausgabe von „Ein Fernsehfuchs macht reiche Beute“, in der Sidekick William Cohn andere ZDF-Formate heimsucht (Dialog der Stunde: „Machen wir jetzt gutes Fernsehen?“ –„Also, ich glaube, hier bei der «Drehscheibe» kann das nicht passieren!“). Aber dann folgt der betont seicht eingeläutete Talk mit Studiogast Anne Will, der nach einigen quatschig vermittelten Provokationen (Will: „Mein nächstes Thema ist Türkei ...“ Böhmermann: „Wie ist dein Verhältnis zu Günther Jauch?“) in (scheinbar) peinliches, beidseitiges Anschweigen mündet und zum Stillstand kommt. Ein Blick auf Anne Wills letzte Talkausgabe soll die inhaltliche Leere übertönen. Was stattdessen auf das Publikum eindrischt, ist die deutsche Antwort auf den viral gewordenen TV-Kurzfilm «Too Many Cooks».
Böhmermann irrt durch einen Wust aus mal stärker, mal weniger gekünstelter Fernsehunterhaltung. Lässt die Erdoğan-Skandal-Schaulustigen vergeblich warten, spielt auf noch mehr zu beachtenden Ebenen als bei der Schmähkritik, die eine Erklärung war, was Satire sein sollte. Der blasse, dünne Bengel parodiert sich mal gehässig, mal liebevoll durch Formate und Genres, reiht einen Cameo an den nächsten und zerschlägt wiederholt Erwartungen, dass die Ausgabe noch zurück in den Alltag findet. Das ist im Gegensatz zum Beginn der Ausgabe kein Fließbandfernsehen. Das ist auch keine Satire mehr. Das ist ein fiebriges Spiel mit den Metaebenen. Und Quatsch. Und … vielleicht provokant. Jedenfalls gegenüber dem Teil des Publikums, der Normalität erwartet. Was ja auch satirische Züge haben kann, so ein Erwartungsbruch vor brenzligem Hintergrund. So oder so: Böhmermann beendet den Trip mit dem Aufruf, etwas aus der Wirklichkeit zu machen. So kann man rund 45 Minuten Entertainment auch einen politischen Nachhall verleihen – denn wir haben ja nur diese eine Welt abseits von First und Second Screen. Was wir jetzt tun sollen, das sagt der Satiriker nach all dem Quatsch nicht. Was für eine Provokation. Das sollte bestraft werden!
Wie fandet ihr die «Neo Magazin Royale»-Ausgabe vom 7. April 2016?
Das «Neo Magazin Royale» ist donnerstags ab 20.15 Uhr online abrufbar, ab ca. 22.30 Uhr bei ZDFneo zu sehen und immer freitags im ZDF ungefähr ab Mitternacht.
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