In über 25 Jahren Privatfernsehen gab es einige Trends im Nachmittags-Fernsehen. Wie alle irgendwie aufeinander aufbauen, zeigt unsere Analyse.
Eine alte Weisheit besagt, dass auch Trends im Fernsehen zyklisch verlaufen oder aufeinander aufbauen. Wie wahr das ist, zeigt die Entwicklung des Nachmittagsprogramms der vergangenen 25 Jahre. Anfang der 90er Jahre startete der damals ganz junge Privatsender RTL den großen Boom an Talkshows. «Hans Meiser», der inzwischen Gastauftritte in Jan Böhermanns «Neo Magazin Royale» hat, war der erste Daily-Talker Deutschlands. Ilona Christen und Bärbel Schäfer gesellten sich hinzu, die öffentlich-rechtliche Variante war «Fliege». Mit zunehmendem Erfolg und zunehmenden Formaten änderte sich im Laufe der 90er Jahre aber die Gewichtung. Es ging weg von ganzheitlichen Diskussionen über (halbwegs) gesellschaftsrelevante Themen und hin zu Einzelschicksalen mit möglichst viel Konfliktpotential. «Birte Karalus» war das Paradebeispiel hierfür. Irgendwann hatten sich die Zuschauer dann satt gesehen an Leuten in fleckigen T-Shirts, an dem 412. Schwangerschaftstest oder dem nächsten Lügendetektor, den in ihrer finalen Phase vor allem die Sat.1-Talkshow «Britt» sehr gerne bediente.
Schon damals wurde klar, was eine gute Talk-Daily benötigt. Eine für die Zuschauer geltende Wahrheit am Ende – ganz gleich ob nun durch eine Maschine wie den Lügendetektor oder einen wissenschaftlichen Beweis – wie beim Schwangerschaftstest. Es reichte nicht mehr, sich eine halbe Stunde lang vor laufenden Kameras zu zoffen (und sich vielleicht zu versöhnen?) und wieder aus dem Studio zu spazieren. Entsprechend war eine Gerichtsshow die logische Konsequenz. Weil es das deutsche Gesetz verbietet, echte Prozesse mit Kameras zu begleiten, wurden die entsprechenden Fälle einfach „nach wahren Begebenheiten“ (zumindest mehr oder weniger) nachgespielt. «Richterin Barbara Salesch» und Sender Sat.1 waren es diesmal, die einen neuen Trend starteten. Dem folgten noch heute im Re-Run erfolgreiche Formate wie «Richter Alexander Hold» und ein Reigen an RTL-Courtshows (u.a. «Das Jugendgericht» und «Das Familiengericht»).
Gestritten wurde vor Gericht auch, aber eben unter den Augen des strengen Richters oder der strengen Richterin – und zudem nicht mehr in speckigen Jogging-Hosen, sondern – wie es sich für (gespielte) Auftritte vor Gericht gehört, in halbwegs anständigen Klamotten. Weil Laiendarsteller auf Grundlage von Drehbüchern agierten, konnten die Autoren zudem mitunter extreme und recht schwindlige Wendungen und Absurditäten einbauen. Dieser Trend hielt sich einige Jahre, doch dann schienen sich die Zuschauer an den immer gleichen Kulissen und Köpfen satt gesehen zu haben. Die Sättigung betraf aber nicht das Interesse an menschlichen Schicksalen und so wurde innerhalb von Reihen wie «Barbara Salesch» und «Alexander Hold» probiert, ob es funktioniert, wenn die Anklagten auch mal außerhalb des Jusitzgebäudes auftreten.
Es funktionierte – und der nächste Nachmittags-Trend des Privatfernsehens war geboren. Es folgten unzählige Fälle von «Familien im Brennpunkt», «Familien-Fälle» und dergleichen. Mit dem Start solcher Scripted Realitys ging zunächst auch wieder eine Rückbesinnung einher. Es ging – wie zum Start der Talkshows – wieder um das große Ganze. In 60 Minuten wurde ein Schicksal erzählt; natürlich schneller und mit irrwitzigen Wendungen. Aber es war ein Fall, genauso wie «Hans Meiser» 1992 eine große Themenlage diskutierte. Inzwischen gibt es «Familien im Brennpunkt», «Familien-Fälle» und andere Formate nicht mehr. Auch klassische Ermittler-Shows wie «Lenßen & Partner», die ebenfalls Ableger von Court-Shows waren, liegen längst auf dem großen TV-Friedhof.
Die Scripted Reality hat einen ähnlichen Weg genommen wie damals die Talkshow. Auch weiterhin wird On Location gedreht – vorwiegend übrigens in richtig schicken Reihenhäusern und nicht in heruntergekommenen Blocks. Dekoratives Aussehen war den Machern stets wichtig. Die Polizei-Doku hat die klassische Ermittler-oder Opfer-Scripted Reality abgelöst; und bereitet etablierten Formaten mitunter Kummer. «Anwälte im Einsatz» hechelt den Erfolgen der Sat.1-Shows «Auf Streife» und «Auf Streife: Die Spezialisten» auch deshalb hinterher, weil man viel langsamer und eben auf einen Fall konzentriert erzählt. Die Polizei-Dokus handeln ihre Storys in meist etwa zehn Minuten ab. Wieder erkennbar: Die klare Einordnung des Gesehenen, diesmal halt nicht durch einen Talkmaster oder Richter, sondern durch den Streifenpolizisten.
Das war der bislang letzte Schritt der Evolution des Privatfernsehens am Nachmittag. Und weil dieser noch so frisch ist, werden RTL und Sat.1 mit ihren Polizei-Serien sicherlich noch zwei, drei Jahre um die Runden kommen. Dann aber wird sich das Rad wieder weiter drehen. Derzeit wird parallel zu weiteren Polizisten-Sendungen auch wieder in Richtung Ermittler-Soaps experimentiert. Sat.1 startet kommende Woche eine Art «K 11», nur professioneller hergestellt. Was aber mittelfristig noch kommt, ist schwer zu beantworten. Vielleicht schließt sich sogar der Kreis. Möglich wäre etwa eine Rückbesinnung auf die einstige Talkshow – auch wenn jüngste Versuche hier nicht funktionierten. Einen Talkmaster in reale Sets, also Wohnungen, zu schicken und ihn dann On Location diskutieren zu lassen, könnte – der bisherigen Entwicklung folgend – einer der kommenden Trends sein.
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