Einer wirft einfach einen Ring irgendwo rein, andere benutzen einen riesigen Dönerspieß als Pömpel gegen das Böse der Welt. Wenn Serien oder Filme enden, ist der Aufschrei meist groß. Doch zu Recht?
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Jackpot
Doch es geht auch anders. Für mich persönlich ist zum Beispiel das Serienende von «Six Feet Under» mit der kraftvollen Abschlussmontage als Blick in die Zukunft ein perfekter Rahmen für alle Charaktere. Gänsehaut pur. «Desperate Housewives» bediente sich eines ähnlichen Stilmittels – ebenfalls mit Erfolg. Und auch «Star Trek: Deep Space Nine» arbeitete mit einer wehmütigen Montage der Charaktere, dazu gab es noch einen tränenfördernden Song im Club von Vic Fontaine. Wunderbar. Von der zehnteiligen Beendigung aller relevanter Storypunkte vorher ganz abgesehen. Oder – und nun oute ich mich nicht gerade als harter Kerl – nehmen wir das Ende von «Dawsons Creek». An sich schon ein All-time-Favourite meinerseits, am Ende jedoch auch nochmal schlicht wunderschön. Und Dawson darf am nächsten Tag Steven Spielberg treffen. Mehr geht nicht.
Doch auch in der Betrachtung der Allgemeinheit gibt es solche Serien. «Breaking Bad», «Star Trek: The Next Generation», «Sons of Anarchy» oder «Friends» scheinen einhellig als gelungen beendet angesehen zu werden.
Negative Stimmen sucht man dort weitestgehend vergeblich. Handelt es sich bei diesen Beispielen etwa um die ganz selten doch auftretenden hellen Momente, in denen wirklich alles für fast jeden passt? Ist hier die Qualität einfach wirklich höher? Sind die Serien nur schlichter gestrickt? Oder hat vielleicht eher eine übernatürliche Macht ihre Finger im Spiel gehabt?
Bei all diesen Fragen fühle ich mich gerade kurz wie Jonathan Frakes in «Beyond Belief: Fact or Fiction» – hat dessen Serie eigentlich ein Ende gehabt? Ich glaube nicht, dass ich ganz zum Schluss noch an Bord war… wobei: Einmal Riker zum Schluss am Stromkasten reicht eigentlich. Fragt mal bei Captain Archer nach.
Erwartungshaltung
Was hat es also mit unseren Erwartungen auf sich? Mit welcher Haltung gehen Zuschauer eigentlich an das Ende einer Serie heran? Wie baut man sich selber eine Erwartungshaltung auf? Wie beeinflussen die Autoren (vielleicht auch unbewusst) das, was wir uns für die Zukunft wünschen? Wie realistisch sind unser Wünsche und worin begründet sich die oft zu Tage tretende Diskrepanz?
Steckbrief
Björn Sülter ist bei Quotenmeter seit 2015 zuständig für
Rezensionen,
Interviews &
Schwerpunkte. Zudem lieferte er die Kolumne
Sülters Sendepause und schrieb für
Die Experten und
Der Sportcheck.
Der Autor, Journalist, Podcaster, Moderator und Hörbuchsprecher ist Fachmann in Sachen
Star Trek und schreibt seit 25 Jahren über das langlebige Franchise. Für sein Buch
Es lebe Star Trek gewann er 2019 den
Deutschen Phantastik Preis.
Er ist Headwriter & Experte bei
SYFY sowie freier Mitarbeiter bei
Serienjunkies, der GEEK! und dem FedCon Insider und Chefredakteur des Printmagazins
TV-Klassiker und des
Corona Magazine.
Seine Homepage erreicht ihr
hier, seine Veröffentlichungen als Autor auf seiner
Autorenseite.
Sicher ist: Serien, die eine verzwickte Mythologie einführen sind oft gezwungen, in ihrem Verlauf immer weiter darauf aufzubauen. Antworten bringen neue Fragen hervor, andere Fragen geraten in Vergessenheit oder passen auf einmal nicht mehr in eine neue Richtung und werden vorsätzlich fallengelassen. In den seltensten Fällen ist die komplette Serie vorab ausgearbeitet. Und selbst wenn vorher ein großer Plan existiert, ist das keine Garantie für Kohärenz (man frage mal bei Herrn Straczynski bezüglich «Babylon 5» nach).
Die meisten Produzenten und Autoren sind gezwungen, flexibel auf verschiedene Faktoren einzugehen. Schauspieler kommen und gehen, Handlungsstränge funktionieren einfach nicht, das Studio mischt sich ein, Absetzung droht. Und selbst wenn eine Produktion von derartigen Faktoren weitestgehend verschont bleibt: Wie oft wechselt heute selbst bei erfolgreichen Formaten der Showrunner? Wie oft die Besetzung des Writers Room? Neue Kräfte bringen neue Ideen, verwerfen alte oder sind sich einiger Dinge schlicht nicht bewusst. Menschen machen Fehler. Und man sieht, wie leicht es ist, Entschuldigungen zu finden.
Für uns Serienfans, die wir dazu neigen, jeden Winkel „unserer Serie“ zu sezieren sind das natürlich keine adäquaten Argumente. Wir wollen ein perfektes Produkt, dessen innere Logik dem ständigen Abklopfen standhält. Doch darf das wirklich der Anspruch sein?
Das Leben ist ein Hospital, in dem jeder sein Bett wechseln möchte. (Charles Baudelaire)
Wenn man Herrn Baudelaire beim Wort nimmt, ist es schlichtweg nicht möglich, das Gros der Zuschauer zufriedenzustellen. Und tatsächlich neigen wir in den meisten Fällen einfach dazu, das Haar in der Suppe zu suchen. Im Großen wie im Kleinen. Im Job wie privat. Bei Partner oder Partnerin. Im Hobby wie beim Nachbarn. Dann muss doch wenigstens unsere Lieblingsserie unangreifbar sein. Irgendwie verrückt.
Denn, dass wir eine hohe Anzahl Haare in allen Suppen finden, ist kein Hexenwerk. Menschen machen Fehler und treffen falsche Entscheidungen. Nicht nur im Alltag sondern auch am Schreibtisch. Das betrifft Autoren von Serien und Filmen wie die Kollegen im Sektor des gedruckten Wortes. Ein George R. R. Martin hat auch irgendwann während seines erfolgreichen Thron-Epos mal den Faden verloren. Mit Kritik haben ihn seine Fans zumindest nicht verschont. Für ihn persönlich mag das was auf dem Papier steht jedoch vielleicht sogar exakt das sein, was er dort sehen wollte. Macht es das richtig? Oder falsch? Oder ist das gar nicht die Frage?
Und was diese Kolumne angeht – ich möchte gar nicht wissen, wie oft ich da inhaltlich schon falsch abgebogen bin oder die fiktive Realität verzerrt oder ihr Unrecht getan habe. Auch will ich gar nicht bezweifeln, dass ich schlicht zu doof bin, einige Serien so weit zu durchsteigen, dass ich sie wirklich beurteilen kann. Vielleicht schützt mich meine Beschränktheit ja auch vor Enttäuschungen? Wenn dem so sein sollte, werde ich vermutlich leider nie in der Lage sein, das zu realisieren. Vielleicht ist Schlichtheit also ein Geschenk. Zumindest in diesem Fall.
Doch zurück zu den Haaren und der Suppe. Brauchen wir also vielleicht unsere Unzufriedenheit und die ewige Suche nach Fehlern für unser Selbstwertgefühl? Ist unser Ego Antriebsfeder für das Zerpflücken der Werke anderer?
Wenn man die Generation „BILD“ als Indikator nimmt, mag diese Vermutung stimmen. Das Hochloben und Niederreißen von Idolen wird nirgendwo so zelebriert wie in Deutschlands beliebtestem Schmierblatt. Der gefährlichste Ort ist immer der Gipfel – von dort kann es nur abwärts gehen. Und alle schauen gerne dabei zu.
Bei Serien ist das letztlich nicht anders. X liebt seine Serie. Y kann nichts damit anfangen. Auf einmal liest Y, dass sich in der Serie ein böser Logikfehler eingeschlichen hat. Ein gefundenes Fressen, dem Kollegen X das debile Dauergrinsen aus dem Gesicht zu wischen. Was ich nicht mag, soll einem anderen auch keine Freude machen. Ist das die Denke? Kann so etwas Spaß machen? Sind tatsächlich niedere Instinkte im Spiel? Oder drifte ich hier inzwischen so weit vom eigentlichen Thema ab, dass mir keiner mehr folgen kann?
Wer hat denn nun Schuld?
Keiner. Ich unterstelle, dass so ziemlich jeder an einer Serie Beteiligter in seinem bescheidenen Rahmen versucht, zum Gelingen beizutragen. Das unterscheidet ihn aber in letzter Konsequenz auch nicht wirklich von den Damen und Herren von der Straßenreinigung, der Bäckereifachverkäuferin oder meiner Zahnarzthelferin. Die geben auch im Normalfall ihr Bestes – trotzdem ist das Brötchen morgens mal zu hart oder das Absaugen beim Bohren geht zu langsam. Auch diese armen Menschen haben bessere und schlechtere Tage, leiden unter ihren Bossen oder stehen kurz vor dem Burn-out. Kann man es wissen?
Man muss schon sehr zynisch gestrickt sein, wenn man seinen Mitmenschen Fehler verweigern will. Die Sache mit dem Glashaus und dem Stein. Vielleicht sollten wir einfach ein wenig entspannter mit unserer Erwartungshaltung umgehen. Die Zigarre einfach mal eine Zigarre sein lassen, um es mit Freud zu sagen. Etwas was uns Spaß macht, muss nicht perfekt sein. Wir sind es doch auch nicht. Wenn es Spaß macht, hat es meist schon einen großen Dienst in unserem Leben geleistet.
Ewige Unzufriedenheit ist das mit Abstand wirkungsvollste empfängnisverhütende Mittel gegen Augenblicke des Glücks. (Ernst Ferstl)
Ich möchte mir mein Glück nicht von den unvermeidbaren Unzulänglichkeiten anderer kaputt machen lassen. Und andere sollten mit mir bitte genauso nachsichtig sein. Nötig ist es allemal.
Conclusio
Solange Menschen mit Menschen zusammen im Auftrag von Menschen etwas für andere Menschen erdenken und servieren, befinden wir uns in einem schier unüberwindlichen Teufelskreis aus Erwartungshaltung, Inkompetenz, Launenhaftigkeit, Fehlentscheidungen, Fehleinschätzungen oder schlicht Pech. Denn selbst wenn A und B wissen was G und Z wollen, kann jederzeit noch C, D, E oder G dazwischenfunken und etwas beisteuern, was I, J und mindestens Y gar nicht gut finden werden. Dafür aber auf jeden Fall L, O und S. Wobei S seine Meinung auch gern mal ändert, wenn T mit guten Argumenten zur Tür reinkommt.
Und in allerletzter Konsequenz müssen wir es eben doch mit Christian Dietrich Grabbe halten:
Wer Zahnweh hat, wünscht, dass es Kopfweh wär’, und wär’ es Kopfweh, würd’ er Zahnweh wünschen.
Menschen sind so. Menschen müssen so sein. Genießen wir nicht nur gemeinsam das, was wir sehen, hören oder lesen, sondern auch unseren Unmut darüber. Lächeln wir es weg und erfreuen wir uns an dem, was uns Freude gibt. Jemand anderes hat sein eigenes „Ding“ – und auch wenn wir daran herummäkeln: Er wird es weiter mögen. Vielleicht sogar noch etwas mehr. Aber hören wir nicht auf, zu Fragen und zu Suchen. Denn das treibt uns alle an und macht uns in letzter Konsequenz auch besser. Den Otto Normal auf der Straße und auch den armen Serienautoren, der keine Fehler machen darf.
Wenn wir alle nur noch selig lächeln und vollkommen unreflektiert auf unseren Ottomanen wegdämmern, käme eines ganz sicher zu kurz: Die Diskussionskultur. Und das wäre eine Art von Kommunikationssendepause, die zumindest ich sicher nicht erleben möchte.
Jetzt noch ein Amen hinterher und ich qualifiziere mich direkt für den nächsten Kirchentag.
Sülter hat für heute Sendepause, ihr aber bitte nicht – Wie sind eure Erfahrungen? Wo habe ich Recht oder auch absolut Unrecht? Welche Serienenden passen, welche gar nicht? Und woran lag das für euch? Was führt zu euren Erwartungshaltungen? Vor welchen Enden aktueller Serien habt ihr am meisten Angst? Und was können Fernsehschaffende generell tun, um uns Zuschauer im Gros zufriedener mit ihren Produkten zurückzulassen? Denkt darüber nach, sucht nach Antworten und sprecht mit anderen drüber. Gerne auch in den Kommentaren zu dieser Kolumne. Ich freue mich drauf.
In 14 Tagen sehen wir uns zur nächsten Ausgabe von «Sülters Sendepause».
Die Kolumne «Sülters Sendepause» erscheint in der Regel alle 14 Tage Samstags bei Quotenmeter.de und behandelt einen bunten Themenmix aus TV, Film & Medienlandschaft.
Für konkrete Themenwünsche oder -vorschläge benutzt bitte die Kommentarfunktion (siehe unten) oder wendet euch direkt per Email an bjoern.suelter@quotenmeter.de.
Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
26.03.2016 15:42 Uhr 2
26.03.2016 16:35 Uhr 3
26.03.2016 19:37 Uhr 4
Viele von uns sollten sich Vieles aus dem zweiten Teil der Kolumne vielleicht ab und an vor Augen führen, bevor was auch immer oftmals unangemessen kritisiert wird. Das könnte unser Miteinander tatsächlich erheblich angenehmer gestalten. Aber manchmal wird man den Eindruck nicht los, dass der Zug dafür schon lange abgefahren ist - zumindest innerhalb anonymer Online-Welten.
Aber wir waren ja bei Serienenden. Es ist wohl schlicht unmöglich es allen(oder wenigstens einer großen Mehrheit) recht zu machen. Selbst bei den genannten Ausnahmen, wo dies doch gelungen scheint, gibt es genügend (teils über-)kritische Stimmen. Sons of Anarchy sei da als Beispiel genannt.
Herr der Ringe wurde genannt: ging es denn nicht genau darum, den einen Ring zu zerstören? Das wurde doch zu Beginn so etabliert - für Buchkenner und jene die sich nur die Filme anschauen mochten. Das ist allerdings schon etwas her und für mich zählt ohnehin mehr der Weg als Ziel.
Und LOST...oh man, was habe auch ich über die Jahre hinweg immer wieder argumentiert, erklärt und und und. Inzwischen sehe ich die Sache wesentlich entspannter - es gibt eben unterschiedliche Erwartungshaltungen, Meinungen usw. Ich habe erst vor wenigen Wochen einen Rewatch abgeschlossen und für mich überwiegen die Stärken der Serie deren Schwächen so stark, dass das garantiert nicht der letzte Ausflug auf die Insel war.