Nicht nur opulent ausstaffiert, sondern auch richtig gut erzählt und gespielt. Dem ZDF-Dreiteiler gelingt der Spagat zwischen Melodram und kluger Reflexion über Nachkriegsdeutschland ganz hervorragend.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Sonja Gerhardt als Monika Schöllack
Claudia Michelsen als Caterina Schöllack
Maria Ehrich als Helga Schöllack
Emilia Schüle als Eva Schöllack
Heino Ferch als Prof. Dr. Jürgen Fassbender
Uwe Ochsenknecht als Fritz Assmann
Sabin Tambrea als Joachim Frank
Hinter der Kamera:
Produktion: UFA Fiction
Drehbuch: Annette Hess
Regie: Sven Bohse
Kamera: Michael Schreitel
Produzenten: Nico Hofmann und Benjamin Benedict«Ku’damm 56» empfängt seine Zuschauer (besonders die kritischen) nicht mit der überzeugendsten Eröffnung. Nach einer kurzen Vorblende auf einen Rock’n’Roll-Tanzwettbewerb verschlägt es uns in eine Berliner U-Bahn der 50er Jahre, in der die junge Monika Schöllack (Sonja Gerhardt) mit dicken Brillengläsern, Mauerblümchen-Haarschnitt und großem Koffer in Berlin anreist. Die Assoziationen sollen eindeutig sein: das naive Mäuschen in der großen Stadt, die sie nicht versteht, auf dem Weg zu ihrer herrschsüchtigen Mutter, die sie demütigen wird, und der einzige Lichtblick ist ein junger Mann, der sie mit einem schnellen Griff und einem kecken Spruch davor bewahrt, in den U-Bahn-Schacht zu stürzen, und der den Gesetzen von ZDF-Dreiteilern zufolge unweigerlich ein
Love Interest werden wird. Die Erwartungshaltung dieses Kritikers zu diesem Zeitpunkt: Du lieber Gott, was steht uns da noch für ein 50s-Kitsch bevor.
Die gute Nachricht: Es wird besser. Viel besser. Denn diese Monika Schöllack darf sich wandeln – und zwar nicht nur vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan oder vom unterdrückten Mädchen zur selbstbewussten Frau. Ihre Wandlung geschieht komplexer, psychologisch sinniger, angenehm langsam, ohne unglaubwürdige abrupte Sprünge. Eine junge Frau, die zu sich und ihrem Platz in der Welt findet, in einer Stadt und einem Land, das nach der Vernichtung ganz Europas gleichsam zu sich und seinem Platz in der Welt finden muss. So pathetisch kann man das zumindest einmal interpretieren.
Während Monika Schöllack für die erwachende Jugend und den Anbruch einer neuen Zeit stehen kann, verkörpert ihre Mutter Caterina das genaue Gegenteil: Stockkonservativ bis ins Mark, revanchistisch, rassistisch ganz im Stil der Zeit, mit einer kleinbürgerlich-bigotten Weltanschauung, die heute wohl nicht einmal mehr von Björn Höcke und seinen seltsamen Gesinnungsgenossen geteilt wird. „Keine Negermusik!“, lautet ihre Aufforderung an die Musiker anlässlich der Hochzeit ihrer Tochter Helga (Maria Ehrich). Psychische Krankheiten sind für sie, ebenfalls ganz im Stil der Zeit, neumodische Erfindungen. Als ihre andere Tochter Monika, die Unvermittelbare, von einem Camus und Musil lesenden Großunternehmenszögling vergewaltigt wird, nennt sie das einen „kleinen Hickhack“ und versucht eine Eheschließung in die Wege zu leiten. Und als sich schließlich herausstellt, dass die Tanzschule am Kurfürstendamm, in der sie mit strengem Regiment Benimmkurse für widerwillige Adoleszenten abhält, durch ihre guten Kontakte zu Hermann Göring arisiert worden war und man die ursprünglichen (jüdischen) Eigentümer mit den bekannten Mitteln umgebracht hatte, ist ihre Reaktion eine nur schwer erträgliche.
© ZDF/ Stefan Erhard
Caterina Schöllack (Claudia Michelsen, m.r.) mit ihren Töchtern Eva Schöllack (Emilia Schüle, l.), Monika Schöllack (Sonja Gerhardt, m.l.) und Helga Schöllack / von Boost (Maria Ehrich, r.).
Auf den Punkt geschrieben und erstklassig gespielt
Solche thematischen Ansätze mit melodram-kongruenten Handlungssträngen zu verweben, ist selten eine gute Idee. Geschichtliche Aufarbeitung, wenn nicht gar eine weitläufige Reflexion gepaart mit (nicht unbedingt den innovativsten) Boy-meets-Girl-Geschichten – das funktioniert nur in sehr, sehr wenigen Fällen. «Ku’damm 56» ist so einer.
Das liegt an den auf den Punkt geschriebenen und von ihren Darsteller(inne)n großartig gespielten Figuren. Autorin Annette Hess lässt ihre Charaktere Kinder ihrer Zeit sein, und zugleich ambivalent, kontrovers und psychologisch vielschichtig.
Helga Schöllack etwa baut das Leben ihrer Mutter nach. Sie heiratet einen Staatsanwalt-in-spe, in erster Linie aus finanziell-gesellschaftlichen Gründen und erst in zweiter Linie aus Sympathie. Dass er schwul ist und keinerlei sexuelles Interesse an ihr hat, verkompliziert die Sache allerdings. Schwester Monika entdeckt derweil den AFN für sich – und die freie Lebenskultur West-Berlins hilft ihr, aus den verkrusteten familiären Strukturen (und gleichzeitig der überkommenen biederdeutschen Mainstream-Gesellschaft) auszubrechen. Die dritte Tochter im Bunde, Eva (Emilia Schüle), arbeitet derweil als Krankenschwester in einer psychiatrischen Klinik, von wo sie nicht selten mit unschicklichen Blutspritzern auf der Schürze nach Hause kommt. Sie ist gerade (ganz im Sinne ihrer Mutter) dabei, sich den reichen und um Jahrzehnte älteren Arzt zu angeln, verliebt sich dann aber bald in einen ostdeutschen Mann – und trifft im Osten auch ihren Vater wieder, der nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft nicht mehr zur Familie zurückgekehrt ist.
Und wo auch immer man sich auf dem «Ku’damm 56» befindet: Überall stehen und sitzen die alten Nazis. Ein Film über Nachkriegsdeutschland ist schließlich zwangsläufig ein Film über deutsche Schuld, die dieser Dreiteiler intelligent zu reflektieren weiß. Dass das im Zusammenspiel mit einer opulent ausstaffierten, atmosphärischen Ästhetik und ohne Widersprüche mit den eher melodramatischen Aspekten der Narrative funktioniert, ist ein großer Verdienst.
Man mag nun anführen, dass «Ku’damm 56» nicht so intelligent ist wie Anette Hess‘ anderer historischer Stoff, die ARD-Serie «Weißensee», und vielleicht auch nicht so relevant. Trotzdem ist ihr und den übrigen Machern hier ein tolles Projekt gelungen, das einen mit geglücktem
Look and Feel in die deutschen 50er Jahre entführt und einen – nicht suggestiv, sondern mit dem Willen zur Problematisierung – über die sozialen und politischen Errungenschaften seit dieser Zeit reflektieren lässt, und darüber, was in unserer Gesellschaft noch zu tun ist.
Das ZDF zeigt «Ku’damm 56» am 20., 21. und 23. März, jeweils ab 20.15 Uhr.
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