Als unser Redakteur die Aufgabe erhielt, den Erfolg der RTL-Serie zu ergründen, musste er doch schlucken und zugeben, nicht ohne Vorurteile an die Sache heranzugehen. Ob er sich im Zuge seiner Recherchen seine Frage beantworten konnte?
Muss das sein?
Nein, es war nicht gerade ein Wunschthema. Eine Serie, die der Autor nur am Rande wahrnahm, in die er mehrfach unmotiviert hineingeschaltet und aus der er mindestens genauso schnell wieder herausgezappt hatte. Ein Format, das er nicht verstand, das ihn nicht interessierte und das sich in seinen Augen auch durch kein besonders hohes Niveau auszeichnete. Ein Vorurteil?
Am Anfang war der Peter
Peter Freiberg, Jahrgang 54 und seines Zeichens Musiker, Radiomoderator und Autor der Kreativschmiede
SchreibWaisen, der bereits mit den Formaten «Ritas Welt» und «Alles Atze» große Erfolge vorzuweisen hatte, lieferte RTL bereits 2007 die erste Staffel einer Schulcomedy namens «Der Lehrer», die sich mit dem Wirken von
Stefan Vollmer (Hendrik Duryn) an der fiktiven
Gesamtschule Georg Schwerthoff befasste. Die erste Staffel, bestehend aus neun 25-minütigen Episoden, lag zwei Jahre im Giftschrank, da der Sender keinen Bedarf beim Publikum sah. 2009 versendete man die Serie dann allerdings doch noch in Doppelfolgen. Und siehe da: Quoten gut und
Deutscher Fernsehpreis in der Kategorie
Beste Serie.
Wer nun an eine schnelle Fortsetzung geglaubt hatte, irrte. Erst 2013, also satte vier Jahre später schickte man die Crew wieder zum Dreh. Einige Darsteller schieden aus, andere kamen hinzu. Dazu gehörte auch Jessica Ginkel als Love-Interest und Kollegin
Karin Noske. Nach weiteren acht Episoden ließ sich konstatieren: Die Quoten waren noch besser geworden und es gab den nächsten Preis. Diesmal den
Deutschen Comedypreis in der Sparte
Beste Comedyserie. Nun hatte RTL endlich Blut geleckt. Staffel 3 lief direkt in 2015 und enthielt zehn Episoden (2,71 Millionen Zuschauer im Schnitt), die aktuelle vierte Staffel läuft Ende März nach dreizehn Episoden aus und kann bisher gar über 3 Millionen Fans vorweisen. Eine Fortsetzung im kommenden Jahr ist längst beschlossene Sache.
Kein ganz normaler Typ
Stefan Vollmer ist sicher kein Lehrer aus Leidenschaft – und ein durchaus unkonventioneller Vertreter seiner Zunft noch dazu. Nicht nur, dass er in etwa die gleiche mangelnde Begeisterung für die Lehranstalt aufbringt wie seine Schüler, bei Ruhestörung im Klassenzimmer wird auch schon mal geschrien oder eine Tröte eingesetzt. Und auch in Sachen blumiger Wortwahl ist
Vollmer weniger Vorbild, denn eher ganz normaler Mensch.
Doch zeichnet er auf diese Art auch ein Bild von sich, das die Schüler verstehen und schätzen lernen. Dieser Lehrer ist irgendwie anders, dem Bild des Pädagogen entrückt und auf diese Weise zugänglich. Hier spricht jemand die Sprache der Jugendlichen und begegnet ihnen auf Augenhöhe. Er ist der Lehrer, den keiner von uns in der Realität hatte und den sich vermutlich aber fast jeder gewünscht hätte. Doch sucht er das ständige Drama gar nicht. Die Probleme fliegen ihm oft mehr zufällig zu –
Vollmer ist keiner, der sich aufdrängt, der aber hilft, wenn Not am Mann oder an der Frau ist.
Nebenbei beschäftigt sich die Serie auch mit seinem Privatleben und der On/Off-Beziehung zu Kollegin
Karin Noske sowie mit seinem Sohn, von dem er viele Jahre lang nicht einmal wusste. Handlungselemente, die in jeder beliebigen Serie so oder abgewandelt vorkommen, und die eher als schmückendes Beiwerk denn als Alleinstellungsmerkmal taugen.
Dennoch: Die Serie ist oft durchaus witzig und unterhaltsam, driftet jedoch auch gerne mal in typisch deutsche Albernheiten oder Zoten ab. Aber immerhin darf man noch selber entscheiden, an welchen Stellen man lachen möchte, da eingespielte Konservenlacher glücklicherweise nicht zum Repertoire des Formats gehören.
© RTL/ Frank Dicks/ Sony Pictures FFP
Karin (Jessica Ginkel), Michael (Gabriel Merz), Stefan (Hendrk Duryn, r.).
Von Lümmeln und Leerkörpern
Doch wo liegen die Vorbilder des Erfolgsformats? Gerade in Deutschland muss und kann man da eine ganze Weile zurückblicken. Zwischen 1967 und 1972 wurden sieben Filme der damals sehr beliebten Reihe «Die Lümmel von der ersten Bank» produziert, die auf der literarische Vorlage des satirischen Romans
Zur Hölle mit den Paukern des Deutschlehrers Herbert Rösler (Pseudonym: Alexander Wolf) basierten. Hier spielten Theo Lingen, Hansi Kraus und viele andere Schauspielgrößen wie Uschi Glas, Harald Juhnke oder Peter Alexander in einem Reigen voller Kalauer und zelebrierten den Schulalltag als chaotischen Ritt auf der humoristischen Rasierklinge. Harter Tobak heutzutage, damals aber definitiv ein Straßenfeger.
Steckbrief
Björn Sülter ist bei Quotenmeter seit 2015 zuständig für
Rezensionen,
Interviews &
Schwerpunkte. Zudem lieferte er die Kolumne
Sülters Sendepause und schrieb für
Die Experten und
Der Sportcheck.
Der Autor, Journalist, Podcaster, Moderator und Hörbuchsprecher ist Fachmann in Sachen
Star Trek und schreibt seit 25 Jahren über das langlebige Franchise. Für sein Buch
Es lebe Star Trek gewann er 2019 den
Deutschen Phantastik Preis.
Er ist Headwriter & Experte bei
SYFY sowie freier Mitarbeiter bei
Serienjunkies, der GEEK! und dem FedCon Insider und Chefredakteur des Printmagazins
TV-Klassiker und des
Corona Magazine.
Seine Homepage erreicht ihr
hier, seine Veröffentlichungen als Autor auf seiner
Autorenseite.
1991 bis 1999 ging es da schon deutlich gemäßigter zu, als Robert Atzorn fünf Staffeln lang als «Unser Lehrer Doktor Specht» auftrat. Die Serie ist genaugenommen eine Blaupause für «Der Lehrer», da die Probleme der zentralen Figur ähnlich präsentiert und auserzählt werden, jedoch um den Humorfaktor ergänzt wurden.
Wie wäre es, den Lehrer Doktor Specht mit dem Humor der Lümmel-Filme zu kombinieren? So könnte einer der ersten Ansätze für die Reihe durchaus gelautet haben.
Zuletzt ernteten die beiden cleveren Filme «Fack ju Göhte» und «Fack ju Göhte 2» in den Jahren 2013 und 2015 Kritikerlob und generierten starke Besucherzahlen in den Kinos. Auch dort ging es im weitesten Sinne um einen eher unkonventionellen Umgang mit Schülern und deren Problemen.
Doch auch außerhalb von Deutschland gibt es selbstverständlich potente Vorbilder. So spielte sich bereits 1989 ein gewisser Robin Williams in «Der Club der toten Dichter» in die Herzen des Publikums. Noch heute ist die Geschichte über einen gegen alle Konventionen denkenden und handelnden Lehrer, der seine Schüler zur freien Entfaltung ihres Geistes auffordert, Pflichtstoff an vielen Schulen.
Blick in die Seele des Landes
Der Bedarf an Geschichten über die Schulzeit und die Probleme des Heranwachsens war in TV und Film somit schon immer vorhanden. Peter Freiberg hat bekannte Versatzstücke neu und hip aufgelegt, sympathisch und optisch ansprechend besetzt und damit einen nicht gerade kleinen Markt gefunden.
Die Serie zeigt uns zudem einen relevanten Teil unserer eigenen Sozialisation und lässt eine Zeit aufleben, die jeder erlebt hat, über die man sich gerne austauscht und die bestimmten Mustern folgt. Lieblingslehrer, Lieblingsfächer, Pausengespräche - ach, den kenne ich auch noch! Hier kann wirklich jeder Mitreden und sich selber wiederfinden. Die angesprochenen Probleme sind dem aktuellen Zeitgeschehen unseres Landes entnommen und behandeln das ganze Spektrum von Homosexualität über Migrationshintergrund bis hin zu kleinen oder größeren Familienkonflikten.
Auf diese Art spielt die Serie natürlich mit allen Arten von Vorurteilen, die
Vollmer abzubauen hilft und somit Lösungsschemata und Lebenshilfe in allen möglichen Bereichen anbietet. Jugendliche wie Eltern werden sich hier konstant wiederfinden und in einen Dialog treten können. Ein klares Plus der Reihe, die auf diese Weise nie problemorientiert sondern immer lösungsorientiert arbeitet.
Somit wird hier zwar sicher kein Rad neu erfunden, aber ein gefälliger Mix präsentiert, der den Nerv der Zuschauer trifft. Wie lange sich das aufrecht erhalten lässt, wird man sehen, für den Moment ist «Der Lehrer» jedoch eindeutig auf der Überholspur.
Fazit
Eindeutig: Es ist an der Zeit, Abbitte zu leisten. Die Serie bietet wertig geschriebene Unterhaltung mit Liebe zum Detail, einem großen Herzen und oft geschliffenen Dialogen. Dass sich noch sympathische Darsteller und viel Humor in den Mix schleichen ist sicher nicht von Nachteil.
Somit sind wir wieder bei den Vorurteilen, mit denen man auch zur eigenen Schulzeit sicher oft und leidvoll zu kämpfen hatte. Ein schöner Bogen zur Fehleinschätzung des Autors. Denn der Erfolg gibt der Serie nun mal Recht und ist vor allem eines: Absolut gerechtfertigt.
Es gibt 5 Kommentare zum Artikel
18.03.2016 12:38 Uhr 3
19.03.2016 08:05 Uhr 4
Und, warum schaltet Ihr nicht aus oder um?? Ihr kritisiert die Serie scharf, seit kurz vorm Um - oder Ausschalten gewesen....keiner zwingt Euch, diese Serie zu Sehen!
20.03.2016 08:34 Uhr 5