In Köln kann es auch saucool zur Sache gehen: Der neue «Tatort» wandelt auf den Spuren der «Natural Born Killers» und von «Bonnie und Clyde».
Cast und Crew
- Regie: Sebastian Ko
- Darsteller: Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Patrick Abozen, Rick Okon, Ruby O. Fee, Thomas Bastkowski, Julika Jenkins, Bettina Stucky, Alexandru Cirneala, Joe Bausch
- Drehbuch: Jürgen Werner
- Kamera: Kay Gauditz
- Schnitt: Dora Vajda
- Musik: Dürbeck & Dohmen
- Szenenbild: Frank Polosek
- Kostüm: Brigitte Nierhaus
Was ist dieses Jahr nur beim «Tatort» los? Nachdem Anfang 2016 bereits das qualitativ sonst wenig bietende Bodensee-Team mit dem hochspannenden und emotionalen Fall «Rebecca» punktete (
mehr dazu), besticht nun auch das grundsolide, stilistisch aber unauffällige Team aus Köln mit einer denkwürdigen Mission. Denn «Tatort»-Debütant und Regisseur Sebastian Ko hat gemeinsam mit Drehbuchautor Jürgen Werner (verantwortlich für den erst kürzlich gezeigten Ludwigshafen-«Tatort: Du gehörst mir») eine Hommage an «Bonnie und Clyde», «Natural Born Killers» und «Wild at Heart» geschaffen: Ein Krimi mit Verve, einprägsamen Bildern und zwei jungen, wilden Protagonisten. Vor Originalität platzt die Geschichte des sexuell freimütigen, aggressiven Pärchens Adrian (Rick Okon) und Laura (Ruby O. Fee) angesichts der vielen Parallelen zu anderen Mörderpaaren zwar nicht – doch mit Coolness, dramatischer Fallhöhe und stylischer Bild- und Klangästhetik ist der Neunzigminüter trotzdem ein frischer Wind im sonst so angestaubten «Tatort» aus Köln.
Die oftmals schnell durchschaubare Tätersuche fällt dieses Mal erfreulicherweise weg – der Zuschauer hat nur wenige Minuten lang einen Wissensvorsprung, bevor die Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) aufholen und die überdeutliche Spur des impulsiven Adrian aufnehmen. Dieser platzt mit einem grafischen, sichtbar ausgekosteten Mord in die Anfangsminuten dieses TV-Krimis, der noch ganz ausgelutscht im Villenviertel beginnt. Nur, dass der erwartbare, den Ball ins Rollen bringende Mord von Sebastian Ko nun einmal so drastisch inszeniert wird, dass man sich fast in einem Tukur-«Tatort» wähnt. Oder in einem Schweiger-«Tatort», in dem für wenige Minuten die Knarren weggesteckt werden.
Während sich Adrian und Laura aufmachen, den filmisch so oft vorgelebten, im Kino nahezu durchweg böse endenden Traum wahrzumachen, ein Ausreißer-Gangsterpaar zu werden, sorgen die Ermittlungen der Kommissare für psychologischen Unterbau: Adrian wuchs bei einer pflegebedürftigen Mutter auf. Diese spielt Bettina Stucky mit herzzerreißender Gutmütigkeit, der ihr verwahrlostes Kettenraucherin-Auftreten gegenübersteht. In den Dialogen reißt Werner nur an, weshalb Adrian in diesem Zuhause zum Killer werden konnte. Doch die atmosphärisch dichte Inszenierung unterfüttert diesen wortkargen Fall zwischen den Zeilen mit kunstvoll vermittelten Informationen über die Eltern-Kind-Beziehung.
Diese visuelle Informationsvermittlung zieht sich auch durch die gemeinsamen Szenen des Ausreißer-Liebespaares: Während Adrian in ernsten Gesprächen in filmisch wirksame Manierismen verfällt (so knirscht er mit dem Unterkiefer, als sei er ein Spaghettiwestern-Revolverheld), gibt Laura die 90er-Jahre-Lolita, die so verlogen ist, wie ihr Freund den Kopf in den Wolken hat. Die zwei Teenie-Ganoven haben keine realen Leitbilder, missverstehen ihre fiktiven und ecken aneinander an. Diese beiden Teenager sind also keine weltfremden Psychopathen, die zu oft zu harte Filme geguckt haben, sondern zwei Traumtänzer, die oberflächlich gut zusammenpassen – somit aber eine explosive Mischung ergeben, die ihre Erziehungsberechtigten nicht im Griff haben. Der warnende, moralische Zeigefinger bleibt auf inhaltlicher Seite somit aus – vor wenigen Jahren hätte man das im Ersten noch für unmöglich gehalten, bedenkt man die verstaubte Berichterstattung zum Thema Gewalt in Medien.
Dass sich die Inszenierung zudem ähnlich stark in Filmreferenzen verliert wie die Protagonisten, unterstreicht zusätzlich: Dieser «Tatort» handelt nicht von bösen Einflüssen, sondern schmückt die unvermeidliche Brutalität, indem er auf kulturelle Parallelen hinweist. Und auch, wenn Ko nicht auf den Schultern von Giganten steht, gelingen ihm raffinierte Szenenübergänge, packende Musikentscheidungen und das obligatorische Hochhaus-Finale wird von Kameramann Kay Gauditz in schwindelerregenden Bildern eingefangen. Als Schweiger die Kölner «Tatort»-Produktionen als schnöde und ambitionslos abgestempelt hat, konnte er wohl nicht ahnen, was Behrendt und Bär hier in petto haben. Dieser Ausnahmefall wird es allerdings umso schwerer machen, zu entschuldigen, wenn das Duo wieder zur Currywurstbude stapft, um einen Fall von der Stange zu ordern. Also heißt es wohl: Daumen drücken, dass Werner und Ko öfter für etwas cineastische Würze in der Domstadt sorgen dürfen.
Fazit: Großes Krimi-Kino aus der Domstadt Köln: Aussagekräftige, hypnotische Bilder, zwei tolle, junge Hauptdarsteller und harte Gewaltakzente machen aus einer soliden Story einen starken «Tatort».
«Tatort: Kartenhaus» ist am 28. Februar 2016 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel