Zum Start der zweiten Staffel wirft Julian Miller einen Blick auf die vielen Facetten des Saul Goodman.
Saul Goodman arbeitet in einem Café in einer Mall im großstädtischen und zugleich provinziellen Omaha, Nebraska. Nachts trägt er die Müllsäcke raus, grüßt die gleichsam gescheiterten Existenzen, die die Putzwägelchen fahren, und guckt sich, wenn er sich melancholisch den Rest geben will, alte Videos von früher an.
Damals, bevor er untertauchen musste, hat er in Albuquerque gelebt und als drittklassiger Anwalt, der nur dank der laxen Kriterien der Universität von Amerikanisch-Samoa überhaupt einen Abschluss erreichen konnte, zwielichtige Gestalten verteidigt. Sein berüchtigtster Mandant war freilich Walter White, der ihn so präsent ins Fadenkreuz von organisierter Kriminalität und engagierten Strafverfolgungsbehörden gerückt hat, dass er die Reißleine ziehen und weit weg ein neues Leben anfangen musste.
In fucking Omaha.
Ganz früher hieß Saul Goodman noch Jimmy McGill. Damals wohnte er in Illinois und hat zusammen mit einem Freund in einer Reihe klug ausgetüftelter Kleinbetrügereien die Leute abgezogen. Irgendwann ist er dann für kurze Zeit im Knast gelandet. Sein Bruder, ein erfolgreicher Anwalt in New Mexico, hat ihn schließlich (wohl nicht ganz ohne Zwang) unter seine Fittiche genommen und zu sich in den Westen gekarrt. Dort wird aus
“Slippin‘ Jimmy“ jener drittklassige Anwalt mit dem Diplom aus Amerikanisch-Samoa, der schlecht bezahlte Pflichtverteidigungen in aussichtslosen Fällen runterrattert und sein Büro in einem Kabuff in den Räumlichkeiten eines koreanischen Schönheitssalons führen muss.
Saul Goodman hat viele Gesichter und viele grundverschiedene Lebenssituationen. Wir kennen ihn lange Jahre als den überdrehten, mit allen Wassern gewaschenen abgehalfterten Anwalt der Unterwelt aus «Breaking Bad», und nun seit einem Jahr aus dem Spin-Off «Better Call Saul» als den erfolglosen Jimmy McGill, auf den die großen Kanzleien nur mit Verachtung blicken bis er einen Multi-Millionen-Dollar-Fall an Land zieht – und, so beginnt die kürzlich gestartete zweite Staffel, nun einen Platz in der Liga der allglatten Anzugträger-Anwälte einfordert.
Die meisten Filme und Serien zeigen nur einen (zeitlichen) Ausschnitt einer Figur. Die ambitionierteren unter ihnen erzählen eine (zeitlich oftmals ebenso eng begrenzte) Charakterwandlung. Doch selten hat man eine Figur in so vielen unterschiedlichen Lebenssituationen, unter so vielen verschiedenen Lebensbedingungen (und mit so vielen Alibis) gesehen wie Saul Goodman.
Gleiches gilt für die Tonlagen der beiden Serien, die sich trotz ähnlicher Stilmittel recht klar unterscheiden: «Breaking Bad» war abgründiger und philosophischer, «Better Call Saul» ist dagegen schwarzhumoriger. Meistens zumindest. Denn eine Folge der ersten «Saul»-Staffel war (gemessen am übrigen Stil der Serie) überraschend wehmütig und tragisch angelegt –
und verdeutlichte eindrucksvoll, welche Bandbreite dieses Format zulässt.
Ob Saul Goodman oder Jimmy McGill oder der (noch?) namenlose schnauzbärtige Untergetauchte in Omaha, Nebraska – diese Figur ist unheimlich faszinierend. Wahrscheinlich weil sie so facettenreich ist und so viel komödiantisches wie tragisches Potential in ihr wohnt.
Starke Figuren machen starke Serien. Eines der besten Beispiele ist «Better Call Saul».
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