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Es wurde die
dritte Phase der Entwicklung von Quality Television eingeleitet, in der die Formate mit abgeschlossener Episodenhandlung (gekoppelt an fortlaufende Figurengeschichten) die Primetime dominierten.
Während im Jahre 2001 noch ungefähr zehn solcher Serien auf den Networks liefen, wurden es 2002 schon 13 und 2005 ungefähr 21 - gegenüber 9 Serien mit Fortsetzungshandlung. Die Produktionen, die im Krimiumfeld anzusiedeln sind, d.h. sich mit Aufklären von Verbrechen beschäftigen, bildeten bis 2010 nach wie vor mehr als 50 Prozent der Drama Series. Im „besten“ Jahr 2005 waren es ganze 17 Serien: Das «CSI»-Franchise, das «Law&Order»-Franchise, «Cold Case», «Crossing Jordan», «Medium», «NCIS», «Bones», «Close to Home», «Criminal Minds», «Veronica Mars», «Without a Trace», «Ghost Whisperer» und «Numb3rs».
Diese dritte Phase ist sehr eng an eine andere Entwicklung geknüpft, nämlich die technische. Damit sind vor allem zwei Prozesse gemeint: die fortschreitende Digitalisierung des Fernsehens, die Übertragung im 16:9-Format und gleichzeitig der veränderte Status des Fernsehens in der Zuschauerwahrnehmung, ermöglicht durch den Fortschritt der Empfangsgeräte. Die neuen Home Cinema Anlagen, verbunden mit riesigen Fernsehbildschirmen mit hoher Auflösung, machen aus der Fernsehübertragung ein Spektakel und ermöglichen es den Produkten, zur vollen ästhetischen Entfaltung zu gelangen. Dazu kommen noch alle Sorten von Recordern, die den Zuschauern erlauben, die Werbepausen zu überspringen.
Die großen Medienkonzerne waren Anfang des neuen Jahrhunderts damit beschäftigt Serien mit abgeschlossener Folgenhandlung auf Fließband zu produzieren und auszustrahlen, während sie ihre Kabelableger für Experimente im Bereich des horizontalen Erzählens nutzen. Nicht nur der Überschuss an Krimi-Serien mit „Fall der Woche“ sorgte vor ein paar Jahren für einen neuen Wandel, sondern auch die Zersplitterung der Zuschauer. Das lukrative Lizenzgeschäft führte dazu, dass innerhalb desselben Konzerns die Sender miteinander konkurrierten und immer mehr neue Serien bestellt wurden.
Wenn man bedenkt, dass im Jahre 1983 zirka 100 Millionen Amerikaner das Finale von «MASH» gesehen haben, fallen die zehn Millionen von «Breaking Bad» oder die 15 Millionen von «NCIS» mickrig aus. Aber trotzdem gelten beide Serien als Erfolge.
Man kann nicht genau den Zeitpunkt markieren, an dem die Sender das horizontale Erzählen für sich wieder entdeckt haben, aber wir befinden uns damit in der nächsten (
vierten) Phase der TV-Serienentwicklung. Diese wird vom Aufkommen der Streaming-Dienste dominiert. Die Veränderungen des Fernsehens und der Wert der Produkte sind Ergebnisse eines nicht nur ökonomisch-technischen, sondern auch
kulturellen Wandels hin zu einem verstärkten Individualismus
trotz Massenmedien, im Zuge dessen jeder ermutigt wird, sein Recht zu beanspruchen - auf Befriedigung der spezifisch eigenen Bedürfnisse einerseits, auf Mitsprache andererseits. Der Zuschauer hat die Qual der Wahl – etliche Sender, unzählige Produkte, für die alle er nicht einmal die Zeit hat, sie zu konsumieren. Im Moment gleicht die Serienlandschaft einem Buchmarkt, auf dem jeder Geschmack bedient wird. Wann man das nächste Kapitel der ausgewählten Geschichte „sieht“, ist einem selbst überlassen.
Dadurch lassen sich horizontal erzählte Geschichten besser präsentieren und konsumieren und logischerweise befinden sie sich auch auf dem Vormarsch. In den knapp 25 Jahren, die wir uns hier angeschaut haben, ist auf dem amerikanischen Markt unheimlich viel passiert. Der europäische Markt muss all die Entwicklungen in noch kürzerer Zeit aufholen ohne auf Hollywoods Studiosystem zurückgreifen zu können. Ein anderes Problem ist das Erschaffen einer Art Serientradition und das Erschaffen von Sehgewohnheiten. Auf dem deutschen Markt besteht immer noch eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Zuschauer und dem tatsächlichen Angebot. Der Markt und die Zuschauer hatten nie die Gelegenheit sich zusammen zu entwickeln, so wie in Übersee. Die Zuschauer muss man sich „erziehen“. Außerdem sind die Konkurrenzverhältnisse hierzulande bis jetzt kaum vorhanden. Und wie man gesehen hat, schafft nur Konkurrenz Qualität.
Das richtige Rezept für die deutsche Serienlandschaft gibt es nicht, aber das Goldene Zeitalter der TV-Serie in Deutschland auszurufen, klappt nur dann, wenn man mehr als nur ein paar Serien pro Jahr produziert. Die Voraussetzungen für das Schaffen einer Serienlandschaft sind vorhanden und ich glaube, dass die Branche dieses Mal fest entschlossen ist, sie zu nutzen.
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