Seite 1
Steckbrief
Dr. Vladislav Tinchev ist als Redakteur bei
Quotenmeter zuständig für
Rezensionen,
Interviews und
Schwerpunktthemen. Bis 2012 war er bei den Kollegen von Serienjunkies aktiv. Er arbeitet als Headwriter für die bulgarische Serie "Fourth Estate" (zweite Staffel), hat für ARD-Degeto die Krimi-Reihe «Branka Maric» entwickelt und unterrichtet an der Universität in Hamburg. Weitere Informationen gibt es auf seiner
Homepage.
Seit Jahren ist man/frau in Deutschland daran gewöhnt, sich über die Produktion eigener Serienformate zu ärgern und US-Qualität zu fordern. Die Gründe, warum man den Forderungen nicht so einfach nachgehen kann bzw. warum das sehr selten geschieht, sind mannigfaltig und es ist nicht unser Vorhaben an dieser Stelle alles schon Geschriebene und Gesagte zu wiederholen. Viel mehr geht es hier darum, die US-Entwicklung zu beleuchten. Denn die gefeierten US-Serienprodukte kamen nicht durch ein Wunder oder durch das plötzliche Aufkommen genialer Autoren, sondern aufgrund vieler ökonomischer und struktureller Veränderungen auf den Markt. Das Beleuchten der Hintergründe ist kein Versuch die deutsche Serienlandschaft zu „entschuldigen“, sondern dient dem Verständnis, warum sie ihre Zeit braucht und warum das goldene Serien-Zeitalter ein Prozess ist, der möglicherweise, aufgrund von Marktveränderungen und den damit verbundenen Möglichkeiten, hierzulande gerade erst begonnen hat...
Als Robert J. Thompson 1996 in seinem Buch „Television’s Second Golden Age“ über Quality Television schrieb, gab es seinen Worten zufolge nicht viel, worüber er schreiben konnte. Spätestens seit der Geburt des «CSI»-Franchises Anfang des neuen Jahrhunderts ist es nicht mehr so. Nahezu jedes Jahr werden immer mehr Serienformate bestellt und produziert. Das so genannte Qualitätsfernsehen weist aber eine phasenartige Entwicklung auf:
Die
erste Phase erstreckt sich von der Premiere von «Hill Street Blues» (1981) bis zur Absetzung von «Twin Peaks» (1991) und umschließt noch einige wenige Produkte wie «St. Elsewhere», «Moonlighting» und «Miami Vice». Diese erste Phase markiert eine wirtschaftliche Krise für die Networks. In den 80er Jahren bekamen ABC, NBC und CBS starke Konkurrenz durch das Kabelfernsehen. Im Kabelfernsehen durften sich die Konzerne vertikal organisieren und strukturieren, während den Networks dies untersagt war – für sie galten weiterhin die FinSyn-Rules und die PTAR (Primetime Access Rules). Im Jahre 1970 verabschiedete FCC (Ferderal Communications Commission), damals noch nur Kartellaufsicht, zwei neue Regelwerke:
Die
Financial Interest and Syndication Rules sowie die
Prime Time Access Rule. Letztere legte fest, dass die Lokalstationen in der Prime Time (19 bis 23 Uhr) nur jeweils drei Stunden Network-Programm zeigen durften. Der Rest der Zeit musste mit Eigenproduktionen (z.B. Nachrichten) oder aber Syndication-Ware gefüllt werden. Die
Financial Interest and Syndication Rules (kurz FinSyn) verordneten, dass die Sender keine Programme selbst produzieren und nicht mehr als die Rechte zur Erstausstrahlung erwerben konnten.
Das Geschäft mit den Syndication- und Auslandsrechten kam damit den Produktionshäusern zu Gute. Als Antwort darauf kürzten die Networks die Lizenzgelder, die sie für die Ausstrahlung an die Produzenten zu zahlen bereit waren. So wurde jede Serienproduktion für die Produktionsfirma zunächst ein Verlustgeschäft. Erst durch weitere Verkäufe konnte man in die Gewinnzone kommen. Das ist einer der Hauptgründe, warum sich außer den großen Hollywood-Studios fast niemand im Produktionsgeschäft behaupten konnte: Die neuen Regelungen lagen somit im Interesse der Hollywood-Studios: sie etablierten diese weiterhin als größte Lieferanten von Fernsehprogrammen und ermöglichten einen garantierten und permanenten Zugang zum wichtigsten Markt.
Ein positives Ergebnis dieser Regeln bestand in der deutliche Zunahme an Gründungen von Lokalsendern. Ihre Zahl erhöhte sich von
78 im Jahre 1975 auf
214 nur zehn Jahre später.
Die Lokalstationen setzten zu Beginn der 80er Jahre eher auf Programme, die einzig und allein für diesen Markt produziert wurden, auf Programme aus der so genannten
First-Run-Syndication. Die Anzahl der Lokalsender war derartig angestiegen, dass es sich nun für die Produzenten lohnte, etwas zu riskieren und nicht nur Game- («Wheel of Fortune», «The Price is Right») und Talk-Shows («The Oprah Winfrey Show»), sondern auch aufwändige Serien für den Syndication-Markt zu produzieren.
Daraus ergaben sich
zwei Entwicklungen: Einerseits erhoben die Networks die Seifenoper und damit eine bestimmte Art seriellen Erzählens zu einem Primetime-Genre, und zwar mit weltweitem Erfolg – «Dallas», «Dynasty» und «Falcon Crest». Andererseits wurden aufwändige Produktionen für den Syndication-Markt produziert. Diese widmeten sich überraschenderweise einem Genre, das von den Networks abgeschrieben worden war und als ungeeignet bzw. unrealisierbar für das Fernsehen galt: dem
Science Fiction-Genre. Dabei erkannten die Produktionsfirmen die Möglichkeit, ein neues Produkt anzubieten und zugleich vertraute und relevante Themen anzusprechen, die sich bereits in einem anderen Genre, das dem Sci-Fi-Genre sehr nahe steht, behauptet haben – nämlich im
Western. Wenn man die Kinoproduktionen und die sozial-politischen Umstände bzw. Zustände des Kalten Krieges in Betracht zieht, dann verwundert es nicht, dass ein altes Thema in neuer Verpackung im Massenmedium Fernsehen Erfolg finden konnte.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie Serien wie «Star Trek» und «The X-Files» sich den Weg bahnten.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel