Die Fortsetzung von «Operation Zucker» widmet sich erneut sehr bedacht dem Thema Zwangsprostitution bei Kindern. Eine bedrückte Kritik.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Nadja Uhl («Der Baader Meinhof Komplex») als Karin Wegemann, Mišel Matičević («Schuld nach Ferdinand von Schirach») als Ronald Krug, André Szymanski als Maik Fellner, Jördis Triebel («Emmas Glück») als Helen Voss, Sebastian Hülk als Kai Voss, Carlotta von Falkenhayn als Lucy, Stephanie Amarell («Das weiße Band») als Vanessa, Rainer Bock («Das weiße Band») als Staatsanwalt Mack, Matthias Matschke («Pastewka») als Innenminister Thalmeier-Reize, Rick Okon («Ein Schnitzel für alle») als Victor und andere
Hinter den Kulissen:
Regie: Sherry Hormann, Buch: Friedrich Ani und Ina Jung, Musik: Fabian Römer, Kamera: Armin Golisano, Produktion: Wiedemann & Berg
Für manche ist es eine Frage des Geschäfts: Etwa 4.000 Euro, so erzählt es
«Operation Zucker – Jagdgesellschaft», erhält eine Mutter, wenn Sie ihr Baby in ein Auto reicht, um es in die Fänge von Verbrechern zu geben. Sicher, diese Frauen handeln dann in der Regel aus einer Notsituation, doch das Leid, was man dem Kind in diesem Fall zufügt, das lässt sich mit keinem Geld der Welt aufwiegen. Ich gebe es zu: Aus dem Konsum der Fortsetzung von «Operation Zucker» bin ich einigermaßen bedrückt gegangen. Vielleicht sogar noch bedrückter als aus dem Vorgängerfilm, den Das Erste 2013 erstausgestrahlt hat – wenn man das so überhaupt sagen kann.
Es ist dieses unerträgliche, grässliche Leid, das der Film sehr drastisch und doch gleichzeitig mit größtmöglicher Zurückhaltung schildert. Ein Leid, das niemand jemals erfahren sollte und mit dem doch viel zu viele Leben müssen, die oft noch Jahrzehnte nach den eigentlichen Taten mit ihrem Schicksal ringen. Einen Film zu diesem Thema zu produzieren, bedeutet vor allem abzuwägen. Nicht so sehr in der Kernfrage, die ist anders als bei vielen politischen Fragen eindeutig: Eine Rechtfertigung oder gar eine Entschuldigung gibt es für Sexualvergehen nicht, besonders nicht gegenüber beinahe wehrlosen und unmündigen Kindern oder Jugendlichen. Nein, die Abwägung ist anders gelagert. Was kann ich mit gutem Gewissen zeigen, um auf die furchtbare Zwangslage von Kindern und Jugendlichen aufmerksam zu machen und wo ist die Grenze überschritten? Wie mache ich möglichst eindringlich auf die schreckliche Zwangslage aufmerksam ohne zu polemisieren?
Wer sind die Täter?
Einiges an Reaktionen hat der erste Film der «Operation Zucker» ausgelöst. Das hat vor allem gezeigt, dass Kindesmissbrauch und Zwangsprostitution Themen sind, deren Existenz wohl den meisten bewusst ist, über dessen Ausmaß und Bedeutung man sich aber eher nicht im Klaren ist. In diesem Aspekt geht die Fortsetzung vielleicht noch ein wenig tiefer, weil sie noch mehr als ihr Vorgänger zeigt, dass es eben jeder sein kann. Ein Täter muss nicht sozial schwach oder ungebildet sein, es muss auch kein Nordafrikaner oder Syrer sein, wie es vielleicht manche Dumpfbacke nach der vergangenen Silvesternacht vermuten mag. Um das klar zu sagen: Natürlich ist es eine Minderheit, die solcherlei Dinge tatsächlich tut, wobei schon der Einzelne zu viel ist. Aber ganz grundsätzlich kann
jede Art von Mensch in solche Taten verwickelt sein. Was das anbelangt ist der Grat zwischen spießig-betrunkenem Oktoberfest-Primitivling, freundlichem Familienvater und ständig arbeitendem Staatssekretär schmal. Die äußerliche Wirkung spielt dabei allerhöchstens eine untergeordnete Rolle, eher aber gar keine. Dafür sind oft Menschen aus dem persönlichen Umfeld der Kinder beteiligt oder hauptverantwortlich. Diese Botschaft vermittelt «Jagdgesellschaft» mit großen Nachdruck und zeigt noch engere Geflechte auf, als es schon der Ausgangsfilm tat.
© BR/Wiedemann & Berg Television GmbH/Stephan Rabold
Lucy (Carlotta von Falkenhayn) bekommt von ihrem "Vater" Kai Voss (Sebastian Hülk) als Trost eine Cola - was für Lucy traurigerweise fast schon einer der schöneren Momente ist.
Dennoch versucht der Film gleichermaßen aufzuzeigen, dass die Opfer doch eigentlich versuchen nur ein normales Leben zu führen. Auch sie wollen tanzen, Spaß mit ihren Freunden haben, eben glücklich sein. Und genau in solchen Situation werden die Kinder und Jugendlichen auch gezeigt. Doch was ihnen merklich fehlt ist die Leichtigkeit. Es sind so vor allem die Extreme, die aufeinander treffen: Wenn sich eines der Mädchen zu poppigem Kate Nash-Sound in der S-Bahn die Hose auszieht und nur noch ein kurzes Kleidchen trägt, könnte man an einen rebellierenden Teenager glauben, der sich über die Regeln der Eltern hinwegsetzen will. Wer um die Richtung des Films weiß, der kann sich jedoch schon denken, dass das junge Mädchen damit keineswegs einfach nur eine gute Zeit haben will. Überhaupt ist es auch der Score der für interessante Kontraste sorgt und stilistisch oft gegen den Inhalt gebürstet ist. Das überzeugt ebenso wie der Schnitt, der sich ähnlich verhält. So springt der Blick zwischen einem friedlichen „Gute Nacht“-Sagen und dem Konsum von Kinderpornos oder zwischen einem gebrochen-heulendem und einem ausgelassen tanzendem Teenie. In diesen Momenten fühlt sich der Zuschauer so unmittelbar in der fürchterlichen Realität angekommen, dass er am liebsten Kotzen will ob der Ungerechtigkeit, die diesen Kindern widerfährt.
Unterstützer und Gegenspieler
Es ist keine sonderlich enge Bindung, die zwischen den beiden Filmen besteht. Aus dem Kernensemble hat nur Nadja Uhl in der Rolle der Karin Wegemann rübergemacht. Sie ist weiter auf ihrer Rettungsmission nach den größtenteils erfolglosen Ermittlungen zuvor. Wieder begibt sie sich auf die Suche, wieder steht sie in Kontakt zu Verbindungsleuten, wieder will sie doch nur die Kinder retten. Unterstützung erhält sie dabei hauptsächlich vom Journalisten Maik Fellner (André Szymanski), während der Staatsanwalt (Rainer Bock) und der Innenminister (Matthias Matschke) eher nur Hilfe vorgaukeln. Aus dem alten Ensemble sind ferner noch einige Crewmitglieder beteiligt. Ähnlichkeiten sind wohl auch daher merklich vorhanden: Die Tonalität ist ähnlich rau und zugleich nah an den Menschen. Neben dem ähnlichen Täter-Milieu haben die Produktionen auch die wenig explizite aber dennoch intensive Darstellungsweise gemein.
Was das Schauspielerische anbelangt, ist gerade die Betrachtung der Jungdarsteller oft beeindruckend: Sie agieren so unaufgeregt und zurückgenommen und brennen sich gerade dadurch ins Gedächtnis. Mit weniger Zurückhaltung glänzt Maik Fellner, der als eine Art Deus ex machina gelegentlich auftaucht (meist als erfolgreicher Rechercheur, gelegentlich aber auch mal für ein Tête-à-Tête). Eine wirkliche Verbindung baut sich in diesen Kurzauftritten aber leider nicht auf, seine Figur wurde offensichtlich mehr als Mittel zum Zweck in die Geschichte eingepflegt, ohne in der Figurenkonstellation auf persönlicher Ebene wirklich relevant zu sein. Dabei hätte der Charakter doch Potenzial gehabt und kommt in der kurzen Screen Time stets interessant rüber. Und auch Matthias Matschke agiert stark, stelltt vor allem die Differenz seiner Politikerfigur zwischen öffentlicher Gebärde und tatsächlichem Handeln überzeugend dar.
Wenn mit zunehmender Spieldauer der einst poppige Score fast lautlos wird, erzählt der Film dazu passend immer langsamer und detaillierter. Während mit Sätzen wie „Du gibst der Ware etwas zu essen“ klar gemacht wird, wie die Täter ihre Opfer sehen, erfährt Ermittlerin Wegemann einen Frustrationsmoment nach dem anderen. Es scheint als gebe es gegen den großen Ring kein wirkliches Ankommen.
Besonders viel Neues bietet die «Jagdgesellschaft» im Vergleich zum Vorgänger nicht, doch was Eindringlichkeit und die Verstrickung des Problems auch innerhalb von vermeintlichen gesellschaftlichen Eliten anbelangt, wird es doch noch einmal ausdrucksstärker. Durch Verschweigen und Unterlassen von höchster Stelle, gibt es für Karin Wegemann kein Durchkommen. Als Zuschauer möchte man vermuten, dass es sich die Produktion mit dem Kartell, von dem sie erzählt, eventuell zu einfach macht. Die Verantwortlichen allerdings geben an, dass die Geschichte auf recherchierten Tatsachen beruht. Und selbst wenn kein Innenminister und auch kein Staatssekretär reale Verwicklungen haben sollten: Allein, wenn auch nur Ansätze dieser Story wahr sind, löst das ohnmächtige Bedrückung aus.
Das Erste zeigt «Operation Zucker – Jagdgesellschaft» am Mittwoch, 20. Januar um 20.15 Uhr.