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«American Crime»: Den Finger in die Wunde

Die 1. Staffel von «American Crime» spielte gekonnt mit den Erwartungshaltungen der Zuschauer an die verschiedenen Milieus. Die 2. Staffel verlagert den Spielort, bleibt sich stilistisch aber treu.

Cast & Crew

  • Produktion: International Famous Players Radio Pictures Corporation, Stearns Castle Entertainment und ABC Studios
  • Schöpfer: John Ridley
  • Darsteller: Felicity Huffman, Timothy Hutton, Lily Taylor, Trevor Jackson, Connor Jessup, Richard Cabral, Elvis Nolasco u.v.m.
  • Executive Producer: John Ridley und Michael J. McDonald
Die erste Staffel der Anthologie-Serie «American Crime» nahm ihren Titel ziemlich wörtlich. Will heißen: Man behandelte dezidiert amerikanische gesellschaftliche Verwerfungen, die nach den Ereignissen von Ferguson, Baltimore und den Unruhen in anderen Großstädten an politischer Brisanz gewonnen hatten. Der Plot: Ein ehemaliger US-Soldat, der im Irak gedient hatte, ist mutmaßlich von einem drogenabhängigen Schwarzen erschossen worden. Die Frau des GIs hat die Bluttat nur um Haaresbreite überlebt. Auch in den Fall verwickelt: Der Sohn einer gut integrierten mexikanisch-amerikanischen Familie und ein illegaler Einwanderer aus den Slums jenseits des Rio Grande.

Die zweite Staffel, deren erste Folge am Mittwoch bei ABC gezeigt wurde, wechselt den Spielort von Zentralkalifornien ins konservative Indiana im Mittleren Westen. Die thematisierten sozio-politischen Friktionen sind gleichsam andere: War es in der letzten Season ein Tötungsdelikt, das sich im aufgeladenen Amerika über Rassengrenzen hinweg erstreckte, steht diesmal ein Sexualdelikt an einer High School im dramaturgischen Zentrum. Der Teenager Taylor soll dort auf einer Party der Basketballmannschaft sexuelle Gewalt erfahren haben, nachdem man ihn mit einigen Litern Bier gefügig gemacht hatte. Kompromittierendes wie entwürdigendes Bildmaterial zirkuliert mittlerweile auf etlichen Social-Media-Kanälen.

Sexuelle Gewalt an amerikanischen Bildungseinrichtungen – das ist gerade ein heißes Thema in den USA. An vielen Schulen und Universitäten sei eine regelrechte Rape Culture unter misogynen jungen Männern entstanden. Auch an so renommierten und prestigeträchtigen Institutionen wie der Yale University.

«American Crime» legt also wieder den Finger in die Wunde – und bleibt sich trotz eines anderen Themas inhaltlich, stilistisch und auch personell treu. Felicity Huffman, die in der ersten Staffel die erschütterte Mutter (keine positiv besetzte, sondern eine ambivalente Figur wohlgemerkt) des in seinem Haus getöteten US-Soldaten spielte, gibt dieses Jahr die eher rabiate und, wie es bisher zumindest scheint, ziemlich selbstsüchtige Rektorin der teuren Privatschule, während Timothy Hutton, in der letzten Season der abgewirtschaftete, spielsüchtige und emotional zerrüttete Ex-Mann von Felicity Huffmans Figur und Vater eines toten Kindes, diesmal den gleichsam sehr ambivalenten Trainer der Basketballmannschaft gibt.

Ambivalenz ist ohnehin ein gutes Stichwort, um «American Crime» zu beschreiben. Denn wenn uns die erste Season eines gelehrt hat, dann, dass es diesem Format vortrefflich gelingt, die Vorurteile, Stereotypen und Erwartungshaltungen der Premierenfolge konsequent zu konterkarieren: Denn während die Parameter der ersten Folge darin bestanden, dass ein drogensüchtiger, obdachloser Schwarzer, der mit einer gleichsam heroinabhängigen weißen Frau aus dem ländlichen Wisconsin liiert ist, einen (weißen) amerikanischen Veteran abgemurkst hat, mit der Hilfe eines hinterhältigen illegalen Einwanderers, der eine nette, an den amerikanischen Mainstream angepasste mexikanisch-amerikanische Familie mit ins Verderben zog, wurde dieses Bild zunehmend vielschichtiger, bis es sich fast ins Gegenteil verkehrte: Der War Hero und seine Frau entpuppten sich als knallharte Drogendealer, die selber nicht vor Gewaltanwendung zurückschreckten, und was zu Beginn noch als zum Teil anti-weiß-rassisitsch motiviertes Hassverbrechen präsentiert war, stellte sich als drogenmilieu-typische Kriminalität heraus. Und am Schluss eröffnete sich gerade einer lange Zeit sehr negativ besetzten Figur eine (sinnig erzählte) neue Zukunftsperspektive.

Bleibt abzuwarten, welche Twists uns in der zehn Folgen umfassenden zweiten Season erwarten – und wie man die Täter, Opfer und Außenstehenden sich entwickeln lassen wird. Potential für ein packendes Sozialdrama ist im Staffelauftakt massenweise vorhanden.
10.01.2016 12:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/83071
Julian Miller

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American Crime

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