Am zweiten Weihnachtstag gibt es dieses Jahr keine Bibelanspielungen, sondern einfach nur normale Krimikost aus Köln. Wir sagen, ob «Tatort: Benutzt» mit guter Umsetzung punktet.
Cast und Crew
- Regie: Dagmar Seume
- Darsteller: Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Patrick Abozen, Dorka Gryllus, Thomas Dannemann, Winnie Böwe, Xenia Snagowski, Anna von Haebler, Matthias Komm, Gerrit Jansen, Alexandra von Schwerin
- Drehbuch: Jens Maria Merz
- Schnitt: Oliver Grothoff
- Musik: Günther Illi
- Kamera: Gunnar Fuß
- Szenenbild: Thomas Schmid
Der «Tatort» aus Köln kristallisiert sich mehr und mehr zu einer der wenigen noch verbliebenen Inseln der altmodischen ARD-Sonntagabend-Krimiunterhaltung heraus. Keine geistreichen Experimente wie aus Wiesbaden. Kein wildes Geballer wie aus Hamburg. Kein Ulk, wie er aus Münster kommt. Und auch der Versuch, das Ohr am politischen Puls der Zeit zu haben, ist in der Domstadt weitaus weniger präsent als etwa in den «Tatort»-Folgen aus Dortmund. In der Rheinstadt werden Kriminalfälle gelöst, Schluss. Aus. Passt schon.
Es ist nicht vollkommen ungerechtfertigt, wenn Teile des (Fach-)Publikums diese Vorgehensweise als ambitionslos oder gar faul bezeichnen. Denn angesichts der beachtlichen Popularität der «Tatort»-Marke und förmlich garantierten Reichweiten von über sechs Millionen Zuschauern ist eigentlich eine große Planungssicherheit gegeben: Das Publikum schaltet eh ein, wieso also immer und immer wieder das bieten, was jeder Krimi leisten könnte? Auf der anderen Seite hat auch die gegenteilige Denkweise Hand und Fuß: Wenn alle «Tatort»-Reihen ganz besonders wären und den Sonntagskrimi ganz ausgefallen definieren, wo bliebe die Vergleichsgröße – und welches Ermittlerteam sollen dann jene Zuschauer favorisieren, die auf die gute, alte Schule stehen? Ein gut gemachter, „normaler“ Krimi hat ja auch seine Daseinsberechtigung.
Die jüngste Kölner Kriminalgeschichte ist solch ein gut gemachter Standardkrimi – und sie ist obendrein der erste Genre-Gehversuch gleich zweier Fernsehfilmschaffenden: Zum einen liefert der Drehbuchautor Jens Maria Merz, bislang vornehmlich im Kinderfernsehen und bei «Die Bergretter» tätig, seinen ersten «Tatort» ab. Zum anderen übt sich mit Dagmar Seume eine Regisseurin an der Krimiinszenierung, die bislang in anderen Genres beheimatet war. Startschwierigkeiten sind ihnen aber nicht anzumerken. Der Fall der Kommissare Ballauf und Schenk beruht auf einem schlichten, doch reizvollen Aufhänger: Der Mordverdächtige ist bereits vor Jahren verstorben, so dass die Ermittler Akten und Formulare wälzen müssen, woraufhin es unter anderem zu Konflikten mit dem Zollkriminalamt kommt und ich aufgrund fragwürdiger Papiere die Frage aufdrängt, ob es in den eigenen Reihen dubiose Taten aufzuklären gibt.
In einzelnen Szenen bleibt Merz‘ Drehbuch spröde, scheitert daran, die sich mit zunehmender Zeit immer stärker verwickelnden Spuren und falschen Finten ansprechend zu erläutern und so ihr Spannungspotential voll auszuschöpfen. Dieses Problem hält aber nur szenenweise an – wann immer die Ermittlungen durch neue Erkenntnisse an Schwung gewinnen, überzeugt das Skript, so dass die Hoffnung aufkommt, dass Merz künftig weitere Kölner Fälle schreiben darf. Wer schon einen sehr bürokratischen Fall trotz kurzer Durststrecken weitestgehend spannend erzählen kann, hat noch einige Möglichkeiten vor sich. Großes Lob verdient daher auch Seumes Inszenierung: Dank zügiger, aber nie zum Selbstzweck erfolgender Schauplatzwechsel und fähig orchestrierter Schnitt- sowie Kameraarbeit wirkt dieser Fall nie, als handle es sich bei ihm um reine Paragraphenreiterei und ewiges Aktenwälzen. Wo Merz‘ Drehbuch zwischendurch an Pepp verliert, überkorrigiert Seume zwar, und unterstreicht Wendepunkte in den Ermittlungsarbeiten zu dramatisch, jedoch lässt sich auch hier erkennen, was Seume im Kölner «Tatort» noch alles mit etwas mehr Übung erreichen könnte.
Dank solider, wenngleich nie herausragender, darstellerischer Leistungen ergibt sich so ein „normaler“ Sonntagskrimi, der durch seine markige Umsetzung über die Möglichkeiten des Krimialltags ein Stück weit hinauswächst. Für Fans der Kölner Kommissare empfehlenswert.
«Tatort: Benutzt» ist am 26. Dezember 2015 im Ersten zu sehen, und zwar ab 20.15 Uhr