Vor dem großen Jubiläum der Kultserie blickt Quotenmeter.de auf den aktuellen Zustand der «Lindenstraße». Trotz einer großen Historie blickt die Serie in eine ungewisse Zukunft, doch wie sieht es ihr Erfinder Hans W. Geißendörfer?
Am Sonntag, den 6. Dezember, feiert die
«Lindenstraße» im Ersten ihr 30-jähriges Jubiläum. Die Geschichten der Bewohner der berühmten Münchener Straße orientierten sich dabei immer nah an der Gesellschaft und der Zeit, in der diese lebt. So war es in den vergangenen drei Jahrzehnten üblich, dass Themen mit einer hohen Relevanz, wie der Einwanderungspolitik, der Mauerfall oder Terroranschläge, thematisiert wurden. Die «Lindenstraße» zeichnet sich jedoch nicht nur durch den gegebenen Bildungsauftrag aus, sondern verstand es auch immer wieder zu provozieren, Tabus zu brechen und für Skandale zu sorgen. Eines der prägnantesten Beispiele dafür ist ein Kuss zwischen zwei Männern. 1990 verliebten sich die beiden Figuren Carsten Flöter und Robert Engel ineinander und standen offen zu ihrer Beziehung. Dies mündete schließlich in einem Kuss der beiden, zu dem Zeitpunkt ein Novum im deutschen Fernsehen. Die Figur des Carsten Flöter zählt im Übrigen auch heute noch zum Cast, die Diskussionen im Vorfeld und in der Nachbetrachtung haben seiner Karriere jedenfalls nicht geschadet. Ein weiteres bekanntes Gesicht der Sonntagabend-Serie ist Til Schweiger, der zwischen 1990 und 1992 die Rolle des Joshua „Jo“ Zenker mimte und die «Lindenstraße» schließlich Richtung Hollywood verlies.
Zum 30-jährigen Jubiläum darf ein Mann keines Falls unerwähnt bleiben, Produzent und Erfinder der Kultserie, Hans W. Geißendörfer. 1985 begann er mit dem Siegeszug einer der erfolgreichsten deutschen Serie. Wie er betonte, ging es zunächst darum, realitätsnahe Geschichten von Figuren Mitten aus Deutschland zu erzählen. Handwerklich stützte er sich schon damals primär auf die Charaktere und deren Geschichten, die «Lindenstraße» fiel während der Anfangszeit durch längere Einstellungen, weniger Schnitte und ein ruhiges Erzählen ihrer Bewohner auf. Ein Teil dieser Erfolgsformel macht die «Lindenstraße» noch heute aus, noch immer sind es Geschichten, die die Menschen bewegen. Inzwischen ist jedoch das Tempo einer Episode deutlich höher, eine Episode kommt auf mehr als 300 Schnitte, zu Beginn waren es laut Geißendörfer nur rund 90.
Durch diese Machart, die Nähe zur Gesellschaft und das Aufzeigen von Skandalen entwickelte sich die «Lindenstraße» zu einem Ausnahmeformat für Das Erste. Ein Format, das wie ein Fels in der Brandung stand und an dem nicht gerüttelt wurde. Dies hat sich inzwischen jedoch verändert. Im vergangenen Jahr, sowie im vergangenen Sommer fiel die sonntägliche Serie gleich zweimal ins Wasser. Wie Geißendörfer gegenüber
dwdl.de bemerkte, sei man auf einen Ausfall vorbereitet gewesen, Das Erste zeigte 2014 die «Olympischen Winterspiele». Der zweite Ausfall sei „völlig unangekündigt“ gekommen, anstatt der «Lindenstraße» strahlte Das Erste eine Etappe der «Tour de France» aus. Die Folge wanderte schließlich zu Einsfestival und wurde nicht im Ersten wiederholt. Eine Ausstrahlung mit einer Woche Verspätung sei keine Option: „Das geht nicht wegen unserer Inhalte. Wir spielen an dem Donnerstag vor dem Sonntag, an dem gesendet wird“, ergänzte Geißendörfer.
Dieser Verlust an Stellenwert spiegelte sich in jüngerer Vergangenheit auch in den Vertragsverhandlungen wider. Das jüngste Vertragspapier garantiert die Produktion bis Ende des kommenden Jahres, wie Geißendörfer im
Tagesspiegel betonte, reiche dieser Zeitraum aus, um Folgen bis April 2017 vorzuproduzieren. Die kurze Vertragslaufzeit ist dennoch ein wenig überraschend, verglich ARD-Programmdirektor Volker Herres die «Lindenstraße» mit seiner 30-jährigen Ehe. Wie Geißendörfer gegenüber dem
Tagesspiegel angab, seien die Signale für eine Fortführung der Produktion über 2016 hinaus durchaus positiv.
Auch wenn die «Lindenstraße» in den zurückliegenden Jahren an ihrer Strahlkraft eingebüßt hat und es schwerer fällt für Skandale zu sorgen, blickt Hans W. Geißendörfer positiv in die Zukunft. Der inzwischen 74-jährige Produzent macht seine Erfindung inzwischen zu einem Familienprojekt. Seine Tochter Hana war 1985 gerademal ein Jahr alt, stieß 2008 als Praktikantin ans Set und koproduziert die Serie seit Beginn dieses Jahres mit ihrem Vater. Inzwischen ist sie zu Großteilen für die inhaltliche Gestaltung der «Lindenstraße» verantwortlich und leitet somit den schrittweisen Rückzug des Erfinders ein. Dennoch gab sie gegenüber «W&V» an: „Herz und Seele der «Lindenstraße» werden bleiben.“
Die Lindenstraße bleibt nach Meinung ihrer beiden Produzent auch in Zukunft so wie sie ist, ein „Sitten und Sozialgericht Deutschlands“, wie sie ARD-Programmdirektor Volker Herres bezeichnete. Hans Geißendörfer geht im
Tagesspiegel sogar noch einen Schritt weiter und legt Wert auf die „Treue zu den Figuren. Wir wollen die nicht köpfen.“ Seiner Meinung nach könne eine Frau Beimer nicht ersetzt werden und zu einer „22-jährigen alleinerziehenden Mutter“ gemacht werden. Abgesehen von den Schauspielern steht ein Team von rund 75 Köpfen hinter den Geißendörfers und ihrem Projekt. Für diese ist der Blick in die Zukunft weniger angenehm als für die Produzenten. Denn trotz positiver Signale von Seiten der ARD, sich zu einer Fortsetzung bereit zu erklären, schwebt die Gefahr einer Kosteneinsparung über den öffentlich-rechtlichen Produktionen. Dies ist für Hans W. Geißendörfer jedoch keine Option. Gegenüber
dwdl.de gab er an: „Da gibt es eine Grenze. Und die haben wir schon erreicht. Deswegen sind die Alternativen klar definiert: Entweder gibt es die «Lindenstraße» so wie sie ist – oder es gibt sie gar nicht.“
Dennoch ist man sich auch im Hause Geißendörfer über die aktuelle Entwicklung und den Stellenwert der Serie im Klaren. Dem Zuschauerrückgang der vergangenen Jahre soll künftig durch eine größere Präsenz in den sozialen Medien entgegen gewirkt werden. Als Zielgruppe seien dabei nicht zwangsläufig neue Zuschauer auserkoren, sondern primär die, die früher regelmäßig die «Lindenstraße» verfolgt haben und dies heute nicht mehr tun. Diese Zuschauergruppe möchte man auch nach mehrjähriger Abstinenz reaktivieren, versicherte Hana Geißendörfer
W&V. Auch der Aspekt der Handlungsstränge mit aktuellem Bezug werde künftig fortgesetzt wie bisher. Der nächste Handlungsbogen dreht sich laut Geißendörfer um Flüchtlinge. Zu
W&V sagte er dazu: „Da geht es nicht um einen Bericht über ein abgefackeltes Wohnheim, sondern das wird ein richtig großer Handlungsstrang.“
Die beste Chance an Erfolge aus früheren Jahren anzuknüpfen, bietet sich bereits am Sonntag, den 6. Dezember, um 18.50 Uhr. Denn das 30-jährige Jubiläum der «Lindenstraße» wird mit einer Live-Episode gefeiert.