Webvideos im Wandel: Die größten YouTube-Stars sind Vlogger und Let's Player. Doch befindet sich Content in TV-Ästhetik langsam auf dem Vormarsch?
Ein Teenager sitzt an seinem Schreibtisch vor einer Webkamera. Oder vor einer handlichen Digikamera – auf seinem Bett. Vielleicht befindet sich der Teenager aber auch vor einem DVD- und Blu-ray-Regal. So oder so: Der Klischee-YouTuber verlässt sich auf „Do It Yourself“-Produktionsmaßstäbe. Und dem entsprechend auch auf eine Selfmade-Ästhetik. Sie wird von einigen YouTube-Stars sogar als Qualitätsmerkmal stolz vor sich her getragen. Wie etwa von Beauty-Vloggerin Bibi von 'BibisBeautyPalace', die sich kürzlich bei ihrem «TV total»-Auftritt damit rühmte, ihre zwei Videos pro Woche ganz allein zu stemmen – und da gehört der „Guck mal, hab‘ ich selbst gemacht!“-Look nun einmal dazu! So wird der Userschaft immerhin klar, dass sie sich Videos von völligen Normalos anschaut.
Mal ganz davon abgesehen, dass YouTuber wie Bibi, DagiBee oder Freshtorge mit ihren Primetime-Fernseheinsätzen, unzähligen Abonnenten, eigenen Kinofilmen und eigenen Make-up-Marken längst nicht mehr „Leute wie du und ich“ sind: Wer ohne jegliche Einflussnahme von Senderchefs, Geschäftsführern, Programmdirektoren und Aktionären seinen eigenen Bewegtbildcontent schafft, und dabei durchweg bei einer „Frisch aus dem Jugendzimmer, rein ins Internet“-Qualität bleibt, lässt allerhand Potential ungenutzt liegen. Der Vlog- und Hobbyprojekt-Stil hat zweifelsohne seine Daseinsberechtigung und passt bei einigen Inhalten wie die Faust auf Auge. Dennoch bleibt das Revolutionsmedium ‚Webvideos‘ hinter seinen Möglichkeiten zurück, wenn es sich auf diesen Umfang beschränkt.
Eine schleichend, doch stetig steigende Anzahl von Webcontent-Machern teilt diese Erkenntnis – und machen somit den „altmodischen“ YouTubern allmählich Konkurrenz. Wie zumindest diverse US-Kanäle vormachen. So zählt der YouTube-Kanal 'Channel Awesome' derzeit bloß 310.323 Abonennten. Die Sammelstelle für Videos im typischen „Wütende Typen zetern über Popkultur“-Stil, ist die neue YouTube-Heimatstätte des Webpromis Doug Walker alias Nostalgia Critic, dessen selbstgemachte, sarkastische Filmkritiken zu Beginn des Jahrzehnts einen Trend losgeschlagen haben. Die 'ScreenJunkies' dagegen zählen rund 4,98 Millionen Subcriber. Auch auf diesem YouTube-Kanal wird mit Passion und Sarkasmus Popkultur abgehandelt, doch mittlerweile ohne überdeutliche DIY-Ästhetik. Die wöchentliche Reihe «Movie Fights» wird mit Kameras gedreht, die die meisten Lokal-Fernsehsender in der Bundesrepublik vor Neid platzen lassen dürften und entsteht in einem Studio, das besser ausgeleuchtet sowie eingerichtet ist als etwa das von «ran Football» bei ProSieben Maxx.
Nagelneu ist es nicht, dass solch ein Aufwand für YouTube-Videos betrieben wird – die Kanäle des US-Netzwerks 'Clevver' etwa bringen schon seit einigen Jahren Kino-, Sport- und Musik-News raus, die rein vom Aufwand und von der Tonalität her so auch beispielsweise die «RTL II News» ersetzen könnten. Mit Channels wie dem seit wenigen Monaten neu aufgestellten 'Collider Movies' finden sich im englischsprachigen Raum aber vermehrt Anlaufstellen für YouTube-Nutzer, die Videos über das Hobby ihrer Wahl sehen wollen, die so keine Ein-Personen-Crew zustande bringt. Verschiedene Kamerawinkel sind in diesen US-Videos natürlich inklusive – wohingegen LeFloid immer noch aus einer Wohnungsecke in ein hallendes Mikro spricht, während eine stationäre Kamera schräg auf ihn hinunter blickt.
Aber auch hierzulande befinden sich YouTuber mit TV-Optik langsam auf dem Vormarsch. Wenn beim Lifestyle-Channel 'ellevant' etwa gekocht wird, sieht das Ergebnis dank fernsehreifer Inszenierung besser aus, als die Kochshows in den Dritten Programmen. Und der Kanal erfreut sich guter Zahlen: Seit dem 25. April 2015 lockte 'ellevant' über 51.000 Abonennten. Das reicht noch lange nicht, um mit der YouTube-Elite mitzuhalten, ist aber ein respektabler Anfang.
Stellt sich bloß die Frage: Wieso sollten sich so ambitionierte Videomacher überhaupt allein auf YouTube stützen? Die RocketBeans, deren Produktionswerte ebenfalls überdurchschnittlich sind, setzen ja auch primär auf Twitch, selbst wenn sie YouTube sozusagen als ausgelagerte Mediathek nutzen. Und auch die ScreenJunkies haben kürzlich ihren eigenen VoD-Dienst 'ScreenJunkies Plus' gegründet, der ersten Aussagen der Verantwortlichen nach zufriedenstellend läuft – und mit Filmemacher Kevin Smith gar Hollywood-Prominenz zu seinen Sendergesichtern zählt. Die Zukunft wird daher zeigen, ob sich auf YouTube ein Zwei-Klassen-System in Sachen Aufwand etabliert, oder ob sich die Webcontent-Produzenten so sehr ausdifferenzieren, dass YouTube seine gefühlte Monopolstellung abgeben muss. Spannend wird diese Entwicklung allemal – und der User kann dabei eigentlich gar nicht verlieren.