Die Sprecher, die Figuren in Trickfilmen ihre Stimme leihen, verschwinden zwar nicht unbedingt in der Anonymität, für ihre Performances werden sie aber selten geehrt. Doch langsam ändert sich das …
Im Januar 2016 gibt sich in den deutschen Kinos ein Animationsfilm die Ehre, der seinesgleichen sucht: Der intellektuelle, verschrobene Drehbuchautor Charlie Kaufman («Adaption», «Being John Malkovich») leistet – unter Beihilfe von Duke Johnson – seine zweite Regiearbeit. Diese hört auf den Titel «Anomalisa», ist ein Stop-Motion-Trickfilm und eines jener cineastischen Juwelen, über die nicht zu viel verraten werden sollte. Nicht, dass «Anomalisa» bis zum Rand voll mit Plottwists sei. Aber es ist ein kleiner, geistreicher und einfühlsamer Schatz, den alle Filmnarren am besten für sich selbst entdecken sollten. Was über dieses Ausnahmekunststück jedoch gesagt werden kann: Es zieht einen intensiven Teil seiner Wirkungskraft aus den Stimmen, aus den den tonalen Feinheiten seiner Sprecher.
Die magischste Sprecherleistung in diesem Kino-Pflichttermin für Kaufman-Anhänger und Liebhaber erwachsenenorientierter, feinfühlig-geistreicher Trickfilme vollbringt Jennifer Jason Leigh. Die «Short Cuts»-Mimin haucht, seufzt, kichert und leidet eine rein akustische Performance ins Mikrofon, die gut möglich als ihr Karrierehöhepunkt in die filmischen Geschichtsbücher eingehen könnte. Üblicherweise würde so eine Leistung von den üblichen Awardsjurys ignoriert werden – von den Köpfen hinter dem Trickfilm-Fachpreis Annie Awards einmal abgesehen. Aber «Anomalisa» hat es vollbracht und die Hürde der filmmedialen Ignoranz überwunden: Bei den Independent Spirit Awards wurde die acht Millionen Dollar teure Produktion in vier Sparten nominiert – darunter in der Kategorie „Beste Nebendarstellerin“!
Darauf zu wetten, dass weitere bekannte Filmpreise in den kommenden Wochen nachziehen, lohnt sich leider nicht. Bei den Golden Globe Awards etwa sind Schauspielleistungen, die nicht auf de Leinwand zu sehen sind, automatisch für den Nominierungsprozess disqualifiziert. Bei den Academy Awards hingegen sind reine Sprechrollen sehr wohl zugelassen. Bloß hat es noch nie eine solche bis zu einer Oscar-Nominierung gebracht. Kurioserweise ließen sich die Golden Globes in der Vergangenheit eher erweichen und machten für Robin Williams eine Ausnahme: Für seine Darbietung des Dschinni aus «Aladdin» bekam der Entertainer einen „Special Achievement“-Globe – Ehre, wem Ehre gebührt!
Bloß würde diese Ehre in einer gerechten Welt nicht allein Williams gebühren. Sondern etwa auch einem Tom Hanks und Tim Allen für die «Toy Story»-Filme, einem Peter O'Toole für «Ratatouille», einer Ellen DeGeneres für «Findet Nemo» oder einem Tony Jay für «Der Glöckner von Notre Dame». Oder, oder, oder … Aber jammern wir nicht über die, die ignoriert werden – und freuen uns für «Anomalisa». Über diese verdiente, schöne Anomalie in Sachen „Voice Acting“ und Film-Awards. Glückwunsch!