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Die Kritiker: «Mordkommission Berlin 1»

Zwischen Roaring Twenties und sozialem Elend: Der Sat.1-Film zeigt ein faszinierendes Panoptikum Berlins vor bald hundert Jahren – und überzeugt auf ganzer Linie.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Friedrich Mücke als Paul Lang
Tobias Moretti als Immanuel Tauss
Antje Traue als Irma Berger
Emilia Schüle als Masha Kampe
Frederick Lau als Conrad Ruppert
Oliver Masucci als Viktor Parkow
Emilio De Marchi als Heinrich Stehlke

Hinter der Kamera:
Produktion: Wiedemann & Berg Television, Wilma Film und Red Arrow International
Drehbuch: Arndt Stüwe und Benjamin Hessler
Regie: Marvin Kren
Kamera: Armin Franzen
Produzenten: Max Wiedemann und Quirin Berg
Paul Lang ist Kommissar in Berlin. Er hat eine tragische Geschichte: Der Kopf einer Bande aus der organisierten Kriminalität, Immanuel Tauss, hat vor nicht langer Zeit versucht, ihn mit einer Paketbombe zu ermorden, dabei aber irrtümlicherweise Langs Frau und kleine Tochter in die Luft gesprengt. Lang hat das nie verwunden und ist seither schwer morphiumsüchtig.

Nach der Aussage eines seiner Komplizen von den „Krokodilen“ (so nennet sich der Schurkenring) ist Tauss im Gefängnis gelandet. Die organisierte Kriminalität haben die Polizei- und Justizbehörden aber immer noch nicht so im Griff, wie man das gerne hätte. Stattdessen gibt es einen Deal zwischen den beiden Lagern: Die Bullen drücken bei „kleineren“ Delikten wie exzessivem Drogenhandel beide Augen zu, dafür hört das grenzenlose Gemorde auf.

Das „funktioniert“, bis der Staatsanwalt Barnekow tot aufgefunden wird. Zerfleischt von Krokodilen im Berliner Zoo. Lang erkennt sofort die Signatur von Tauss, doch seine Kollegen bei der Berliner Polizei sind da wesentlich zurückhaltender. Tauss sitzt schließlich im Knast. Von dort aus ließe es sich schwer kriminell operieren.

Bis hierhin könnte dieser Handlungsabriss auch einen beliebigen Berliner «Tatort» beschreiben. Aber jetzt kommt der Clou: «Mordkommission Berlin 1» spielt im Berlin der 20er Jahre. Mit allem, was dazu gehört: Lasziven Variété-Tänzerinnen in eleganten Clubs, die eine (sexuelle wie persönliche wie kosmopolitische) Freiheit ausstrahlen, die Deutschland frühestens ein halbes Jahrhundert später wieder erleben wird. Obdachlosen Kriegsversehrten, die sich nach dem Horror von Verdun und der Somme nun mit Kleinkriminalität am Leben erhalten müssen. Einem pulsierenden Nachtleben, das Berlin den Ruf der Weltstadt einbrachte, und erbärmlichen Gassen, in denen Arbeiterfamilien unter abscheulichsten Bedingungen hausen müssen.

Kurz: «Mordkommission Berlin 1» zeigt ein faszinierendes und detailverliebtes Panoptikum der deutschen Hauptstadt vor bald hundert Jahren.

Viele andere Fernsehfilme hätten hier ihren USP gesehen und den Rest schleifen lassen. Doch gerade bei den schweineteuren und pompös ausgestatteten Fernsehfilmen (und –serien), sind Handlung und vielschichtige Figuren nicht zweitrangig. Im Gegenteil. Wie gut, dass das hier verstanden wurde.

Natürlich ist «Mordkommission Berlin 1» ein Genrefilm, der nicht unbedingt aus allen Konventionen ausbrechen will. Doch er erzählt mit einer großen atmosphärischen Dichte. Er lässt spannende Figuren auftreten, die zwar Kinder ihrer Zeit und insofern auch nicht ganz frei von Klischees sind, aber er lässt das nicht so auffallen. Noch dazu arbeitet er in einer durchdachten Struktur einen relativ komplexen Handlungsverlauf ab, bei dem man – und das ist nicht despektierlich gemeint – angesichts des Normalzustands der Fiction deutscher Privatsender überraschend viel mitdenken muss. Man mag schon klügere Katz-und-Maus-Spiele zwischen einem gebrochenen Ermittler und einem skrupellosen Gangster gesehen haben. Psychologischere. Philosophischere. Meinetwegen auch einnehmendere. Und trotzdem erzählt «Mordkommission Berlin 1» spannend, packend und nahbar, ohne dass seine bildgewaltige Optik und die vielen panoptischen Nebenschauplätze auf Kosten der Narrative gingen.

Dabei legt man einen großen Wert auf Authentizität, und unternimmt den schwierigen, aber gelungenen Versuch, das Lebensgefühl Berlins der zwanziger Jahre für den Zuschauer fassbar und erlebbar zu machen. So sprechen die Figuren – auch das ist dem Bemühen um historische Stimmigkeit geschuldet – die meiste Zeit im (auch für Süddeutsche leicht verständlichen) Berliner Dialekt.

Ebenfalls überzeugend: die erzählerische Konsequenz, mit der man all das bleiben lässt, was die Tragik des Stoffes unnötig verwässern würde. Zeitlupen zum Beispiel, oder die sonst so ubiquitären Überinszenierungen, wenn liebgewonnene (aber ambivalente) Figuren das Zeitliche segnen. Nein, «Mordkommission Berlin 1» erzählt düsterer, tragischer – und kann gerade dadurch gefallen.

Spätestens an diesen Stellen erkennt man auch, dass hier beim Casting viel richtig gemacht wurde. Friedrich Mücke tritt als charmanter Hauptdarsteller auf, der die Gebrochenheit seiner Figur gekonnt transportieren kann, ohne sie allerorten pathetisch betonen zu müssen. Emilia Schüle glänzt als Paul Langs Sekretärin und kann auch die schwierigen Zwischentöne schön herausstellen, wenn ihre Figur zunehmend komplexer wird, während Frederick Lau als Langs Assistent in seinem Charakter eine den Film bereichernde Vielschichtigkeit findet. Gelungene Performances von Tobias Moretti, Antje Traue und Oliver Masucci ergänzen den sehr positiven Eindruck dieses Ensembles. Sehr charmant auch Vicky Krieps in einer kleinen Nebenrolle, von der man gerne mehr gesehen hätte.

Liebhabern amerikanischer Serien könnte sich nun ein Vergleich mit einem populären Format von HBO aufdrängen: «Boardwalk Empire» über den (von Steve Buscemi brillant gespielten) Boss von Atlantic City Nucky Thompson, der mit harter Hand die Politik und die organisierte Kriminalität des südlichen New Jerseys der 20er Jahre kontrolliert. Nun ist ein solcher Vergleich schwierig bis unangebracht (noch dazu, weil «Boardwalk Empire» mit Martin Scorsese ein Genie als Executive Producer hat), aber gewisse inhaltliche Parallelen sind kaum zu übersehen. Und obwohl «Boardwalk Empire» im direkten Vergleich durch die Bank als Sieger aus einem solchen Vergleich hervorginge, schmälert das doch die Leistung von «Mordkommission Berlin 1» nicht.

Einziges Manko: Während «Boardwalk Empire» fünf Staffeln Zeit hatte, seine vielschichtigen Figuren auszuloten, ist für «Mordkommission Berlin 1» nach zwei Stunden Netto-Laufzeit der Fernsehfilmspaß schon wieder vorbei. Wenn Sat.1 hier nachbessern könnte, wäre die deutsche Fiction um eine tolle Serie reicher. Denn weiteres erzählerisches Potential steckt in den (überlebenden) Figuren allemal.

Sat.1 zeigt «Mordkommission Berlin 1» am Dienstag, den 1. Dezember um 20.15 Uhr.
29.11.2015 12:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/82304
Julian Miller

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Tags

Boardwalk Empire Mordkommission Berlin 1 Tatort

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