Wie wichtig sind die morgendlichen Quoten noch? Was ändert sich ab 2016? Und welchen Einfluss hätten Dienste wie Netflix auf das Ergebnis, wenn sie an der Messung teilnehmen würden?
Die Hits im Videostreaming - 9.11 - 15.11
- ProSieben: Stars|Nackt und dürr - mit diesem Foto schockt Miley Cyrus selbst ihre treuesten Fans (326.000)
- ARD: «Sturm der Liebe» (280.000)
- ProSieben: Stars|Das sagt Kay One zum Liebescomeback von Mesut und Mandy (203.000)
- ARD: «Tatort: Ätzend» (185.000)
- ARD: «Sturm der Liebe» (183.000)
- ARD: «Sturm der Liebe» (162.000)
- ARD: «In der Falle» (157.000)
- Sat,1: «Knallerfrauen» (136.000)
- ProSieben: «The Voice of Germany» (120.000)
- ARD: «Rote Rosen» (118.000)
- ProSieben: «taff-Augen auf bei der Choreografen-Wahl» (112.000)
- ARD: «In aller Freundschaft - Die jungen Ärzte» (106.000)
- ARD: «In aller Freundschaft» (103.000)
- ProSieben: «The Voice of Germany - Battleshow Teil 1» (96.000)
- ZDF. «neo Magazin Royale» (90.000)
Berücksichtigt werden alle Sendungen, die im angegebenen Zeitraum veröffentlicht worden. Gezählt werden die Views binnen einer Woche
Eines der markanten Merkmale der (deutschen?) Medienbranche ist, dass sie gerne zum Hyperventilieren neigt. Fernsehmacher bekommen Schnappatmung, wenn ein neuer Trend gefunden ist – oder man zumindest meint auf einen gestoßen zu sein. So edgy wie vor ein paar Jahren noch Helfer-Dokus waren, ist jetzt die Diskussion, welche Rolle die morgendlichen Quoten in Zukunft überhaupt noch spielen werden. Angestoßen wurde diese – freilich – in den USA, wo bestimmte Sendungen mittlerweile über zeitversetzte TV-Nutzung ihre Zuschauerzahl teilweise mehr als verdoppeln. Dort haben die Overnight-Ratings in der Tat an Gewicht verloren – doch nachwievor liefern sie einen ersten Trend darüber, wie angesagt ein Neustart war. In einer Vielzahl der Fälle gilt nämlich: Ist das Interesse live recht niedrig, muss schon ein Wunder passieren, dass sich das Format über die zeitversetzte Nutzung noch auf ein akzeptables Niveau steigert.
Bestes Beispiel: Der jüngste FOX-Flop «Minority Report», der völlig enttäuschte. Den Start sahen nur etwas mehr als drei Millionen Amerikaner, zwischenzeitlich sind die Reichweiten auf gut zwei Millionen gesunken. Dass die Serie nachträglich mehr als 70 Prozent an Reichweite draufpackt, hilft da eben wenig.
In Deutschland sprechen zwar alle von neuen medialen Angeboten, von einer 7-Day-Catch-Up-Nutzung und einem Netflix-Boom. Die AGF reagiert darauf und wird ab 2016 auch die Abrufzahlen von Mediatheken in die Quotendaten aufnehmen. Manche rechnen damit mit einer Revolution. Die aber dürfte erst einmal ausbleiben. Schon jetzt ermitteln die Marktforscher die Zuschauerwerte der verschiedenen Mediatheken und geben diese in wöchentlichen Hitlisten bekannt. Aufgeführt werden darin die besten Abrufzahlen jeweils eine Woche nach Erstveröffentlichung. Das Ergebnis ist recht eindeutig: Nur wenige Sendungen schaffen es binnen einer Woche auf mehr als 100.000 Nutzer zu kommen.
In der Regel gelingt dies deutschen Soaps. Regelmäßig führen Formate wie «Sturm der Liebe» oder «Köln 50667» die Hitliste an. Mitunter lassen sich über die Now- oder Mediatheken-Angebote auch einmal mehr als 300.000 zusätzliche Zuschauer generieren. Das ist in Einzelfällen wie der RTL II-Soap ein durchaus beachtlicher Wert. Es sind aber Einzelfälle. Das Internet ist nun einmal ziemlich Hype-geprägt; und da funktionieren dann plötzlich auch mal einzelne «taff»-Beiträge über die Maßen gut. In der Breite aber sind es etliche Sendungen, die binnen sieben Tagen weit weniger als 100.000 Zuschauer über die zeitversetzte Nutzung generieren.
Schon jetzt veröffentlicht auch Media Control nach drei Tagen noch einmal aktualisierte TV-Daten. In diesen werden dann zum einen Messungenauigkeiten ausgemerzt und auch zeitversetzte Nutzung berücksichtigt. Mit welchem Ergebnis? Mal sind es 30.000, mal 40.000 Zuschauer mehr. Oft ändert sich aber auch gar nichts. Selbst für zeitversetzte Nutzung prädestinierte Formate wie zum Beispiel ProSiebens «Empire» haben im Nachhinein nur um die fünf Prozent an Reichweite zugelegt.
Deshalb ist nicht abzusehen, dass die Eingliederung dieser Werte ab 2016 für eine sonderlich große Änderung der Overnight-Ratings sorgen wird. Dass es keine Erhebungen zu Netflix gibt – und diese vom Streaming-Dienst wohl auch nicht geplant sind, wirft da schon größere Fragezeichen auf. Netflix – und übrigens schon gar nicht Amazon – sind in diesem Sinne erfolgsgeprägt. Amazon verrät sogar seinen eigenen Produzenten nichts über Abrufzahlen. Entsprechend haben die Anbieter schlicht kein Interesse, dass alle Welt weiß, welche Serie in der Zuschauergunst stark und welche nicht ganz so gut abschneidet. Werbung verkauft man schließlich nicht.
Und somit bleibt einzig das Phänomen YouTube, das auf lange Sicht seinen Weg in die Medienforschung finden muss. Hier sind allerdings vor allem die sehr jungen Zielgruppen betroffen. Der Trend, das Menschen unter 20 wesentlich weniger klassische Fernsehprogramme konsumieren, ist seit geraumer Zeit erkennbar. Anders gesagt: Der deutsche Durchschnittsbürger schaut in diesem Herbst im Schnitt mehr als 200 Minuten pro Tag fern. Die 14- bis 49-Jährigen liegen bei knapp drei Stunden. Menschen zwischen 14 und 49 Jahren kommen hingegen nur auf knapp zwei Stunden TV-Nutzung pro Tag. In der fehlenden Zeit konsumieren sie neue Medien, surfen auf Facebook und ziehen sich YouTube Clips rein.
Unter dem Strich ist klar: Wenn der sonntägliche «Tatort» im Herbst 2015 noch auf mehr als zehn Millionen Zuschauer kommt, die im linearen Fernsehen mit den Ermittlern mitfiebern, wenn Julia Leischik im Vorabendprogramm von Sat.1 mehr als drei Millionen Leute begeistert, wenn Polizei-Dokus am Nachmittag auf zwei Sendern addiert mehr als zwei Millionen Bundesbürger begeistern und wenn Spielfilmhighlights auf den Privaten in der Spitze immer noch vier Millionen Leute oder mehr erreichen, dann kann von einer finalen Trendwende in der Nutzung noch nicht gesprochen werden. Nicht heute und auch nicht 2016. Das mag für die Fernsehmacher eine schlechte Nachricht sein – oder auch nicht. Festzuhalten ist jedenfalls: Das Zittern morgens um kurz vor neun, wenn die aktuellen Quoten eintrudeln, geht noch eine ganze Zeit lang weiter.