Mit «The Man in the High Castle» will Amazon zum Top-Player im Seriengeschäft aufsteigen. Dass der Plan aufgeht, ist wahrscheinlich. Allerdings fehlt der Serie das gewisse Etwas.
Cast & Crew
- Erfinder: Frank Spotnitz
- Schauspieler: Alexa Davalos, Rupert Evans, Luke Kleintank, DJ Qualls, Joel de la Fuente, Cary-Hiroyuki Tagawa, Rufus Sewell
- Regie (Pilot): David Semel
- Ausf. Produzenten: Ridley Scott, Frank Spotnitz u.a.
- Produktion: Amazon Studios, Scott Free Productions u.a.
- basiert auf der Geschichte von Philip K. Dick
- 10 Folgen je 45-60 Minuten
Als Amazon im Januar eine weitere seiner Pilot Seasons an den Start brachte, schien zunächst alles wie immer: Zwölf Formate wurden mit je einer Folge online gestellt, darunter Dramen, Kinderserien, Comedys. Die Reaktionen entscheiden, welche Serie komplette Staffeln bekommen darf. Gut geklappt hat das Modell schon bei den hochgelobten «Transparent» und «Mozart in the Jungle», die allerdings auch kaum jemand kennt. Amazon fliegt unter dem Radar, war damals in der Branche zu hören. Den wohlverdienten Hit hatte man bisher nicht: den Hit, der Amazon zur ersten Riege der Serienproduzenten aufsteigen lässt. Etwas wie «Breaking Bad» für AMC, «Sons of Anarchy» für FX oder zuletzt «Narcos» für Netflix.
Dass Amazon hinterherhinkt, zeigte auch jüngst eine Studie der Marktforschungsfirma Parrot Analytics, die die beliebtesten Serien im On-Demand-Geschäft ermittelte. Dort tummeln sich – sowohl in den USA als auch in Großbritannien – solche Formate wie «Game of Thrones», «Orange is the New Black», «True Detective» und «House of Cards» von Netflix und HBO. Die Amazon-Serien, so die Studie, lägen weit abgeschlagen dahinter.
Allerdings könnte diese eine Serie aus dem Januar vieles ändern: «The Man in the High Castle». Laut Studie erwarten die Befragten das Drama deutlich mehr als alle bisherigen Amazon-Formate. Überhaupt war der Pilot der meistgesehene bei Amazon, und der bestbewertete. Über 21.000 Menschen haben auf Amazon.com bisher bewertet – ein phänomenaler Wert. Durchschnittswertung: 4,6 Sterne, damit liegt man noch vor dem Emmy-Gewinner «Transparent» (4,4 Sterne).
Es ist der Gegenentwurf zu den sperrigen Themen, die Amazons bisherige Serien anreißen. Diesmal geht es um Nazis, um alte Feindbilder, um Krieg und Spionage. «The Man in the High Castle» erzählt von einer Alternativwelt, in der Hitler den zweiten Weltkrieg gewonnen und die Achsenmächte die USA eingenommen haben: Von der Ostküste bis nach Texas erstreckt sich das „Greater Nazi Reich“, an der Westküste regieren die Japaner. Dazwischen die Rocky Mountains, die als neutrale Zone gelten.
Eindeutig lebt die Serie von ihrer Bildgewalt und ihrer Atmosphäre. Das Jahr der Handlung ist zwar 1962, dennoch wirkt vieles, als sei die Zeit vor dem zweiten Weltkrieg stehen geblieben. Alte Chansons aus der Weimarer Republik erklingen, schwarze Limousinen rollen über die Straßen, graue Anzüge, Röcke für die Frauen. Die Bildsprache von «The Man in the High Castle» ist hervorragend: Dort, wo die Nazis und Japaner regieren, dort ist es grau, dreckig oder ekelhaft steril, dunkel. Umgekehrt sind die Handlungssträge der Rebellen geprägt von Licht, Natur, einer Unbeschwertheit. Und von Freiheit, die man spürt, wenn man in der Ferne die Berge erblicken kann. Im Nazi-Reich dagegen sieht man nur Betonbauten und Fabriken.
Eigentlich wird also schwarz-weiß gemalt. Die Serie konterkariert aber ihre Bilder, indem sie zentrale Charaktere ambivalent anlegt. Wir lernen Joe Blake kennen, einen vermeintlichen Rebellen, der aus dem Nazi-Reich flieht und in der neutralen Zone mit Komplizen zusammentreffen soll. Er freundet sich dort mit Juliana Crain an, die ihrerseits vor den Japanern flieht. Beide transportieren brisantes Material: Filmrollen, die einen ganz anderen Ausgang des zweiten Weltkriegs zeigen. Sie zeigen den Ausgang, den wir kennen, mit einem Sieg der Alliierten und dem Sturz Hitlers. Die Filme sollen zum ominösen Man in the High Castle gebracht werden, von dem wir auch nach ein paar Folgen noch nicht wissen, wer er eigentlich ist. Ein weiteres Problem: Joe Blake ist nicht der Rebell, als der er sich ausgibt.
Die Serie gliedert sich in zusätzliche Haupthandlungen auf: Julianas Freund Frank wird von den Japanern gefoltert, um Geheimnisse über seine rebellische Geliebte zu erlangen. Wir begleiten den Nazi-Obergruppenführer John Smith, der gegen amerikanischen Widerstand kämpft. Und wir folgen mehreren hochrangigen Staatsmänner der beiden Reiche, die einen Sturm aufziehen sehen: Der Tod Hitlers ist nicht weit, er leidet an Parkinson. Und es wird befürchtet, dass seinen Nachfolgern – Himmler oder Goebbels – daran gelegen ist, Japan den Krieg zu erklären und die eigene territoriale Macht auszudehnen.
Trotz dieser Prämissen wirkt «The Man in the High Castle» nicht komplex. Das grundsätzliche Problem liegt im Drehbuch, das an vielen Stellen konstruiert wirkt, um die Handlung voranzutreiben. Zufällig findet der Nazi eine wichtige Schrift, zufällig kommt Joe vorbeigefahren, als Juliana in Lebensgefahr schwebt. Oft werden kleinere Storyfäden eingestreut, die lediglich der Spannungserzeugung dienen, aber nicht der Geschichte. Man erzählt extrem plakativ und teilweise soapig, auch angesichts hölzerner Dialoge. Sätze wie "I am here because I wanna do the right thing" sind leider häufiger zu hören als erinnerungswürdige Gespräche. Dies ist umso bedauernswerter, als die Buchvorlage von Philip K. Dick auch philosophisch und tiefgründig erzählt.
Die Charakterentwicklung findet auf minimalistischem Niveau statt, vor allem Nazis und Japaner wirken wie Projektionsflächen für alte Stereotype. Dies wirkt sich auch auf die schauspielerischen Leistungen aus, die teils einfältig daherkommen. Positiv hervorzuheben ist Alexa Davalos, die in der Rolle der Juliana mitfühlend spielt, vielseitig und hochemotional. Sie ist die einzige Figur, mit der wir uns identifizieren können, mit der wir mitfiebern.
Und sie ist ein Grund dafür, warum «The Man in the High Castle» keine schlechte Serie ist. Auf der einen von zwei Ebenen – der atmosphärischen und visuellen – funktioniert das Amazon-Format hervorragend. Es entführt uns in eine bildgewaltige, hochinteressante Alternativwelt. Auf der anderen Ebene – der inhaltlichen – hinkt man allerdings den Erwartungen und Ansprüchen hinterher. Die Faszination am Plot erschließt sich hier vor allem am Handlungsstrang um Juliana und Joe, der als einziger Überraschungen und Charakterentwicklung verspricht. Und sie erschließt sich über das Mysterium des „Man in the High Castle“ und der Filmrollen. Letztlich funktioniert aber auch das Pacing, der Erzählrhythmus der Geschichte. Langweilig wird es selten – wobei man so manche Handlung und Entwicklung nicht logisch hinterfragen sollte.
Gelingt Amazon mit dieser Serie also der große Durchbruch im Seriengeschäft? Es ist wahrscheinlich. «The Man in the High Castle» ist nicht allzu komplex, in jeglicher Hinsicht massenkompatibel angelegt, das Thema um alte Feinde und den zweiten Weltkrieg ist besonders in den USA beliebt. Und die Serie macht genau da weiter, wofür sie schon im Januar ausgiebig gefeiert wurde. Operation gelungen.