Im Interview mit Quotenmeter.de spricht Oscar-Preisträger Dirk Wilutzky über die Entstehung der von ihm produzierten Snowden Doku «Citizenfour», Überwachung in Demokratien und die Spielfilm-Verwertung der Doku.
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Man hört heraus, dass es viele Vorsichtsmaßnahmen gab, die getroffen werden mussten. Gab es denn während der Produktion Schwierigkeiten durch Personen oder Institutionen, die verhindern wollten, dass der Film zustande kam?
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Es geht in dem Film teilweise um Informationen, die selbst heute noch nicht für die Öffentlichkeit zulässig sind, ohne Menschen in Gefahr zu bringen.
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Dirk Wilutzky
Nein, es gab gar keine. Wir sind natürlich davon ausgegangen, dass wir überwacht werden, daher haben wir den Film bei uns zuhause produziert, da wir dann das Material immer bei uns hatten. Es befand sich komplett auf verschlüsselten Festplatten und wir haben immer nur mit verschlüsselten E-Mails kommuniziert. Teilweise gab es Treffen, wie im Film am Ende: Dort haben wir vorausgesetzt, dass wir überwacht werden, was nicht grundlos gewesen ist, haben auf Papier geschrieben und nur Worte gesprochen, die unverbindlich waren. Danach haben wir das Geschriebene zerrissen und verbrannt. Wir haben also schon viele Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, da wir auch viel zu beschützen hatten. Es geht in dem Film teilweise um Informationen, die selbst heute noch nicht für die Öffentlichkeit zulässig sind, ohne Menschen in Gefahr zu bringen.
Sie waren auch Production Manager am ebenfalls oscar-prämierten «Bowling for Columbine». Michael Moore-Dokumentationen sind vom Ton her oft provokativ, «Citizenfour» wirkt dagegen sehr kühl und rational. Warum war das in diesem Fall die bessere Herangehensweise?
Michael Moore und Laura Poitras sind zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten mit sehr unterschiedlichen Herangehensweisen. Moore ist daran interessiert zu schockieren und die Amerikaner mit neuen Ideen auf unterhaltsame Art und Weise zu konfrontieren, Laura hingegen interessiert sich dafür was Menschen in akuten Lagen für Entscheidungen treffen. Sie geht ihre Filme immer an, indem sie sich an ein Thema herantastet und versucht, Zugang zu Menschen zu kriegen, die Besonderes tun. Laura drehte schon seit 2011 an einem Film über Massenüberwachung und hatte schon spektakuläres Material mit Julian Assange und anderen gedreht, bevor Snowden überhaupt auftauchte. Snowden meldete sich dann auch aufgrund der Recherchen, die sie für diesen Film bereits angestellt hatte. So ergab sich auch der Zugang zu ihm. Als sie aber aus Hong Kong mit den knapp zehn Stunden Material zurückkam, die von ihr im Hotelzimmer gedreht wurden, wurde Mathilde und ihr klar, dass das das neue zentrale Stück des Films sein würde.
Sie haben es vorhin bereits angedeutet: Wie stehen Sie nach der Produktion zum Thema Datenschutz und für wie wichtig halten Sie die Dokumentation auch in Zusammenhang mit der in Deutschland aktuell diskutierten Vorratsdatenspeicherung?
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Ich bin schockiert darüber, dass diese ganze Diskussion seitens der Politik komplett ignoriert wird. Sie sieht sich leider noch immer gezwungen, aus Angst vor eventuellen Anschlägen alle unsere Grundrechte zu verletzen und aufzugeben.
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Dirk Wilutzky über Vorratsdatenspeicherung in Deutschland
Die Vorratsdatenspeicherung wurde ja vor wenigen Wochen wieder beschlossen, trotz aller Versuche der Aufklärung und trotz der ganzen Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses und der Arbeit von vielen Initiativen und Institutionen, die sagen, dass Vorratsdatenspeicherung bis jetzt noch nicht dazu beigetragen hat, irgendein Verbrechen zu verhindern. Ich bin schockiert darüber, dass diese ganze Diskussion seitens der Politik komplett ignoriert wird. Sie sieht sich leider noch immer gezwungen, aus Angst vor eventuellen Anschlägen alle unsere Grundrechte zu verletzen und aufzugeben. Das ist falsch. Ich hoffe, dass der Europäische Gerichtshof die Vorratsdatenspeicherung nicht durchgehen lässt, da es ja noch zur Debatte steht, ob Europa die Meinung von Deutschland teilt. Es ist schade, dass die guten und wichtigen Erkenntnisse solcher vorbildlicher Institutionen wie dem NSA-Untersuchungsausschuss, die von Fachleuten vorgetragen werden und in Folge unseres demokratischen Prozesses ins Parlament hineinfließen, versiegen. So werden wieder Entscheidungen getroffen, die komplett irrational sind, als hätte man nicht zugehört.
Trotzdem ist die Vorratsdatenspeicherung ja in vielen Tageszeitungen ein Thema. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen gar nicht die Bereitschaft haben, sich damit auseinanderzusetzen oder sich gar nicht dafür interessieren. Ist es ihr erklärtes Ziel, mit Dokumentationen wie «Citizenfour» wachzurütteln?
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Es beunruhigt mich maßlos, dass so viele Leute heute nicht den Mut haben, der Realität ins Auge zu schauen.
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Dirk Wilutzky
Genau das ist das Ziel. Es beunruhigt mich maßlos, dass so viele Leute heute nicht den Mut haben, der Realität ins Auge zu schauen. Ich denke, die nahe Zukunft bringt die wichtigsten Entscheidungen, bezogen darauf, wie wir zusammen leben, auf Demokratie, Überwachung und Geheimdienste, aber auch auf Nachhaltigkeit und Klimawandel. Zum einen ist es verständlich, dass angesichts der Komplexität der vor uns liegenden Probleme, die oft auch miteinander verbunden sind, viele Leute aufgeben zu glauben, dass man irgendetwas bewirken kann. Deshalb mache ich Filme. Um die Leute wachzurütteln und zu sagen, dass man etwas tun kann. Es müssen keine Riesentaten sein wie im Falle von Snowden, auch kleinere und unscheinbare Dinge können Auswirkungen auf ganz anderen Seiten haben, auch wenn wir das gar nicht erkennen. Wenn wir nichts machen, findet das aber sicher nicht statt.
Natürlich können Sie darüber nur spekulieren, aber denken Sie, dass der Film auch tatsächlich zu einem Umdenken in den Köpfen der Geheimdienstchefs geführt hat?
Nein (
schmunzelt). Absolut nicht, denn ich denke, wenn man Geheimdienstchef ist oder generell in hohen Positionen in Geheimdiensten arbeitet, dann muss man sein Gehirn schon so sehr trainiert haben, dass man dort funktioniert und immun ist gegen Emotionen, die einen in Frage stellen würden. Sonst würde man den Job nicht haben. Ich glaube, dass diese Leute zu resistent sind gegen solche Gedanken.
Gerade befindet sich der Film «Snowden» in der Post Production, in der Joseph Gordon-Levitt Edward Snowden spielt und Melissa Leo ihre Kollegin Laura Poitras. Interessieren Sie sich für die Produktion und welche Gefahren und Chancen sehen Sie in einer Spielfilmverwertung über das Leben Edward Snowdens?
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Ich hoffe sehr, dass die Leute, die den Film sehen, sich nach der Rezeption danach sehnen, den Dokumentarfilm dazu zu sehen, der die Wirklichkeit zeigt - so authentisch der Spielfilm auch sein mag.
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Dirk Wilutzky über die Spielfilmverwertung der Snowden-Geschichte
Ich hoffe sehr, dass die Leute, die den Film sehen, der ja eine fiktive Fassung der Vorgänge ist, sich nach der Rezeption danach sehnen, den Dokumentarfilm dazu zu sehen, der die Wirklichkeit zeigt - so authentisch der Spielfilm auch sein mag. Jeden Versuch dieses Thema in irgendeiner künstlerischen Art zu bearbeiten, finde ich gut. Das weckt dann vielleicht das Interesse bei Leuten, die niemals auf die Idee kommen würden, sich einen Dokumentarfilm anzuschauen. Ich beobachte das mit vorsichtiger Freude, aber es gibt viele Filme, die auf Biografien oder authentischen Fällen beruhen und schiefgingen.
Welche aktuellen politischen Entwicklungen haben eine ähnliche Tragweite wie die Geschichte um Edward Snowden und würden sich sehr gut für eine Dokumentation eignen? Gibt es vielleicht ähnliche Themen, die Zuschauern auch in gewisser Weise die Augen öffnen sollen, die man also eigentlich nicht sehr präsent wahrnimmt?
Alle aktuellen und wichtigen Themen eignen sich dafür, sogar die Dinge, die wir bereits klar vor unseren Augen haben. Selbst die sehen wir meistens nicht. Ganz naheliegende Fragen, zum Beispiel ob wir der Verantwortung, die jeder einzelne in einer Demokratie besitzt, gerecht werden wollen und warum das bei vielen noch nicht der Fall ist. Das ist das zentrale Thema, an dem ich schon seit Jahrzehnten arbeite und der große Elefant im Raum, den man einfach nicht sieht.
Vielen Dank für das Interview, Dirk Wilutzky