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ZDFinfo-Chef Robert Bachem: „Ich fragmentiere mich quasi selbst“

Viel Luft nach oben bei den Quoten sieht der Boss des digitalen Senders. Im kommenden Jahr will er weiter wachsen. Mit Sport, aber auch weiterhin mit Dokus über den Nationalsozialismus.

Zur Person: Robert Bachem

Robert Bachem ist Leiter des ZDF-Programmbereichs ZDFinfo, Gesellschaft und Leben. Damit ist der 50-Jährige inhaltlich sowohl für den Spartensender ZDFinfo verantwortlich als auch im ZDF-Hauptprogramm für die Programmbereiche «ZDFzeit» und «ZDF.reportage». Im Sommer 2011 hat Robert Bachem die Leitung des damaligen Senders ZDFinfokanal übernommen. Kurz darauf wurde der Sender in ZDFinfo umgetauft und verzehnfachte seinen Marktanteil.
Robert Bachem, wie steht es aktuell um ZDFinfo?
Kleine Sender werden gelegentlich mit Piranhas verglichen, die immer mehr Marktanteile von den Großen wegfressen. ZDFinfo ist ein kleiner Piranha, der jetzt nicht mehr die ganz großen Quotensprünge macht. Wir hatten früher Zuwächse von 200 Prozent, das hat sich mittlerweile verlangsamt. Wir stehen jetzt vor der Frage, in welche Richtung es für uns geht. Denn, wenn wir weiter junge Zuschauer ansprechen möchten – und darin sehen wir unsere Aufgabe – dann müssen wir zunächst feststellen: Mit der deutschen Bevölkerung werden auch die Fernsehzuschauer älter. Deshalb sind wir stolz darauf, in den vergangenen drei Monaten relativ durchgängig einen Marktanteil von 1,2 Prozent in der jungen Zielgruppe erreicht zu haben. Das wird in diesen Tagen aber immer schwieriger zu halten sein. Dennoch glaube ich, dass wir uns auch in der jungen Zielgruppe weiter gut entwickeln werden. Wir wollen in Zukunft mehr auf eigene hochwertige und zu uns passende Produktionen setzen. Ende dieses Jahres werden wir 130 Auftragsproduktionen bestellt und gesendet haben. Mit den Übernahmen aus dem Hauptprogramm und unseren internationalen Lizenzen sendet ZDFinfo inzwischen zwei neue Dokus pro Tag.

Nochmal zu den jungen Zuschauern: ZDFinfo hat sich Sport-Rechte für unter anderem das «Race of Champions» gesichert. Böse Zungen sagen, man könne sich mit Sport auch relativ schnell Quoten „kaufen“…?
Mit Sport kann man vor allem Aufmerksamkeit in Zielgruppen erreichen, die zu uns passen. Warum sollen beispielsweise Männer, die gerne Fußball oder Motorsport schauen, sich nicht auch für Dokumentationen interessieren. Das «Race of Champions», das wir demnächst übertragen, ist eine einmalige Veranstaltung. Wir haben zudem noch eine Wintersport-Veranstaltung Anfang 2016 im Programm, bei der wir erfahren wollen, wie das bei unserem Publikum ankommt. Mit den Fußball-Übertragungen vom «Audi-Cup» konnten wir viele junge Menschen erreichen.

Auch als öffentlich-rechtlicher Sender vergleichen Sie sich sicherlich? Wer ist da Ihr direkter Mitbewerber? Sender wie DMAX, die aus Quotensicht auf Augenhöhe und ähnlich Männer-affin sind?
Von der Zuschauerstruktur sind n-tv und N24 sicherlich sehr ähnlich – somit sind wir Konkurrenten. Mein Eindruck ist jedoch, dass wir denen nicht unbedingt etwas wegnehmen – schließlich sind sie Nachrichtensender. DMAX und ZDFinfo unterscheiden sich bei genauerem Hinsehen schon stark: Wir machen eher Wissensdokumentation mit viel Geschichte, Wissenschaft und Politik. DMAX macht dafür überwiegend Factual Entertainment.

Nur etwa ein Viertel Ihrer Zuschauer sind weiblich - Sehen Sie darin ein Problem?
Fakt ist, dass sehr viele Männer unser Programm schauen und sich für unsere Themen interessieren. Wir hoffen natürlich, dass mehr Frauen hinzukommen. Aber im Gegenzug gilt auch: ZDFneo ist in seiner Zuschauerstruktur weiblicher als wir – so gleichen wir das in der Senderfamilie wieder aus.

Von der viel diskutierten Fragmentierung profitieren Sie bei ZDFinfo aber vermutlich, oder?
Naja, wenn Sie so wollen, tragen ich beides in mir: Ich bin ja nicht nur für ZDFinfo verantwortlich, sondern auch für «ZDFzeit» in der Primetime des Hauptprogramms oder auch für die Factuals sowie die «ZDF.reportage» am Sonntag. Daher fragmentiere ich mich quasi selbst (lacht). Aber solange die ZDF-Digitalkanäle die Verluste im Hauptprogramm überkompensieren, kann ich in der Fragmentierung überhaupt kein Problem für das Hauptprogramm sehen.

Wie stehen Sie eigentlich zum Thema „Flüchtlings-TV“?
Wir haben bereits unsere sonntägliche «ZDF.reportage» mit arabischen Untertiteln angeboten. In dem Format setzen wir uns derzeit und in insgesamt sechs Folgen unter der Überschrift «Willkommen oder unerwünscht» mit der Flüchtlingsproblematik auseinander. So sehen die Menschen, die hier ankommen, wie wir über sie berichten. Gemeinsam mit unseren Kollegen von «ZDFonline» planen wir gerade weitere Angebote für Flüchtlinge. Noch schauen diese Menschen sicher nicht gleich deutsches Fernsehen, aber sie sind im Netz unterwegs – dort werden wir ihnen ein Angebot machen.

Welche Marktanteile sind langfristig für ZDFinfo erreichbar? Sehen Sie da eine viel beschworene „magische Grenze“ als Spartensender?
Diese Diskussion, wie hoch unser maximaler Marktanteil sein kann, begleitet mich, seit wir vor über vier Jahren ZDFinfo neu ausgerichtet haben. Wir müssen verlässlich Qualität bieten – dann ist bei aktuell einem Prozent noch viel Luft nach oben!

Zugegeben, es ist vielleicht ein ZDFinfo-Klischee… Aber zum Abschluss können wir Sie als Programmverantwortlichen leider nicht aus dem Gespräch lassen, bevor wir nicht Ihre Meinung zu den umstrittenen Dokus von…
(lacht) Ja, ich weiß, was jetzt kommt…Unsere Hitler-Dokumentationen – aber ich stehe dazu! Wenn man sich mit deutscher Geschichte beschäftigt, kann man Hitler nicht weglassen. Es gibt einen Grund, warum ich mal Geschichte studiert habe – das war diese Zeit, die eine Zäsur für unsere Gesellschaft dargestellt hat. Man könnte uns genauso den Vorwurf machen, wir seien der DDR-Geschichtssender, weil bei uns auch darüber viele Dokus zu sehen sind…

Ja, Ihre DDR-Dokus laufen sogar noch erfolgreich, oder?
Solange ich den Sender ZDFinfo leite, werden wir Dokumentationen über den Nationalsozialismus anbieten – mit großer Überzeugung! Wenn ich mir heute bestimmte Demonstrationen in Deutschland anschaue und höre, was da so geredet wird, dann kann es kein Schaden sein, diese Dokumentationen zu senden.
ZDFinfo-Chef Robert Bachem
In der Tat, da erreichen wir ein noch jüngeres Publikum! Ich will aber auch nicht drum herum reden: Solange ich den Sender ZDFinfo leite, werden wir Dokumentationen über den Nationalsozialismus anbieten – mit großer Überzeugung! Wenn ich mir heute bestimmte Demonstrationen in Deutschland anschaue und höre, was da so geredet wird, dann kann es kein Schaden sein, diese Dokumentationen zu senden. Wir sehen da durchaus unseren Auftrag. Wir sind sehr stolz auf unsere Reihe «Die Wahrheit über den Holocaust» – eine hochkarätige internationale Ko-Produktion. Die acht Folgen sind knapp 90 Mal bei uns ausgestrahlt worden und haben viele Menschen erreicht. Wir sollten auch nicht aufhören, die Fragen von heute an diese Zeit zu stellen. Deshalb werden wir in Dokumentationen über diese für Deutschland und Europa so prägende Zeit Geld und Grips stecken, um Antworten für das zu finden, was damals passiert ist.

Vielen Dank für das Gespräch!
19.11.2015 12:44 Uhr Kurz-URL: qmde.de/82051
Benjamin Horbelt

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Audi-Cup Die Wahrheit über den Holocaust Race of Champions Willkommen oder unerwünscht ZDF.reportage ZDFonline ZDFzeit

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