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Integrationskitsch in den Klamotten von Miley Cyrus?

Die Kritiker: Iris Berben will als mutige Lehrerin in «Die Neue» ein muslimisches Mädchen integrieren. Das ist vor allem kitschig.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Iris Berben («Rosa Roth») als Eva, Ava Celik («Kückückskind») als Sevda, Hans Jochen Wagner («Männer! – Alles auf Anfang») als Rolf, Martin Brambach («Barfuß bis zum Hals») als Guido, Sandra Borgmann als Lydia, Otto Mellies («Halt auf freier Strecke») als Evas Vater, Anna Lena Klenke, Julia Jendroßek und Gizem Emre (alle drei bekannt aus «Fack ju Göhte») als Jaqueline, Mia und Neriman, Robert Köhler als Goran und andere


Hinter den Kulissen:
Regie: Buket Alakuş, Buch: Christoph Silber nach einer Idee von Buket Alakuş, Musik: Ali N. Askin, Kamera: Stephan Wagner, Schnitt: Andreas Radtke, Produktion: HV Entertainment

Auch wenn der ZDF-Fernsehfilm der Woche mit den letzten Zeilen von Goethes „Prometheus“ beginnt, es handelt sich bei «Die Neue» nicht um ein poetisches Stück, welches eigentlich bei arte beheimatet sein müsste. Ganz gut gepasst hätte die Produktion jedoch in die ARD-Themenwoche Heimat, besser jedenfalls als der Film «Leberkäseland», der in diesem Rahmen im Ersten gezeigt wurde.

Schaut man auf den Cast, fallen zunächst zwei weibliche Darstellerinnen auf, die schon bei «Fack ju Göhte» ihren Part als Schülerinnen im sozialen Brennpunkt gespielt haben. Aber Moment mal! Sozialer Brennpunkt, Schule und Goethe? Aber nein, das war es schon, was sich die Produktion an Inspiration bei Bora Dagtekin geliehen hat – und natürlich die genannten Darstellerinnen, namentlich Anna Lena Klenke und Gizem Emre. Die aber sind ohnehin nur das provokante Zünglein an der Waage. Diese Rolle füllen beide (zusammen insbesondere mit Julia Jendroßek) zwar in weiten Teilen gut aus, ab und an drängt sich allerdings auch der Eindruck des Overactings auf.

Eine Hauptfigur, die sich in den Hintergrund spielt


Ähnliches muss man bei Hauptdarstellerin Iris Berben als Lehrerin Eva kaum befürchten, die ihre Hauptrolle recht dezent in den Hintergrund spielt. Das ist insofern gut, als die Story sie zu oft auch an Stellen in den Vordergrund rückt, an der sich der Zuschauer andere Schwerpunkte wünschen würde.

Erzählt wird von dem muslimischen Mädchen Sevda, die ihre Schule wechselt und mit Kopftuch an ihrem neuen Gymnasium erstmal nicht besonders gut aufgenommen wird. So weit, so gewöhnlich. Auch, dass die Schule nicht besonders begeistert ist, weil Sevda nicht am Sportunterricht teilnehmen oder neben einem Jungen sitzen will, überrascht kaum. Etwas weniger vorhersehbar ist da schon die Begegnung mit Sevdas Eltern – genau wie Lehrerin Eva, sind diese nämlich ungläubig und empfinden Sevdas religiöse Begeisterung weniger als ernsthafte Überzeugung, sondern viel mehr als Rebellion. Eva zeigt dafür jedoch Verständnis, geht sogar mit dem Mädchen in die Moschee und stellt einen Antrag auf Sportbefreiung. Doch Sevda missbraucht ihr Vertrauen, während Eva sich der Religion annähert.

Das alleine wäre wohl nicht ganz uninteressant gewesen. Schwieriger ist allerdings die persönliche Story von Eva, deren Mutter stirbt (wobei die Darstellung keine sonderlich emotionale Stimmung transportiert). Evas Problem scheinen aber ohnehin weniger der Aufwand oder die emotionale Belastung zu sein, die der Todesfall mit sich bringt, sondern viel mehr die Sorge, den eigenen Vater nie kennen zu lernen. Warum diese Frage erst jetzt eine wirkliche Rolle spielt, erklärt sich dem Zuschauer aber nicht. Klar, der Tod der Mutter ist ein einschneidendes Ereignis, aber auch in anderen Momenten hätte der Vater ja eine Rolle spielen müssen. Und obschon das Ende dieses Handlungsaspektes bereits von Beginn an ungefähr so überraschend ist, wie der Rücktritt Martin Winterkorns nach Beginn des Abgas-Skandals, muss der Zuschauer doch noch einige Wendungen mitmachen.

Outfits wie von Miley Cyrus?


Irrelevant und unvollendet ist dazu auch die Lovestory von Eva, die eine Affäre mit dem verheirateten Direktor der Schule hat. Konflikte in Privatleben und Schule sind von dem her aber zumindest in Anmarsch. Spannender ist Sevdas Klasse, die sich teilweise gegen ihr Kopftuch wehrt: Zunächst nämlich tauchen drei Mädchen in Outfits auf, die in der Vorstellung der Autoren sonst wohl nur Miley Cyrus auf einer Bühne tragen würde. Tatsächlich aber sind die gezeigten Klamotten nicht viel knapper, als sie in Schulen des Landes de facto bereits gesehen werden können. Doch auch ins andere Extrem soll der Kleidungsstil ausschlagen, in diesen Phasen sind die Konfliktlinien durchaus spannend. Dazu kommt dann noch ein ohne Kenntnis der Schulleitung etablierter Gebetsraum, der nur halb so unauffällig wie beabsichtigt in die Story eingepflegt wird.

Leider passiert aber nicht genug. Für 90 Minuten ist die Handlung zu dünn, die Eskalation am Ende ist zwar einerseits spannend, andererseits hat der Zuschauer das Gefühl, eine ähnliche Situation kurz vorher schon gesehen zu haben. Und das Fazit, zu dem Lehrerin Eva kommt, hätte man als halbwegs vernünftig denkender Mensch ohnehin schon zu Beginn des Films ziehen können: Es geht um Integration, denn nur zu dulden heißt, zu beleidigen. Filmisch ist die Produktion ohnehin nur Regelfernsehen, und das obwohl das Thema in der aktuellen Situation kaum mehr an Brisanz mitbringen könnte. Wäre am Ende des Films der moralische Gewinner insgesamt der Verlierer gewesen, dann hätte das immerhin noch ein Überraschungsmoment gehabt. So aber ist das Finale – trotz zwischenzeitlich guter Ansätze – nicht viel mehr als Integrationskitsch. Aber damit ist die Produktion noch immer gelungener, als der oben genannte ARD-Film zum Thema Heimat. Wem es genügt.

«Die Neue» ist am Montag, 19.Oktober um 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.
18.10.2015 13:36 Uhr Kurz-URL: qmde.de/81429
Frederic Servatius

super
schade


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Tags

Ausländer Die Neue Fack ju Göhte Inklusion Integration Islam Jugendliche Leberkäseland Schule ZDF Öffentlich-Rechtlich

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