Mit äußerst moderaten Veränderungen ging Deutschlands Vorzeige-Castingshow am Donnerstag in die neue Runde und symbolisiert damit vor allem eines: Den Glauben an die eigene Stärke. Angesichts der Klasse des Formats ist das äußerst nachvollziehbar, birgt allerdings auch Gefahren.
«The Voice»-Quoten seit 2011
- S1: 4,16 Mio. (13,4% / 24,3%)
- S2: 4,02 Mio. (13,3% / 23,0%)
- S3: 3,67 Mio. (12,2% / 20,7%)
- S4: 3,52 Mio. (12,0% / 20,3%)
Wieder einmal ist in diesen Zeiten die Rede davon, dass die große Zeit der Casting-Shows vorbei ist. Anzeichen gibt es hierfür genug: Die wenigen Neustarts in diesem Bereich sind zuletzt meist gescheitert («Rising Star», «Die Band») oder liefen auf einem unspektakulären Niveau («Superkids»), etablierte Marken wie «Got to Dance» oder «Popstars» hatten bittere Bruchlandungen zu verkraften und selbst die ewigen Quoten-Garanten wie «DSDS», «Das Supertalent» oder «Germany's Next Topmodel» haben ihre allergrößten Zeiten bereits hinter sich. Als wohl jüngster Genre-Superhit ist
«The Voice of Germany» in seinen vier Staffeln von solchen Negativ-Schlagzeilen weitgehend verschont geblieben, eine negative Quoten-Tendenz auf allerhöchstem Niveau ist jedoch auch hier kaum von der Hand zu weisen (siehe Infobox). Am Donnerstag startete nun die fünfte Staffel, die sich zum Auftakt gar nicht erst um allzu große Neuerungen bemühte. Nötig hat man diese Veränderungen auch gerade in den Blind Auditions nicht wirklich, da sie auch diesmal wieder höchst unterhaltsam und abwechslungsreich sind - und dennoch scheint die ganz große Magie mittlerweile ein wenig verflogen.
Immerhin weiß der einigermaßen regelmäßige Zuschauer den Ablauf mittlerweile gut einzuschätzen: Ein wenig Pathos zu Beginn, damit man auch weiß, dass diese Staffel zweifelsfrei die beste und spannendste überhaupt wird - ein Versprechen, das schon 2011 bis 2014 oft und gerne artikuliert wurde. Die augenzwinkernden und mitunter durchaus amüsanten Kampfansagen der Coaches, obwohl man weiß, dass sie sich letztlich doch eher als große Musiker-Familie sehen und nur im entferntesten als Konkurrenten. Und natürlich der zum Glück auch weiterhin hohe Anteil an musikalischen Darbietungen, bei denen die Jury nur auf Grundlage der Stimme des Singenden entscheiden muss, ob sie ihn in ihr Team aufnehmen möchte.
Die feinen Veränderungen beziehen sich einerseits auf die Optik und sind nicht mehr als eine kleine Randnotiz wert: Die Bauchbinden sind nun etwas kleiner und kompakter, das Design der Stühle wurde minimal verändert und statt der prägnanten Hand ist nun im Hintergrund ein großes "V" zu sehen, das weniger ins Auge fällt. Interessanter sind da schon die personellen Veränderungen: Andreas Bourani löst nach zwei Staffeln Samu Haber ab, der mit Witz und hohem Entertainment-Faktor zum Publikumsliebling avancierte, inhaltlich aber selten mehr als "Das war super-super-super-toll!" und "Komm zu Papa!" zu sagen hatte. Was die Substanz seiner Wortbeiträge angeht, ist von Bourani gewiss mehr zu erwarten, ein großer Showmaster dürfte jedoch kaum in ihm stecken. Darüber hinaus haben die Programmverantwortlichen noch Lena Gercke in die Sendung integriert, die man nun offensichtlich als neues Vorzeige-Gesicht von ProSiebenSat.1 etablieren möchte. Derzeit hängt sie noch ein wenig in der Luft, die wirkliche Bewährungsprobe dürfte erst in den großen Live-Shows folgen, wo sie an der Seite von Thore Schölermann stehen soll.
Ansonsten bekommt man eben genau das geliefert, was man bei «The Voice» erwartet: Starke Musiker, wenig Voyeurismus, charismatische Coaches, deren Interaktion auch diesmal wieder zu gefallen weiß und weitgehend redundante Moderatoren, die vornehmlich als Stichwortgeber fungieren und den Angehörigen der Kandidaten emotional beistehen. Schölermann tut dies etwas souveräner, während Gercke sich mitunter etwas zu aufdringlich anbiedert und zu offensichtlich in Richtung Kamera stiert. Immer wieder beeindruckend und äußerst löblich ist die Bandbreite an Musikstilen und die generelle Haltung der Verantwortlichen, auch Menschen, die in der Marktforschung wohl nicht als "zielgruppenkonform" durchgehen oder sich für einen Lebensstil fernab des Mainstreams entschieden haben, keinen "Freak"-Stempel aufzudrücken und ihnen mit Respekt und Interesse zu begegnen. Ohne diese Haltung würde das Format aber auch nicht nur an Sympathie einbüßen, sondern auch an Abwechslungsreichtum - was beispielsweise der Auftritt einer korpulenten Rockmusikerin im mittleren Alter unter Beweis stellte, die den Saal mit einem alten Led-Zeppelin-Song in Ekstase versetzte.
Auch wenn bei der Auftaktfolge in diesem Jahr vielleicht keiner dieser Über-Kandidaten wie Percival oder Andreas Kümmert zu finden ist, gibt es also wieder genügend musikalische Anreize, um donnerstags und freitags zu ProSieben bzw. Sat.1 zu schalten. Dennoch kann man sich die Frage stellen, ob es nicht gewisser Innovationen bedarf, um eine solch große Show über Jahre hinweg für ein Millionenpublikum attraktiv zu gestalten. Denn «The Voice» ist längst vorhersehbar geworden und lebt nur noch von den Überraschungsmomenten Künstler und dessen Wirkung auf Publikum und Jury. In einer Musiksendung sind das nicht zu verachtende Momente, womit man einen angenehmen Gegenpol zum längst zur Selbstparodie verkommenen Soap-Kitschspektakel «DSDS» darstellt. Das Gefühl, keine Ausgabe verpassen zu dürfen, weil zu jedem Zeitpunkt alles passieren kann, hat man jedoch im fünften Jahr leider längst nicht mehr.
Wünschen Sie sich mehr Veränderungen am Konzept von «The Voice»?
Dass man am Bestehenden festhalten und keine Risiken eingehen möchte, ist angesichts der Bedeutung von «The Voice» für die Sendergruppe nur allzu verständlich: Bis auf «Schlag den Raab» hat man derzeit schlicht keine andere Show mehr zu bieten, bei der man realistisch auf 20 Prozent und mehr in der werberelevanten Zielgruppe hoffen kann. Und da vor allem die Blind Auditions der Kreation von John de Mol maßgeblich zu ihrem Alleinstellungsmerkmal verholfen haben, ist man hier noch einmal besonders vorsichtig dabei, mehr zu ändern als unbedingt nötig. So ist «The Voice» vom großen Event zur hochklassigen Routine geworden, die noch immer Spaß macht und eine sehr, sehr hohe Qualität vorzuweisen hat. Fraglich ist allerdings, ob und wann die deutschen Zuschauer hiervon genug gesehen haben - hierauf werden die Einschaltquoten der nächsten Wochen eine Antwort geben.