Die Sat.1-Sendung mit Ulrich Meyer steckt in der Krise. Der Sender hofft seit Monaten auf kreative Impulse; und spult bis dahin sein Standard-Programm ab. Das tut dem Format aber nicht gut.
Die guten Zeiten, sie sind schon lange vorbei beim einstigen Magazin-Aushängeschild von Sat.1, der
«akte» - das lässt sich allein daran ablesen, dass der Münchner Sender zuletzt in aller Regelmäßigkeit am Sendeplatz rüttelte. Seit Mitte August liefen allein fünf Ausgaben nicht um 22.15 Uhr, sondern erst nach 23 Uhr oder gar noch viel später. Quote machte die META-Produktion nur im August, als Lead-Out von «Promi Big Brother» und dort auch mit Themen, die dem selbst gesteckten Anspruch des Formats eigentlich nicht gerecht werden. Man betrieb Crosspromo für das Celebrity-Event und präsentierte sich als perfektes Boulevardmagazin.
Von der «Akte» als (zumindest halbwegs) ernst zu nehmendem Magazin war keine Spur mehr sichtbar. Das ist sinnbildlich für die Entwicklung des Formats in den zurückliegenden Monaten. Schon Anfang des Jahres, als die Sendung ihren 20. Geburtstag feierte, war sie irgendwo im Nirgendwo versunken, zeigte langweilige Gartenscheren- und Grill-Tests. Alles eben, was die Sendergruppe später in anderen Magazinen (und davon hat man reichlich) noch einmal wiederverwerten kann. Die Konkurrenz von RTL machte derweil vor, wie man auch als privater Sender journalistisch relevante Themen gut verpacken kann.
Seit zwei Wochen nun hat die Produktionsfirma META, die 2014 selbst durch eine schwere Krise ging, einen neuen Chef. Und ganz oben auf der Agende von Matthias Pfeffer steht die inhaltliche Neuausrichtung der Sat.1-Sendung und somit etwas, auf das man auf Senderseite schon seit Monaten wartet. Pfeffer dürfte dabei mitunter zwischen zwei Stühlen sitzen.
Was will der Sender, was will Endemol Shine?
Grundsätzlich gilt es auszuloten, ob Auftraggeber Sat.1 und Endemol Shine Germany, die META-Mutter, noch die selben Vorstellungen eines wöchentlich live gezeigten Magazins haben. Hier werden die Weichen vielleicht gerade in diesen Tagen neu gestellt, denn Neu-Sat.1-Chef Pflüger muss nicht die selben Vorstellungen haben wie sein Vorgänger Paalzow. Eines dürfte aber bleiben. Während für Sat.1 wohl verschmerzbar wäre, würden sich die Quoten nicht ganz weit über den Senderschnitt erheben, dafür aber Beiträge produziert werden, die sich quer über die Sendergruppe verwerten lassen, dürfte es Endemol daran gelegen sein, das Marktanteils-Maximum herauszuholen. Das aber dürfte sich im Endeffekt nur durch teurere Produktion und/oder bessere Mitarbeiter realisieren lassen. Gerade in zweiterem Punkt hatte die «Akte» zuletzt einen Aderlass mitgemacht, zugleich es aber versäumt, ähnlich kantige Köpfe vor der Kamera aufzubauen. Wohin der Weg aus Sicht von Pfeffer grundsätzlich gehen soll, machte Neu-Chef Pfeffer schon im Frühsommer in ersten Interviews klar. Auf spannend inszenierten Journalismus und wieder hin zu weiteren «Akte»-Ablegern.
Muss es beim Dienstag bleiben?
Eine der ersten Fragen, die gestellt werden muss, dürfte die des Sendeplatzes sein. Seit ziemlich genau neun Jahren sendet die «Akte» nun dienstags nach dem großen Sat.1-Spielfilm. Der aber schneidet derzeit deutlich schwächer ab als früher. Gibt es also Alternativen zu diesem Sendeplatz? Während der Montag wegen des ewigen Flops «Planetopia» wohl ausfallen dürfte und der Mittwoch durch «stern TV» belegt ist, könnte ein Wechsel auf den Donnerstagabend Sinn machen. Aber nur, wenn Sat.1 es mit der Rettung der Marke «akte» ernst meint. Ohne Frage würde man – relativ ohne Not – das stark laufende Crime-Line-Up mit derzeit drei Folgen «Criminal Minds» am Stück einreißen. Die Profiler aus den USA wären sicherlich in der Lage, quotenmäßig für mehr Buzz zu sorgen als die x-te Romantic Comedy. Eine andere Alternative für Sat.1 wäre sicherlich eine schnelle Absetzung des Formats – die würde aber wenig Sinn machen, wenn man nach der langen Zeit des Dahinsiechens nicht noch mindestens einen ernsthaften Rettungsversuch unternimmt.
Muss alles anders werden?
Relativ schnell dürfte Matthias Pfeffer klar werden, dass das Sat.1-Magazin in seiner jetzigen Verfassung nicht mehr dafür steht, wofür es die Leute früher liebten. Da fängt es schon beim Titelzusatz «Reporter kämpfen für Sie» an. Im Exklusiv-Interview mit Quotenmeter.de hatte der erste Journalist des Formats, Moderator Ulrich Meyer, vor sechs Jahren den letzten großen Wandel des Formats erklärt. „Wir merken, dass es seit geraumer Zeit immer mehr Menschen gibt, die ganz konkret Hilfe haben wollen. Deshalb haben wir uns auf diesen Themenbereich fokussiert. Schauen Sie sich die wirtschaftliche Entwicklung, die immer größer werdenden beruflichen Anforderungen, das komplexe Internet an. Manche Menschen sind damit überfordert“, sagte er unserer Redaktion damals. Bis dahin lief das Format auch unter dem Beinamen «Reporter decken auf», inzwischen wird für den Zuschauer gekämpft.
Nur beim Blick auf die Themen darf schon die Frage gestellt werden, ob der derzeit geführte Kampf der Redaktion einzig der ums eigene Überleben ist. Die vorherrschenden Themen wären vor sieben Jahren noch im damals floppenden Vorabendmagazin «Blitz» gelaufen: „So hart ist der Alltag der Polizei“, „Wenn Mama Krebs hat“, „Der große Wiesn-Discounter-Test“ oder „Der große Beziehungscheck“. Deutlicher kann man gar nicht veranschaulichen, wie sehr sich der einstige Sat.1-Hit von seinen Wurzeln verabschiedet hat. Ulrich Meyer als thronende Instanz, selbst dem Verfall der Relevanz scheinbar machtlos ausgeliefert, ist das letzte Stück «Akte»-Kult; und das fehlte im September gar selbst zwei Wochen. Früher eigentlich ein undenkbarer Vorgang.
Die Optionen des letzten Versuchs
Die META also wird von Sat.1 wohl diese letzte Chance bringen, die «Akte» wieder auf die Füße zu bringen. Allzu viel Zeit hat Pfeffer hierfür nicht; das Vertrauen der Senderchefs dürfte, so ist zu hören, bis ins neue Jahr hineinreichen, sehr viel weiter aber nicht. Bis dahin müssen dringende Fragen geklärt sein: Welche Themen sollen künftig angepackt werden; also: Geht es wirklich um die Hilfe am Zuschauer (bzw. braucht dieser die noch?) und muss eventuell am Sendungsnamen gearbeitet werden. Braucht die «akte» überhaupt noch einen Moderator oder ließe sich eine solche Sendung mit längeren Beiträgen und pfiffen Off-Kommentaren nicht recht simpel modernisieren? Hätte die Sendung eine Zukunft, wenn sie sich von den Studioparts komplett verabschiedet und eher in Richtung eines monothematischen Formats ginge? Oder anders gesagt: Was hat bei RTL IIs «Echtzeit» (das auch ein Quotenflop war) funktioniert und könnte für die Sat.1-Sendung als Vorbild dienen?
Oder aber: Wäre es möglich, dass das Heil der Sendung eventuell auch darin besteht, dass sich reguläre «Akte»-Sendungen im Block mit neu zu erfindenden Ablegern des Formats abwechseln?
Oder anders gesagt: Wieso ist bei der META oder bei Sat.1 noch niemand ernsthaft auf die Idee gekommen, die «ErmittlungsAkte» in Folge des großen «XY»-Erfolgs im Zweiten wieder zu beleben? Warum traut sich niemand auf eine ausdrücklich auf weibliche Bedürfnisse und mit frauen-affinen Themen ausgestattete «Akte»-Version? Und: Wann wird endlich das Niveau des Internetauftritts der «Akte» angehoben? Viele Fragen, wenige Antworten. Nur eine steht: Matthias Pfeffer stehen Marathon-Wochen bevor.