Unser Filmkritiker und Kolumnist schimpft ja gern mal über die Schattenseiten seines Berufstands. Heute aber will er mal Positivismus beweisen.
Wir Filmkritiker sind ein munteres Völkchen. Klar, wann immer wir einen Film verreißen, der bei euch da draußen an den Bildschirmen gut ankommt, hasst ihr uns. Und wenn wir einen Film empfehlen, den ihr nicht mögt, lästert ihr über uns. Aber, ich sage es euch: Wir sind ein Menschenschlag, den man lieben muss! Wirklich! Wenn ihr privat einem Filmkritiker begegnet, dann solltet ihr versuchen, zu ihm eine Bindung aufzubauen. Ob nun platonisch oder romantisch, ist euch überlassen, aber so oder so: Ihr werdet es nicht bereuen. Jeder sollte seinen eigenen Filmkritiker im direkten Umfeld haben! Und um euch die Berührungsängste vor dem Filmkritiker, dem unbekannten Wesen, zu nehmen, habe ich euch hier fünf Dinge aufgelistet, die nicht jeder über uns weiß …
Wir sind morgenkompatibel!
Es gibt Menschen, die brauchen so ihre drei, vier, fünf, acht Stunden, bis sie hellwach sind. Als Filmkritiker haben wir überhaupt keine Wahl, als uns daran zu gewöhnen, schnell in den Tag zu kommen. Denn die Filme, die wir besprechen, bekommen wir meist morgens zu Gesicht. Da Filme besprechen unser Job ist und darüber hinaus Kinos nun einmal abends ihre Haupteinnahmen machen, also zu dieser Zeit keinen Saal abzwacken wollen, finden Kritikervorführungen zumeist vormittags statt. Und weil sie nur in wenigen Städten abgehalten werden, aber nicht jeder Kritiker in Berlin, Köln, Hamburg, Düsseldorf, Stuttgart, München oder Leipzig wohnen kann, heißt das: Früh morgens in den Zug, und dann wenige Stunden nach dem Aufstehen für mehrere Stunden in einen dunklen Raum, wo man dann auf die Leinwand zu gucken und nicht zu reden hat. Wer da Morgenmuffel ist, verschläft also zwangsweise mangels Aktivität den halben Film. Weil sowas nicht angehen kann, trainieren wir uns zu Morgenmenschen um. Wer also am Frühstückstisch nicht angeschnauzt, sondern mit guten, wachen Gesprächen unterhalten werden will, ist mit uns gut bedient!
Wir sind tolle Party-Eisbrecher!
Morgenmenschen sind abends nicht zu gebrauchen. Klar. Das nennt man ausgleichende Gerechtigkeit. Nicht so mit Filmkritikern! Denn dank unseres Berufes sind wir abends in bunt gemischter Gesellschaft sehr gesprächskompatibel, was uns wiederum zu Hochform laufen lässt. Denn es gibt Berufe, über die man nur mit Kollegen reden kann. Aber Filme schaut jeder – und somit hat jeder Zugang zu dem, was ein Filmkritiker so zu sagen hat. Hätte ich für jedes Mal, wenn jemand zu mir sagt „Du bist Filmkritiker? Boooah waaas?! Ey, was startet demnächst, das du mir empfehlen würdest?“ einen Zehner bekommen, so könnte ich nun mit dem Bau meines Traum-Eigenheims beginnen! Erst neulich war ich auf einer Spontanstudentenfete, und als um mich herum plötzlich sämtliche Gespräche eingefroren sind, haben sich alle zu mir gedreht: „Tja … äh … Sidney, hast du was zu erzählen?“ Zack, habe ich aus dem Stehgreif eine Kritik zum zwei Tage zuvor für Kritiker vorgeführten 3D-Erotikdrama «Love» vom Stapel gelassen. Schwupps, es kam wieder Leben in die Bude …
Wir leben unsere Arbeit!
Wir machen unsere Leidenschaft zum Beruf, und daher sind die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit fließend. Sobald wir in unserer Freizeit einen Film gucken, bestreiten wir im Grunde genommen eine Fortbildung, selbiges gilt für jedes einzelne Film-Sachbuch, das wir uns kaufen, sowie für jede einzelne ausführliche Kinodebatte, die wir mit Kollegen oder Freunden führen. Hinzu kommt, dass immer mehr Filme nur kurz vor Start vorgeführt werden, so dass wir öfter auch mal kurz vor Deadline noch schuften müssen. Oh, und so toll unser Job auch sein mag, ist er nicht gerade eine Goldgrube. Daher ist es ein Beruf, der nur mit Hingabe betrieben werden kann … Wir sind also keine Workaholics, sondern schlicht rund um die Uhr leidenschaftlich.
Jeder denkt anders über uns!
Bei allen genannten Gemeinsamkeiten, die alle Frauen und Männer unserer Zunft verbinden: Egal, wo wir aufschlagen, werden wir anders begrüßt. Unsere Freunde beneiden uns unentwegt. Wenn immer über die Arbeit gesprochen wird, bekommen wir zu hören, wie toll es doch ist, dass wir diesen oder jenen Film vorab sehen dürfen. Unser aller Eltern kapieren dagegen nicht, was wir überhaupt treiben. Die Internetgemeinde hält uns für Nerds und den Verleihern müssen wir immer und immer wieder beweisen, dass wir keine Meckerfritzen sind …
Wir sind vielfältig!
Und besagtes Facettenreichtum, mit dem wir betrachtet werden, hat sogar seine Berechtigung. Denn wer einmal nach einer Pressevorführung gelauscht hat, was wir so verzapfen, weiß genau: Wir ticken alle höchst unterschiedlich. Vom Genrefan und Optimisten über den Pessimisten, hin zum schnell enttäuschten, leicht euphorisierten oder leicht überforderten Filmfreund … Vom kollegialen Plappermaul zum an den Flanken lauernden, stillen Grübler: Wir Filmkritiker sind ein bunt gemischtes Völkchen. Und gerade daher solltet ihr uns alle noch besser kennenlernen!
Filmkritiker – hast du keinen, brauchst du einen!