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«Minority Report»: Nächster Mord in 40 Minuten

Die Precogs sind zurück, es wird wieder Jagd gemacht auf zukünftige Mörder. Kann die Serie an den hervorragend philosophischen Steven-Spielberg-Film von 2002 anknüpfen? Unser Review verrät es.

Cast & Crew

  • entwickelt von: Max Borenstein
  • Darsteller: Stark Sands, Meagan Good, Nick Zano, Daniel London, Laura Reagan u.a.
  • Ausf. Produzenten: Borenstein, Mark Mylord, Darryl Frank, Justin Falvey, Kevin Falls, Steven Spielberg
  • Musik: Sean Callery
  • Produktion: 20th Century Fox, Paramount, Amblin
  • knüpft an Steven Spielbergs gleichnamigen Sci-Fi-Film an
  • literarische Vorlage von Philip K. Dick
Es beginnt spektakulär: Dash hat Visionen, er sieht einen Mord kommen. Eine Frau wird aus dem Fenster stürzen, vierter Stock. Sie hat keine Chance, kann sich nicht gegen den Killer wehren, der sie in den Tod schubst. 40 Minuten hat Dash, bis sich das Schicksal der Frau entscheidet. Er rennt vorbei an allen Sicherheitsschleusen, schafft es in die Hochgeschwindigkeitsbahn. „Sie sehen gestresst aus“, predigt ihm ein personalisierter Werbeclip an den Bahnfenstern. „Probieren Sie eines von Hart's neuen Totally Baked Goods.“ Minuten später kommt Dash an dem Platz an, wo sich der Mord ereignen wird. Er rennt ins falsche Haus – zu spät. Und kann nur noch mit ansehen, wie die Frau aus dem Fenster stürzt. Dash hat wieder einen Mord geschehen lassen.

Die Anfangsszene aus der TV-Serie «Minority Report» schafft gleich klare Verhältnisse: Es geht actionreich zu, futuristisch und schnell. «Minority Report» spielt elf Jahre nach dem gleichnamigen Steven-Spielberg-Film und nimmt diesen als Grundlage. Im Mittelpunkt stehen erneut die sogenannten Precogs, drei Geschwister mit übersinnlichen Fähigkeiten: Sie empfangen Visionen von zukünftigen Morden. Damals, im Jahr 2054, wurden sie eingesperrt, vom Staat als Orakel benutzt. Die präventive Verbrechensbekämpfung war erfolgreich, hatte aber Fehler. Bald wurde sie eingestellt, die Precogs auf eine einsame Insel entlassen. Abseits der Zivilisation, aber frei.

Die Serie erzählt den Weg der Precogs zurück ins Leben. Dash will seine Gabe nutzen und Menschen retten – doch ohne seine Geschwister ist dies umso schwieriger. Nur zu dritt sind die Visionen vollständig. Schwester Agatha will auf der Insel jedoch ihr einsames Leben weiterführen, Bruder Arthur ist erfolgreicher Unternehmer, hat mit der Verbrechensbekämpfung abgeschlossen. Bleibt also das eine Drittel, Dash. Er macht gemeinsame Sache mit Detective Lara Vega, die nicht nur seine berufliche Partnerin wird. Sie hilft ihm auch, sich einzufinden in ein Leben als normaler Bürger – nicht stigmatisiert, nicht geächtet.

Damit also setzt «Minority Report» auf das leider allzu bekannte – und vielfach ausgereizte – Konzept zweier ungleicher Verbrechensbekämpfer, die eigentlich nichts gemeinsam haben. Ein bisschen verrückt hier, ein wenig Antipathie da, ein wenig Flirt später. Das Duo Lara/Dash ist nur ein weiteres in der endlosen Reihe von Crime-Procedurals, die zu wenig Eigenheiten besitzen, um wirklich sehenswert zu sein. Abseits des Schema F, das in Sachen Charakterisierung vorangetrieben wird, fällt negativ das overacting umso mehr ins Gewicht. Die Rolle als Dash porträtiert Stark Sands zu bemüht, zu affektiert. Möglicherweise mag die starke Unsicherheit seines Charakters inhaltlich Sinn machen, gut gespielt ist sie trotzdem nicht und lenkt vom eigentlichen Geschehen ab.

Immerhin fühlt sich der Pilotfilm nicht überladen an; die durchaus zahlreichen Charaktere werden an den passenden Stellen eingeführt. Leider reißt das Schicksal der drei Precogs umso weniger mit, da über Dashs Geschwister nichts verraten wird, um Interesse zu wecken. Und warum gerade Dash selbst ein solcher barmherziger Samariter ist und die anderen beiden nicht, bleibt eine offene Frage. Genauso wie die auffälligen Logiklöcher, die man hinterlässt. Auch storytechnisch macht es sich die Serie einfach: Immer, wenn etwas passieren soll, hat Dash die entsprechende Vision dazu. Dies wirkt anfangs noch spannend, ist spätestens aber beim siebten Mal nur noch ermüdend und – im wahrsten Sinne des Wortes – vorhersehbar.

Das größte Manko an «Minority Report» sind aber die Dinge, die gerade fehlen: Der damalige Science-Fiction-Film stelle philosophische Fragen von Schuld und Strafe, würdigte Polizeiarbeit mit einem extrem kritischen Blick. Nach 9/11 und dem Patriot Act war der Film damals auch eine Parabel auf das Misstrauen gegenüber der Verbrechensbekämpfung. Die Serie blendet nun all diese Fragen aus oder dreht die Message gar um: Das Buddy-Cop-Duo Lara/Dash gehört der staatlichen Institution an, gegen die Tom Cruise anno 2002 noch gekämpft hat. Damals war man auf der Seite des Aussätzigen, des Deserteurs, der Gerechtigkeit herstellen will. Nun scheint die Gerechtigkeit wieder bei den Cops zu liegen, die munter drauflos ermitteln können. Dass die vermeintlichen Täter auch wirkliche Schuldige sind, daran hat Lara Vega keine Zweifel. In Zeiten der Totalüberwachung durch die NSA – jeder steht unter Generalverdacht – und der polizeilichen Brutalität in den USA wirkt «Minority Report» mit seinem antiquierten Konzept irgendwie fehl am Platze.

Die Serie funktioniert damit nur noch über die Popcorn-Schiene: als anspruchsloser futuristischer Krimi im Stile von «Scorpion» und «Almost Human». Technisch ist man auf hohem Niveau, die Effekte wirken gut. Einige witzige Ideen des zukünftigen digitalen Alltagslebens werden gekonnt präsentiert, ähnlich wie es der Spielberg-Film damals vormachte. Eine gute Serie wird «Minority Report» damit trotzdem nicht.
27.09.2015 12:26 Uhr Kurz-URL: qmde.de/81013
Jan Schlüter

super
schade


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Tags

Almost Human Minority Report Scorpion

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