Axel Milberg punktet in einer kinoreifen, verschroben-smarten Komödie von «Alles auf Zucker!»-Regisseur Dani Levy.
Cast und Crew
- Regie und Drehbuch: Dani Levy
- Darsteller: Axel Milberg, Andreja Schneider, Jenny Schily, Jakub Gierszal, Stefan Kurt, Anna Böger, Omar El-Saeidi, Martin Feifel, Mario Adorf, Markus Hering
- Kamera: Carl-Friedrich Koschnick
- Szenenbild: Zazie Kepper
- Kostüm: Ingrida Bendzuk
- Schnitt: Sebastian Bonde
- Musik: Niki Reiser
Ein wiederkehrendes Problem, das deutsche, öffentlich-rechtliche Fernsehfilme plagt, ist ihre Formelhaftigkeit. Und damit ist nicht zwingend gemeint, dass sich zahlreiche Plots so sehr ähneln. Sondern, dass einigen Neunzigminütern anzumerken ist, dass ihre Geschichte in exakt diese Länge gepresst wurde. Die öffentlich-rechtliche, sendeschemafreundliche Dramaturgie führt dazu, dass so mancher, kurzweiliger Stoff, der maximal 80 spritzige Minuten tragen würde, gestreckt wirkt. Und genauso werden Storys, die das Potential haben, 110 packende Minuten zu tragen, in den üblichen 90 Minuten durchgehechelt. Gewiss: Längst nicht jedem Fernsehfilm ist negativ anzumerken, dass er in ein Programmschema gepresst wurde. Doch nur selten hinterlässt ein Primetime-Film den Eindruck, nicht im Geringsten mit den Begrenzungen einer TV-Produktion Hinterkopf entwickelt worden zu sein.
«Der Liebling des Himmels» ist eine dieser Ausnahmen. Die unangepasste, im positivsten Sinne ungeordnete Komödie wirkt wie eine unabhängige Kinoproduktion, die halt nur rein zufällig 90 Minuten lang ist. Diese Laufzeit ist einfach die perfekte Länge für die von ihr erzählte Geschichte – und scheinbar nur zufälligerweise fügt sich «Der Liebling des Himmels» somit den Anforderungen des Programmablaufs des Ersten. Bitte nicht missverstehen: Logischerweise hat Regisseur und Autor Dani Levy hier kaum etwas dem Zufall hinterlassen. Doch der kinoerfahrene Macher solcher Klassiker wie «Alles auf Zucker» lässt es so aussehen. Zum Glück! Denn dieses paradoxe Verhältnis zwischen Chaos und Ordnung, das die Dramaturgie von «Der Liebling des Himmels» ausmacht, stellt den gebotenen strukturellen Rahmen für diese hintersinnige, schräge Komödie mit Axel Milberg dar!
Schon die ersten Filmminuten zeigen, mit was für einer einzigartigen Type wir es hier zu tun bekommen: Milberg alias Magnus Sorel stapft zerstreut und zerzaust durch das Hamburger Schanzenviertel. Als er einem Mann begegnet, der mit lautem Gerät arbeitet, drückt er ihm seine Visitenkarte in die Hand: „Wenn sie mal psychische Probleme bekommen, wegen dem Krach“, weißt Sorel den ahnungslosen Herren an, soll er zu ihm in die Praxis kommen. Denn Sorel ist nicht nur von Zwangsneurosen geplagt, dauernd gestresst und von menschlichem Kontakt angewidert – er ist auch Psychiater.
Dass ausgerechnet ein Seelenklempner nicht alle Tassen im Schrank hat, ist wahrlich keine neue Idee. Jedoch treiben Levi und ein formidabel aufspielender, in seiner Rolle versinkender Milberg die Darstellung dieses durchgeknallten Psychiaters so genussvoll auf die Spitze, dass dieses Konzept wieder vollkommen neu wirkt. Zudem ist Sorel zwar eingangs ein dick überzeichneter, fieser Kauz, jedoch werden von Szene zu Szene immer neue minutiöse Details in seiner Charakterisierung deutlich, dass er eben nicht eine bloße Witzfigur bleibt. Viel mehr steigt er zu einem tragikomischen Anti-Helden auf, der zwar nicht unbedingt dazu einlädt, sich mit ihm zu identifizieren, mit dem man aber sehr wohl mitfiebern kann.
Da viele der Gags und Handlungswenden auf Sorels Kosten gehen, kommt diese Balance «Der Liebling des Himmels» sehr gelegen: Wenn sich Sorel daneben benimmt, darf darüber hämisch oder ungläubig gelacht werden. Und dennoch sind seine Leiden glaubwürdig und real, so dass Milbergs verletzliche Seite es ermöglicht, mit diesem unfassbaren Kerl mitzuleiden, wenn das Schicksal all zu übel mit ihm mitspielt. Exakt dies tut es mit fast schon verstörender Effizienz: Eine von Sorels Patientinnen zeigt ihn wegen sexueller Nötigung an, zudem wird bei ihm eingebrochen – und ausgerechnet seine Tagebücher wurden dabei entwendet. Seither droht ihm ein Erpresser, die heiklen Einblicke in Sorels Seele zu veröffentlichen. Und dann wären da noch seine tumultartigen Familienkonflikte …
Obwohl «Der Liebling des Himmels» tief in die inneren Abgründe seines Protagonisten blicken lässt, ist die Gagfrequenz außerordentlich hoch – ebenso wie die humoristische Varianz. Levi prügelt trotz der hohen Erzählgeschwindigkeit nicht mit der Witzkeule auf sein Publikum ein, sondern lässt Situationskomik, geschliffene Wortspiele, improvisierte und daher so lockere Dialoge sowie eine gute Prise Fremdscham herausragend ineinander greifen. Dass diese TV-Produktion das diesjährige Festival des deutschen Films eröffnen durfte, verwundert angesichts dessen keineswegs. Und der fantastische Cast rund um Milberg herum – inklusive Gastauftritt von Mario Adorf – tut da sein übriges. Inszenatorisch gibt es sowieso nichts zu beanstanden: Levi hält da drauf, wo die Akzente, die Nuancen, die Feinheiten im Gag sind, und erweckt diese charaktergetriebene Chaosgeschichte zu einem Eigenleben, das Degeto-Fernsehkomödien sonst nur alle Jubeljahre erreichen.
«Der Liebling des Himmels» ist am 18. September 2015 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.