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Daniel Bröckerhoff: 'Deutschland braucht ein Format wie «The Daily Show» oder «Last Week Tonight»'

Der Journalist spricht über Lektionen, die das «heute+»-Team dank Social Media gelernt hat, weshalb er keine Routine einkehren lassen will und über Formate, die in Deutschland fehlen.

Eine zu große Routine würde konträr zu dem laufen, was wir uns vorgenommen haben. Schließlich wollen wir die eingefahrene Berichterstattung hinterfragen. Da wäre es heuchlerisch, wenn wir unsere eigene Leistungen zu selbstverständlich betrachten würden.
Daniel Bröckerhoff
«heute+» hat nun ein paar Monate auf dem Buckel – ist die Redaktion mittlerweile ganz routiniert, oder herrscht weiterhin der Drang des Neuen vor?
Wir sind jetzt seit Mitte Mai auf Sendung, und es ist durchaus so, dass eine gewisse Ruhe eingekehrt ist. Wir fühlen uns sicherer und selbstbewusster, da sich gezeigt hat, dass unser Format angenommen wird. Dank des Feedbacks der Community wissen wir, welche unserer Ansätze funktionieren. Dennoch würde ich nicht sagen, dass wir völlig routiniert an die Arbeit herangehen, worüber ich sogar sehr froh bin. Eine zu große Routine würde konträr zu dem laufen, was wir uns vorgenommen haben. Schließlich wollen wir die eingefahrene Berichterstattung hinterfragen. Da wäre es heuchlerisch, wenn wir unsere eigene Leistungen zu selbstverständlich betrachten würden. Daher achten wir ungebrochen darauf, an welchen Stellschrauben wir noch drehen müssen: Haben wir wirklich zu sämtlichen Zielen, die wir verfolgen, den richtigen Weg gefunden? Wie können wir unsere Themengewichtung optimieren? Und wir suchen ständig nach neuen Optionen, mit denen wir unsere Community weiter ausbauen können.

Stichwort Community: Dass dem «heute+»-Team das Feedback aus den sozialen Netzwerken sehr wichtig ist, lässt sich online ja sehr gut verfolgen. In welchen Belangen hat die Community der Redaktion denn am meisten geholfen?
Am stärksten hilft sie uns dabei, unsere Themenauswahl zu hinterfragen. Es gibt Themen, von denen wir erwartet hatten, dass sie von großer Relevanz sind und viel diskutiert werden, auf die dann jedoch kaum reagiert wurde. Ebenso kam es vor, dass Themen eine unerwartet gesteigerte Aufmerksamkeit erhalten haben. Und das verfolgen wir mit großem Interesse. Unsere Community dient insofern als Messgrad dafür, welche Themen gefragt sind, und vor allem, bei welchen Themen die User das Gefühl haben, dass sie von anderen Medien nicht genügend behandelt werden. Wir hätten zum Beispiel nie erwartet, dass unser Erklärvideo zum Ramadan unser bis dato erfolgreichster Clip wird. Sehr viele Muslime haben sich durch den Beitrag angesprochen gefühlt. Sie ließen uns wissen, wie froh sie darüber sind, dass darüber berichtet wird, und haben es im Netz vielfach geteilt, etwa auch um Freunden zu zeigen: „Hier, damit ihr versteht: Das steckt hinter dem Ramadan.“ Wir haben auch massenhaft Rückmeldungen zu unserem Beitrag über Duisburg-Marxloh erhalten. Auch aus ähnlichen Gründen: Viele in unserer Community meinten, sie wären dankbar, dass Mal gezielt über diesen Stadtteil berichtet wird, in dem seit einigen Jahren einiges schief läuft, ohne dass dagegen etwas unternommen wird. Das Feedback auf den Beitrag war der Auslöser für uns, nochmal dorthin zu fahren und weitere Beiträge zu machen.

Einigen war die Schnittgeschwindigkeit der frühen Beiträge etwas zu hoch, viele fanden sie dagegen genau richtig.
Daniel Bröckerhoff über die Reaktionen auf die Machart von «heute+»
Haben Reaktionen aus der Community auch schon dazu geführt, dass ihr bezüglich der Machart eurer Beiträge etwas Feintuning betrieben habt?
Dahingehend erhalten wir von unserer Community weniger Rückmeldung. Einigen war die Schnittgeschwindigkeit der frühen Beiträge etwas zu hoch, viele fanden sie dagegen genau richtig. Was das angeht haben wir ein wenig experimentiert, aber ich denke, in der Hinsicht hätten wir anfangs eh noch herumprobiert. Es dauert ja immer etwas, um den Stil feinzuschleifen. Was allerdings durch unsere Community inspiriert wurde: Ich habe zwei Beiträge gemacht, die wie im Stil eines üblichen YouTube-Videos gehalten sind. Ich spreche da direkt in die Kamera einmal mit einem Faktencheck, einmal mit einem Beitrag zu Asyldebatte. Das wollte ich einfach ausprobieren, das kam allerdings so gut an, dass wir das nun häufiger machen werden. Auch mit meiner Kollegin Eva-Maria Lemke.

Zur Person

Daniel Bröckerhoff wurde 1978 in Duisburg geboren und bezeichnet sich selbst als Medien- und Nachrichtenjunkie. Seit 2009 arbeitet er als freier Journalist, seit 2011 ausschließlich für öffentlich-rechtliche Sender. Unter anderem war er Autor beim NDR-Medienmagazin «Zapp». Social Media ist für ihn ein wichtiger Weg, den Journalismus zu verbessern: "Jedes Produkt verbessert sich, wenn man zuhört, wie die Konsumenten es nutzen und was sie daran schätzen und was nicht."
Hat sich das Scannen der teils zahlreichen Kommentare als problematisch erwiesen?
Das ist sehr vom Thema abhängig. Emotionalisierende Themen sind da erwartungsgemäß schwierigere Fälle. Vor allem die Flüchtlings-Debatte löst stets eine Masse an Kommentaren aus, bei denen wir sehr aufpassen müssen, ob sich darunter nicht welche befinden, die zu sehr in die eine oder andere extreme Richtung tendieren. Auffallend häufig wurde auch ein Beitrag kommentiert, in dem wir über das komplizierte politische Verhältnis zwischen Kurden und Türken informiert haben. Das Video wollte vor allem darüber informieren, wo Kurden überall in Kämpfe verwickelt sind. Dies führte zu zahlreichen Rückmeldungen von Deutschtürken, die daran Anstoß genommen haben und es so empfunden haben, als würden wir Partei ergreifen. Darauf gab es dann zahlreiche Antworten von Deutschkurden, die diese Kommentare als Affront gesehen haben. Rückblickend ist es total naheliegend, dass dieses Thema kontrovers ankommt, vorab haben wir dies allerdings nicht kommen sehen, weil dieser Konflikt so selten prominent behandelt wird und uns daher nicht bekannt war, dass er derartige Spannungen auch in der deutsch-kurdischen sowie der deutsch-türkischen Community verursacht.

Gab es bei der Gestaltung der Sendung bislang nennenswerte Rückschläge, in dem Sinne, dass ihr feststellen musstet: „Ok, das Thema hätten wir nicht mit so viel eigener Haltung anpacken sollen, jenes haben wir zu stark zusammengerafft“?
In der Form ist das bislang nicht vorgekommen. Was uns aber sehr ärgerte, waren vereinzelte Fehler, die wir in den ersten Ausgaben gemacht haben. Da haben wir aber auch sofort unsere Social-Media-Kanäle genutzt, um diese Patzer transparent zu machen und Richtigstellungen zu veröffentlichen. So hatten wir einen Bericht über die veraltete Technologie im Bundestag, in dem wir behauptet haben, dass dort weiterhin Computer mit Windows XP im Einsatz sind. Das war jedoch falsch, was uns sehr leid getan hat – in dem Fall haben sämtliche unserer Kontrollinstanzen versagt, so dass uns nichts anderes blieb, als uns dafür zu entschuldigen. Interessant, und sehr ermutigend, ist jedoch, dass die Community sich sehr dankbar für diese Transparenz gezeigt hat. In meinen Augen führt das vor, dass Journalisten sich ihrem Publikum gegenüber menschlich zeigen dürfen. Fehler sollten niemals passieren, trotzdem können sie vorkommen, und wer ehrlich damit umgeht, stößt auf Verständnis. Natürlich haben wir drei, vier User, die einfach alles schlecht finden. Unsere Wortwahl, den Look, die Themen, die wir aussuchen. Aber selbst die habe ich mittlerweile fast lieb gewonnen, weil sie mit solch einer Verlässlichkeit kommentieren und es durchaus Spaß macht, sich immer wieder einen Schlagabtausch mit ihnen zu liefern.

Was Jon Stewart gemacht hat, was John Oliver macht, ist in meinen Augen eine sehr wertvolle und gute Form der Aufklärung. Knallharte Fakten zu teils wenig beachteten Themen so satirisch und unterhaltsam aufzubereiten, ist bemerkenswert.
Daniel Bröckerhoff darüber, welche Form der Informationsvermittlung in den deutschen Medien fehlt
Um zum Abschluss kurz über den Tellerrand zu blicken: Welches journalistische Format fehlt Deutschland am meisten?
Ich finde, Deutschland braucht dringend ein Format wie «The Daily Show» oder «Last Week Tonight». Was Jon Stewart gemacht hat, was John Oliver macht, ist in meinen Augen eine sehr wertvolle und gute Form der Aufklärung. Knallharte Fakten zu teils wenig beachteten Themen so satirisch und unterhaltsam aufzubereiten, ist bemerkenswert. Und so werden auch Menschen angesprochen, die sich sonst vielleicht nicht über die behandelten Themen informieren würden. Wir haben Ansätze dieser Herangehensweise zum Glück schon im ZDF. Und ich bin sehr froh über das, was wir haben. «Die Anstalt» und die «heute-show» zeigen Elemente dieser Formate und Jan Böhmermann macht bei «Neo Magazin Royale» mit «Eier aus Stahl» auch durchaus etwas in dieser Richtung. Und meines Wissens nach will er das weiter ausbauen. Allerdings finde ich, dass wir noch viel mehr in der Art brauchen. Die Formate, die wir im ZDF in diesem Metier haben, könnten weiter zugespitzt werden. Am besten wäre es, ein regelmäßiges Format zu starten, das sich auf diese Herangehensweise konzentriert.

Könnte die Themenlage in Deutschland denn eine tägliche «The Daily Show»-Antwort tragen?
Da bin ich mir nicht sicher, ein wöchentliches Format dagegen könnte man ohne Probleme füllen. Zudem darf man nicht vergessen, dass auch um Deutschland herum genügend passiert, was sich für diesen Ansatz eignet. Ein deutsches «Last Week Tonight» muss sich nicht auf die Ereignisse in diesem Land beschränken, sondern könnte auch sehr gut auf die weltweite Nachrichtenlage eingehen.

«heute+» ist montags bis freitags ab ca. 23 Uhr online zu sehen und gegen Mitternacht im ZDF.
28.08.2015 09:01 Uhr Kurz-URL: qmde.de/80378
Sidney Schering

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Tags

Die Anstalt Eier aus Stahl Last Week Tonight Neo Magazin Royale The Daily Show heute+ heute-show

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