Die neue ProSieben-Serie interpretiert einen zuletzt vielfach bemühten Horror-Archetypen neu und schafft damit ein Format, das sehr viel besser zu seiner Zeit passt als ähnliche Produktionen.
Cast & Crew: «The Strain»
Vor der Kamera:
Corey Stoll, David Bradley, Mía Maestro, Kevin Durand, Jonathan Hyde, Richard Sammel, Jack Kesy, Natalie Brown, Miguel Gomez, Ben Hyland, Max Charles u.m.
Hinter der Kamera:
Schöpfer: Guillermo del Toro & Chuck Hogan
Executive Producers: Guillermo del Toro, Chuck Hogan, Carlton Cuse, Gary Ungar, J. Miles Dale, David Weddle, Bradley Thompson & Regina Corrado
Musik: Ramin Djawadi
Schnitt: Kathryn Himoff, Christopher Nelson & Sarah Boyd
Kinematopgraphie: Cehcco Verese, Gabriel Beristain & Miroslaw Baszak„Hunger ist die erste Lektion, die wir lernen“, führt der Erzähler von «The Strain» in das Format ein. Was im Kontext des Serieninhalts wie eine unheilvolle Vorahnung wirkt, trifft ebenfalls für das Aufleben zahlreicher neuer und ambitionierter Serien in den vergangenen Jahren zu. Immer größer wird der Hunger von Fernsehzuschauern nach neuen, kontinuierlich weitererzählten Stoffen. Auch das Genre der Horror-Serien erlebte dabei eine Renaissance. Als Vorreiter in diesem Bereich gilt sicherlich «American Horror Story», das zuletzt seine vierte Staffel bestritt. Weitere beliebte Horror-Serien finden sich in «Penny Dreadful», «The Walking Dead», «Salem» oder «Z Nation» wieder. Mit dem Aufkommen neuer Genre-Formate erhöht sich jedoch auch der Anspruch des geneigten Zuschauers an solche Produktionen. Immer mehr wird von den Schöpfern verlangt.
Diesem Anspruch musste sich ab dem Juli 2014 auch «The Strain» stellen, das nun seinen Weg ins Mittwochabendprogramm von ProSieben fand. Es ist Teil einer Serienoffensive des amerikanischen Kabelsenders FX, der in diesem Bereich in den vergangenen Jahren mit «American Horror Story», «The Americans», «Louie» oder «Fargo» einige Highlights bot. Noch vor wenigen Jahren wurde Guillermo del Toros und Chuck Hogans Idee von den US-Sendern abgelehnt. Es folgten drei Romane, in denen das Duo die Idee verarbeitete, sowie der angesprochene Horrorserien-Hype und die Produzenten bekamen endlich ihre Chance. Die zweite Horrorserie im Programm, «The Strain», beginnt dabei an einem Schauplatz, der für spannungsgeladene Narrative besser kaum sein kann – in einem Flugzeug. Filme wie «Flight Plan» oder «Non-Stop» wussten die Eigenarten eines Flugzeugs geschickt zu nutzen, um Suspense zu induzieren. Schließlich ist die Tatsache, dass sich der Mensch mehrere Kilometer über dem Erdboden befindet ganz und gar unnatürlich, lässt Urängste aufkommen und steht bei Gefahren für eine beunruhigende Ausweglosigkeit.
Viel Zeit widmet der Pilot von «The Strain» den folgeschweren Geschehnissen in einem Flugzeug, das von Berlin auf den JFK Airport zusteuert, jedoch nicht. Weniger ist im Falle von «The Strain» anfangs mehr und die fehlenden Hintergründe einer zunächst nicht näher spezifizierten erwachenden Macht wirken dajer umso mysteriöser. Stattdessen konzentriert sich das Format, das quotentechnisch ein ansehnliches Debüt für ProSieben ablieferte, erst einmal auf die Schlüsselfiguren der Geschichte. Corey Stoll spielt darin den angesehenen Dr. Ephraim Goodweather. Er ist Chef von New York Citys Seuchenschutzbehörde. Seine Arbeit beansprucht ihn ungemein, darunter litt seine Ehe. So beantragte seine Frau Kelly (Natalie Brown), die mittlerweile schon einen neuen Partner an ihrer Seite hat, die Scheidung und die ehemaligen Ehepartner kämpfen nun um das Sorgerecht für Sohn Zach (Ben Hyland).
Aus einer weiteren Sitzung, in der das Sorgerecht verhandelt werden soll, wird er telefonisch herauszitiert, weil sich am Flughafen JFK eigenartiges zuträgt. Ein Passagier-Flugzeug steht auf der Landebahn, allerdings gibt es keine Zeichen, dass die Maschine, die aus Berlin kommt, Menschen transportiert. Diese eigenartigen Vorkommnisse rufen alle möglichen staatlichen Organisationen auf den Plan, unter anderem auch die Seuchenschutzbehörde. Sie begibt sich als erster in das Flugzeug und findet scheinbar eine ganze Maschine voller toter Menschen vor, obwohl es keinerlei Zeichen dafür gibt, was den Passagieren das Leben genommen hätte. Vier der Passagiere erwachen schließlich dennoch und werden evakuiert, um einen vermeintlichen Virus näher identifizieren zu können. Die Gerichtsmedizin findet bei den restlichen Leichen seltsame Einschnittstellen am Hals, den Toten fehlen darüber hinaus alle roten Blutkörperchen. Die Fragezeichen häufen sich.
Schnell wird klar, dass man es hierbei nicht mit den herkömmlichen Seuchen zu tun hat. Umso mysteriöser gestaltet sich die Aufklärung der Tode, als ein alter Besitzer eines Antiquitätenladens (David Bradley, «Harry Potter») mit einem Schwert am Flughafen festgenommen wird und Goodweather und seine Kollegen eindringlich warnt, alle Leichen sowie einen Sarg voller Erde zu vernichten, den die Seuchenschutzbehörde kurz zuvor aus dem Frachtraum des Flugzeugs geborgen hat. Der alte Mann scheint der einzige zu sein, der weiß, was vor sich geht. Er ist es auch, dem bewusst ist, dass die Geschehnisse kein Unfall waren, sondern geplant. Eine mächtige Organisation inszenierte im Verborgenen die Vorkommnisse, machte sich danach den Sarg zu Eigen und will damit einen „Untergang“ heraufbeschwören. Am Ende des rund 70-minütigen Piloten ahnt das Team um Dr. Goodweather ungläubig, dass es sich um eine Art Vampirseuche handeln muss…
© Robert Sebree/FX
Nicht unbedingt Bisse eines Vampirs übertragen den Virus, auch kleine, bissige Würmer stellen bei Blutkontakt eine Gefahr für den Menschen dar. Das Resultat sind seelenlose, hungrige Untote.
Nur wenige Personen passen zu einer solch übernatürlichen Thematik besser als Serienschöpfer Guillermo del Toro. Der Regisseur und Autor, der schon für fantastische Stoffe wie «Pan’s Labyrinth», «Hellboy» oder «Der Hobbit» verantwortlich zeichnete, erzählt in «The Strain» eine Geschichte über eine Vampirbedrohung, die gänzlich anders anmutet als das, was Film- und Serienfans in der jüngeren Vergangenheit so von den Blutsaugern mitbekamen. Während sich Vampire in «True Blood», «Twilight» oder «The Vampire Diaries» mehr oder weniger in die Gesellschaft integriert haben und der Blutdurst oft nur ein lästiger Umstand ist, den man nun mal nicht ändern kann, mutet das Erwachen eines Vampirs in «The Strain» an wie die Rückkehr einer uralten und mystischen Macht. Schnell wird klar: Die Vampire in «The Strain» sind alles andere als menschlich, was besonders in Horror-Serien die deutlich sinnvollere Variante ist und der Übersättigung durch ‚Vampire von nebenan‘ respektive der ‚Love-Interest-Vampire‘ in Fernseh- und Filmproduktionen einen Abbruch tut. Ein grässlicher Mord, der offenbart, dass die Serie nicht vor Gore zurückschreckt, unterstreicht diese Vermutung.
Die Zeit, die del Toro und Hogan hatten, nachdem die Serienidee zunächst abgelehnt wurde, wurde gut genutzt, um einen tollen Cast zusammenzustellen. Allen voran Corey Stoll wirkt nach seinen sehenswerten Darstellungen in «House of Cards» und «Midnight in Paris» wie eines der hoffnungsvolleren Talente, die die amerikanische Traumfabrik derzeit zu bieten hat. Das Alkoholproblem der von ihm gespielten Charaktere entwickelt sich scheinbar langsam zu einem Markenzeichen Stolls, nachdem auch in der Pilot-Episode dahingehend Andeutungen ausgesprochen wurden. In einer weiteren Schlüsselrolle spielt David Bradley auf, der zuletzt in «Broadchurch» und als grausamer Lord in «Game of Thrones» die Show stahl. Trotz seinen 73 Jahren ist Bradley besonders in Großbritannien weiterhin umtriebig und top besetzt, viel sah man im Piloten vom ergrauten Vampirjäger jedoch noch nicht.
Zwar wirkt die Ehekrise der Goodweathers besonders in einer so dicht erzählten Pilot-Episode wie «The Strains» erzwungen und es bleibt unklar, inwiefern dies die Geschichte vorantreiben wird. An Ideen wird es dem Duo del Toro und Hogan nach drei veröffentlichen Romanen jedoch nicht mangeln. Der Stoff befindet sich bei seinen Erfindern in den besten Händen, anders als bei vielen anderen Roman-Adaptionen, die die Geschichte und Dynamik ihrer Vorlage häufig nicht ganz überblicken.
Staffel eins enthält 13 Episoden, auf die sich ProSieben und seine Zuschauer nach einer nahezu restlos überzeugenden Pilot-Folge freuen dürfen. Nach Sichtung der ersten Ausgabe wird man den Eindruck jedoch nicht los, dass eine Episodenzahl von acht bis zehn Folgen pro Staffel vielleicht die klügere Wahl gewesen wäre. Mit einem sichtlich hohen Production Value erzählt «The Strain» eine Geschichte um klassische Horror-Archetypen im Kontext moderner Ängste. Gerade im Hinblick auf unsere Gegenwart macht die Vampir-Bedrohung in Form eines Virus, der auch über Würmer übertragen werden kann, noch mehr Sinn als die übliche Biss-Infektions-Konvention. Spannend wird auch zu sehen sein, wie die vier Überlebenden aus dem Todes-Flugzeug noch mehr Tiefe erhalten. Klar ist, dass ihnen mehr Raum geboten werden soll, obwohl die Charaktere in der Pilot-Episode sehr blass wirkten.