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Buzzfeed-Style überall: Kann 'Clickbait' dem Journalismus helfen?

Bildergalerien, effekthascherische Countdown-Artikel, Beiträge, die fast nur aus Stichsätzen bestehen: Kann eine „Buzzfeedisierung“ auch gutes im Journalismus bewegen?

Pro von Dennis Weber


Das Thema Buzzfeed und der Oberbegriff Clickbait lassen sich durchaus kontrovers diskutieren. Viel zu häufig beachtet man dabei aber nur die Nachteile. Natürlich ist dreiste Klickhascherei nicht die eleganteste Art, um Nutzer auf die Webseite zu locken. Jedoch sollte man dabei nie vergessen, dass es dabei im Prinzip um nichts anderes als Schlagzeilen geht. Dies ist auch in der Realität am Zeitungskiosk zu beobachten, dort verkaufen sich Zeitungen und Magazine mit offensiven Überschriften und Bildern schlicht und ergreifend häufiger. Dieses Vorgehen hat Europas größte Tageszeitung schon vor Jahrzehnten erkannt und ein durchaus erfolgreiches Geschäftskonzept daraus gemacht. Verständlich, dass auch auflagenschwächere Printmedien oder Webseiten mit diesem Vorgehen Nutzer und Käufer anzulocken versuchen. Nur halt vermehrt in einer zeitgemäßeren Form, die Kritikern nicht mehr als 'Aufmacher' der klassischen Art auffällt.

Der zweite große Kritikpunkt betrifft für gewöhnlich die inhaltliche Leere beziehungsweise die mangelnde journalistische Relevanz. Jedoch steht im Internet-Zeitalter der Nutzer unbestritten im Zentrum. Contentprovider wie Buzzfeed erkennen dies wie kaum ein anderes Medium. Denn anstatt die Informations- und Textflut, die die Nutzer täglich über sich ergehen lassen, sogar weiter zu intensivieren, konzentriert sich Buzzfeed auf das Wesentliche und liefert die reine Information. Diese wird textlich und bildlich aufbereitet, um so ein angenehmeres Lesen zu ermöglichen. Alternativ könnten Nutzer auf ganze Wikipedia-Artikel zurückgreifen. Von einer mangelnden journalistischen Relevanz kann schon lange keine Rede mehr sein. Hierfür gibt es zwei prägnante Argumente. Zum einen hat die Buzzfeed-Redaktion inzwischen einen eigenen Platz bei der Pressekonferenz des Weißen Haus. Zugegeben teilt man sich den Platz mit dem Medienunternehmen E.W. Scripps, dennoch gehört man längst zum Konzert der Großen. Solch einen direkten Draht zum Weißen Haus hat nicht eine einzige Zeitung oder ein einziger Fernsehsender aus Deutschland. Hierzulande stammen die Informationen lediglich von Presseagenturen wie Reuters.

Der zweite Punkt, der für die journalistische Relevanz von Buzzfeed und Co. spricht, ist hingegen etwas abstrakter und weniger handfest. Schließlich ist für eine Zeitung oder ein Magazin all das relevant, was die Leser bewegt. Der Erfolg von Seiten wie Buzzfeed bestätigt ein altbekanntes Vorurteil, dass Menschen sich häufiger eher für gesellschaftliche Themen wie Gossip interessieren als für Themen wie Wirtschaft und Politik. Buzzfeed deckt dennoch beide Themen ab, um so ein möglich weites Spektrum an Nutzern zu erreichen und letztendlich die Leser zu informieren und zu unterhalten.

Darüber hinaus ist der Unterhaltungsaspekt nicht zu vernachlässigen. Selbstverständlich gehören viele Texte in die Rubrik Unnützes Wissen, sorgen dabei aber für gewöhnlich für einen Aha-Effekt. Abgesehen von dieser Art der Artikel, stehen Bilderstrecken im Vordergrund. Diese greifen auch Betreiber von Webseiten immer wieder auf. Sie sind dank großer Bilddatenbank oder Screenshots schnell erstellt und beschriftet und regen gleichzeitig die Klickfreudigkeit der Leser an. Dabei greift die klassische Internet-Weisheit „Content ist King“ und agiert Hand in Hand mit der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne der Leser.

Ein weiterer ganz entscheidender Vorteil ist die mobile Umsetzung. Buzzfeed und Co. erreichen die meisten ihrer Nutzer über mobile Angebote und nicht mehr klassisch nach einer Google-Suche am PC. Die Seite ist an die kleinen Displays von Smartphones und Tablets ideal angepasst. Gleichzeitig werden die Informationen so kompakt wie möglich transportiert, da es für gewöhnlich recht unangenehm ist in Bussen oder Zügen lange Artikel zu lesen. Darüber hinaus ergänzt sich der Service ideal mit den großen sozialen Netzwerken und macht eine Verlinkung eines Freundes, das Teilen des Artikels oder einen Kommentar denkbar einfach. Gleichzeitig erscheinen die Artikel in den Timeline der Follower oder Freunden. Buzzfeed versteht es dabei wie kaum ein anderes Unternehmen eigene Inhalte in soziale Netzwerke zu integrieren – und so seine Inhalte zu verbreiten. Und es ist besser, wenn kurze, knappe Infos die große Runde machen, als blieben sie aufgrund ihrer Sperrigkeit im schnelllebigen Netz unentdeckt.

Contra von Sidney Schering


Es ist korrekt, dass sich Journalismus seinem Adressaten ein Stück weit anpassen muss. Kurzform-Journalismus hatte schon immer seinen Platz im Geschäft mit Informationen und gerade nun im Zeitalter von Social Media, andauernden Nebenher-Medienkonsum via Smartphone und sinkenden Aufmerksamkeitsspannen ist es wertvoll, dass Nachrichten auch in knackiger, zum Teilen verführender Form dargeboten werden. Allerdings ist dies, wie bereits angedeutet, keine Neuentdeckung. Die guten Aspekte von Buzzfeed und anderen einflussreichen Webdiensten sind uralt. In Tageszeitungen gehören Kurzmeldungen seit jeher zum Standardrepertoire, Fernsehnachrichten bieten neben den ausführlichen Hauptsendungen auch übersichtliche Kurznachrichten. Diese Formen ins neue Zeitalter zu bringen, ist der logische nächste Schritt. Aber die 'Buzzfeedisierung' äußert sich eben nicht darin, dass «heute+» 15-sekündige, auch ohne Ton konsumierbare Social-Media-Fassungen seiner wichtigsten Beiträge postet. Dies sind zusätzliche Angebote, ergänzende Wege der Informationsübermittlung. Für den kurzen Fix Aktualität in der Straßenbahn, oder wenn man mit seinem Partner unterwegs ist, dieser kurz auf das WC verschwindet und man drei Minuten totzuschlagen hat.

Problematisch ist, dass der Aufbau, der Schreibstil und der dünne Informationsgehalt solcher Ranking-Features, Bilderstrecken und Stichsatz-News auch auf klassische Formen des Journalismus übergreift. Einen Untergang des Journalismus zu beschreien würde viel zu weit gehen. Doch wenn 'Spiegel Online' vereinzelte wichtige Themen verstärkt in leicht zu lesenden, gehaltlosen Schwerpunktartikeln verfeuert, ist des nicht nur bedauerlich, sondern auch ärgerlich. Wenn Schlagzeilen, in denen eigentlich die wichtigsten Infos vorkommen sollten, nach und nach zu schalen Floskeln verkommen, die auf Facebook und Twitter attraktiver wirken, so hebt das zwar die Klickzahl, schmälert aber die Informationsdichte. Und jeder zusätzliche Beitrag, der auf Klick- und Werbetauglichkeit gebürstet ist, nimmt den jeweiligen Medien Zeit, für relevante oder wenigstens originelle Artikel oder Videos zu recherchieren. Ein Stück Publikumsorientierung gehört im Journalismus seit Anbeginn dazu, aber mit einer ständig wachsenden 'Buzzfeedisierung' machen die wirklich lesenswerten und diskussionswürdigen Beiträge zu viel Raum für Fast-Food-Artikel. Schnell gelesen, fix geliket, sofort vergessen. Stellenweise muss der Journalismus eben nicht nur an sein Publikum denken, sondern für den Konsumenten denken – etwas, das bei Clickbait nicht der Fall ist. Wie man nachhaltig modernen, digitalen Journalismus betreibt, zeigt daher viel eher CNN – und weshalb die neuen Methoden des Informationsgiganten so gut funktionieren, erläuterte erst kürzlich mein Kollege Jan Schlüter so hervorragend!
17.07.2015 11:29 Uhr Kurz-URL: qmde.de/79543
Dennis Weber und Sidney Schering

super
schade


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heute+

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