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Nachrichten 2015: Wie CNN sich digital neu erfindet

Wie kommen Nachrichten heute zu uns Lesern, zu uns Zuschauern? Wie wollen wir sie präsentiert haben? Und was interessiert uns überhaupt? CNN stellt sich diesen Fragen – und geht risikoreiche Wege für den digitalen Erfolg. Über eine traditionelle Nachrichtenmarke im Wandel.

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Geschichten erzählen
Teil der Digitalstrategie ist es, mehrere web-exklusive Marken aufzubauen: CNN Money, CNN Politics und zuletzt CNN Style. Ed O’Keefe, der die beiden ersteren verantwortet, hat einen ganz speziellen Weg eingeschlagen: Seine Erfahrungen aus Start-Ups zeigten ihm, dass Veränderungen und neue Einflüsse wichtig sind für den nachhaltigen Erfolg. Und so engagierte er Mitarbeiter, die gerade nicht aus dem traditionellen TV-Business kamen. Die gerade nicht wussten, wie Nachrichten im Fernsehen produziert und aufbereitet werden. Er holte Leute aus dem Printgeschäft – Journalisten, die spannende Reportagen, die Geschichten erzählen. Sie stehen für das, was CNN schon jetzt digital auszeichnet, und was es vermutlich in den kommenden Jahren insgesamt auszeichnen wird: Storytelling.

Ein Beispiel dafür ist die ausschließlich für das Web produzierte Serie „Hambycast“, in der Polit-Reporter Peter Hamby einen anderen Blick auf das Geschehen wirft. In einem zweiminütigen Clip über Hillary Clinton bei einer Veranstaltung der Demokraten nahm Hamby die Perspektive Clintons ein: Was bewegt diese Frau, Präsidentin der Vereinigten Staaten werden zu wollen? Will sie dies überhaupt? Womit muss sie klarkommen, wenn sie Präsidentin werden will? Weitere Digitalserien sind geplant – auch mit TV-Größen wie Wolf Blitzer oder John King, wenn es nach Ed O’Keefe geht. Es sind diese Inhalte, die für das neue CNN stehen. Rund 20 Digitalserien sind bislang gestartet.

Der Erfolg der neuen Strategie ist groß: Drei Monate hintereinander wurde CNN Politics die erfolgreichste Politnews-Website in den USA, auf allen Plattformen und auch im Video-Bereich. Und das in einer Zeit, in der die Präsidentschaftswahlen noch nicht einmal richtig in Fahrt gekommen sind. Es gilt, die Erfolge dieser Angebote auf das gesamte CNN zu übertragen. Mit seiner neuen Ausrichtung will man – wieder – das Nachrichten-Flaggschiff in den USA und international werden. Im September 2014 war man nach langer Zeit wieder meistgeklickte Nachrichten-Website der Welt, mit knapp einer Milliarde Abrufe. Die Topposition erreichte man auch im Videobereich, mobil und über soziale Netzwerke – ein Rundum-Erfolg, der zeigt, dass CNN es verstanden hat, über verschiedene Verbreitungswege zu agieren. Als eines der ersten Nachrichtenmedien veröffentlichte man seine App auch für die Apple Watch. Ein weiteres Beispiel: der CNN-Account bei Snapchat – ein Dienst, der die mit Abstand jüngsten Nutzer aller Social-Media-Netzwerke hat. Man erreicht hier Menschen, die vielleicht noch nie einen TV-Nachrichtensender eingeschaltet haben. Täglich stellt CNN dort einen Mix aus relevanten News-Geschichten und unterhaltsamen Snippets zusammen, mit kurzen Videoclips, kurz aufbereiteten Artikeln, mit Fotos und interaktiven Grafiken. Auch hier gilt: Storytelling als Grundsatz.



Ein schmaler Grat


Der Weg, Geschichten zu erzählen, findet seinen Weg auch ins TV. Seit 2014 sendet CNN abends Realityshows wie «The Hunt», das von ungeklärten Kriminalfällen berichtet, oder «Somebody's Gotta Do It» mit Mike Rowe. Seine vorherige Show «Dirty Jobs» lief auf dem Discovery Channel. Dass seine jetzige bei CNN gezeigt wird, verdeutlicht die neue Strategie des Senderchefs Jeff Zucker. Und sie ruft Kritik herbei. Es ist schwierig auszuloten, welche Inhalte akzeptabel sind für einen Sender, der eigentlich als Nachrichtenmedium gilt. Aber auch hier sticht das Storytelling klar heraus: Die Shows erzählen von Menschen und ihren Geschichten. Infotainment nennt man diese Programmfarbe, die sich bislang zumeist auf die US-Version des Kanals beschränkt. CNN International wählt andere Schwerpunkte abseits der reinen Nachrichtensendungen: Kunst und Kultur finden sich im Programm. Aber keine Realityshows.

Doch auch im reinen News-Geschäft merkt man die veränderte Berichterstattung. Vor allem für die Coverage zum Absturz der Malysia Airlines-Maschine 2014 steckte man Kritik ein: Tagelange Sendungen zu dem Thema führten zwangsweise dazu, dass wildeste Spekulationen über die Unglücksursache und mögliche Überlebende angeführt wurden – teils dann noch, als die Nachrichtenlage eindeutig war. Kritik dazu gab es auch von Larry King, der früheren Talklegende bei CNN: „Ich vermisse die Live-Sendungen, die ich mein ganzes Leben lang gemacht habe, und ich vermisse die großen Geschichten. Aber ich will Ihnen sagen, dass ich froh bin, mit dieser Flugzeuggeschichte nicht mehr bei CNN zu sein. Denn dies ist in die absurdeste News-Story ausgeartet“, sagte King 2014 in einem Interview. „All diese Berichterstattung hat zu nichts geführt. Und während es ihnen bessere Quoten bescherte, taten sie nichts, was ich als gute Nachrichtenarbeit bezeichnen würde – nämlich die Zuschauer entscheiden zu lassen, was die Nachrichten eigentlich sind.“ Sprich: auch ausführlich über andere Themen zu berichten.

Ungeachtet der Kritik geht aber auch diese TV-Strategie auf, die Quoten des Senders stiegen zuletzt wieder. Ob die Veränderungen beim Sender dem CNN-Image schaden, wird sich noch zeigen. Auch hier ist es spannend, den Wandel einer traditionellen Marke mitzuverfolgen. In jedem Fall hat CNN eines richtig gemacht, eines erkannt: Stillstand ist tödlich im digitalen Medienwandel, erst recht im Nachrichtengeschäft.
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15.07.2015 12:14 Uhr Kurz-URL: qmde.de/79503
Jan Schlüter

super
schade


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Tags

Dirty Jobs Somebody's Gotta Do It The Hunt

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