Timo Nöthling war von der fünften Staffel seiner Lieblingsserie «Game of Thrones» enttäuscht. Eine Erklärung hierfür hat er bereits ausgemacht: Die Absenz von Buchautor George R. R. Martin.
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Die letzte Szene aus der fünften «Game of Thrones»-Staffel flimmert vom Laptop auf mich zu. Leblose Augen starren mir entgegen, das Grauen ist der beliebten Serienfigur ins Gesicht geschrieben. Während sich die Blutlache unter dem regungslosen Körper ausbreitet, scheint sicher, dass das Leben gerade den nächsten sehr populären Charakter in der Serie verlässt. In den darauffolgenden Tagen schaue ich mir YouTube-Videos von Serienzuschauern an, die ihre Reaktion auf die unerwartet brutale und schockierende Szene aufgezeichnet haben. Die Aufnahmen zeugen von Fassungslosigkeit, Trauer und Unglauben über die Sequenzen, derer die Serienfans gerade Zeuge wurden. Die Endszene der fünften Staffel wirkt für viele Zuschauer wie ein Horror-Szenario, ein Albtraum. Ich aber fühle nichts. Nicht mehr - denn «Game of Thrones» hat bei mir an Wirkung verloren.
Die fünfte Staffel stellte einen kleinen Wendepunkt in der Geschichte von «Game of Thrones» dar. HBO und das Produzententeam hatten es sich ab Frühling 2014 wieder zur Aufgabe gemacht, die fünfte Staffel von «Game of Thrones» bis zum April 2015 auf die Fernsehbildschirme zu bringen. Nichts anderes erwarten die Serienfans, schließlich kehrte die Fantasy-Serie bisher nach jeder Staffel innerhalb eines Jahres zurück zum Premium-Kabelsender HBO, der schon für so viele Serienperlen verantwortlich zeichnete. Diesmal waren die Voraussetzungen jedoch gänzlich andere und die Verantwortlichen des hochbudgetierten Formats kamen in die Verlegenheit, dass sie nun eigenhändig die Geschichten innerhalb der mythischen Welt Westeros weiterspinnen mussten. Eine Aufgabe, die bei einer Buchadaption normalerweise den Schriftstellern der Vorlage zukommt. Eine Auszeit gönnt sich «Game of Thrones» jedoch nicht – die Cash-Cow muss weiter gemolken werden.
Aufgrund des jährlichen Ausstrahlungsturnus und des hohen Tempos, das «Game of Thrones» in seiner Geschichte ging, erzählte die Serie in Staffel vier beispielsweise bereits die Geschichte des Charakters Bran zu Ende. Erst im jüngsten Buch fünf behandelte George R. R. Martin dessen neueste Erlebnisse, die anderen Handlungsstränge in der vierten «GoT»-Season bewegten sich zeitlich auf der Höhe von Buch Nummer vier. Auch anderen Figuren mussten die Serienautoren David Benioff und D.B. Weiss neue Geschichten auf den Leib schreiben, zu denen die Bücher noch nicht vordrangen.
Die Lieblingssendung der Serienpiraten
«Game of Thrones» hat eine traurige 'Erfolgsbilanz' in Sachen illegaler Downloads aufzuweisen: Von 2012 bis 2014 eroberte die HBO-Produktion den ersten Rang in der jährlichen Hitliste der am häufigsten durch Internetpiraterie verfolgten Serien. 2014 wurde das Format laut 'TorrentFreak' 8,1 Millionen Mal illegal runtergeladen, gefolgt von «The Walking Dead» mit 'nur' 4,8 Millionen Downloads.So weit, so gut. Schließlich hatte man ja all die Staffeln auch George R. R. Martin als Executive Producer an Bord, der den Autoren als Erfinder der epischen Welt stets mit Rat und Tat zur Seite stand und auch die Seriengeschichte aktiv mitgestaltete. Dieser essenzielle Teil in der Produktion der fünften «Game of Thrones»-Staffel fehlte dem Serienteam jedoch in Staffel fünf nahezu komplett. Bestseller-Autor Martin ließ Benioff und Weiss weitestgehend freie Hand in der Ausarbeitung der fünften Staffel, denn wenn ihn in der jüngsten Vergangenheit etwas noch mehr gefordert hat als die Serien-Produktion von «Game of Thrones», dann war es die Arbeit am bislang sechsten Buch der Reihe. Dieses hört auf den Namen „The Winds of Winter“ und soll die Serie wieder mit von Martin eigens erdachten Geschichten versorgen. Der Druck der Buch-Fans auf den Schriftsteller war zuletzt groß. Schon seit geraumer Zeit fordern die Leser einen neuen Band, wenn man George R. R. Martin kennt, weiß man allerdings, dass er eher zur gemächlichen Sorte von Mensch gehört. Daher reagierte er zuletzt auf die Ansprüche der Leser auch zunehmend gereizt. Blickt man auf die Erscheinungsjahre der "Song of Ice and Fire"-Bücher kann man nachvollziehen, warum sich Martin gehetzt fühlt. Zwar erschien nach Teil eins der Buch-Reihe die Fortsetzung schon zwei Jahre später im Jahr 1998 und auch im Rahmen von Teil drei ließ sich der zottelbärtige Kreative wieder nur zwei Jahre Zeit. Für den vierten Teil (2005) benötigte Martin jedoch bereits fünf Jahre, für Band sechs (2011) sogar sechs Jahre, dabei wurde der Terminkalender des Schreiberlings gerade durch den Erfolg von «Game of Thrones» deutlich voller.
Die kreativen Freiheiten von David Benioff und D. B. Weiss, die die Zeit bis zum nächsten Buch überbrücken und gleichzeitig ansprechendes Fernsehen schreiben mussten, resultierten jedoch in einer Reihe falscher Entscheidungen, die den Seriengenuss trübten. Dabei bedienten sich die Kreativen verschiedener Strategien.
Zum einen bauten sie so viele ‚Filler‘ wie möglich in die Serie ein. Während in den Vorstaffeln den meisten Geschichten etwas die Komplexität genommen werden musste, um das Serientempo aufrecht zu erhalten, zog man nun konträr zur bisherigen Vorgehensweise einige Geschichten bis zur Unerträglichkeit in die Länge - und das auf Kosten der Glaubwürdigkeit. So beherrschte eine Gruppe von religiösen Fanatikern für etliche Folgen quasi die Hauptstadt, in der man politische Gegner in den Staffeln zuvor noch kurzerhand einen Kopf kürzer machte. Der Thron, hinter dem die Königsmutter Cersei Lannister schon in den Staffeln eins bis vier die Fäden zog und woran sich in Staffel fünf wenig änderte, wandelte sich so innerhalb weniger Folgen vom Ort der Macht zum Ort der Ohnmacht. Schließlich wagten die Serienautoren auch den Schritt, neue Storylines komplett neu zu erfinden. So entstanden die Geschichten in und um Dorne, die zwar in sehr beschaulichen Teilen von Spanien gedreht wurden und vom Look her zunächst sehr ansprechend daherkamen, die aber von der niedrigen Qualität des Schauspiels, der Action und des Drehbuchs wie komplette Fremdkörper in der Serie wirkten. Weiter bedienten sich Benioff und Weiss an klassischen dramatischen Stoffen Shakespeares und beendeten in der finalen Folge der fünften Staffel die Handlungsstränge in Dorne und an der Mauer mit großen Anleihen zu „Romeo und Julia“ sowie „Julius Cäsar“ – fehlende Ideen oder eine nette Hommage? Diese Entscheidung liegt beim Zuschauer.
Damit mich die Leser nicht falsch verstehen: «Game of Thrones» zählt immer noch zu meinen absoluten Lieblingsserien und lässt mich innerhalb der Staffeln immer wieder auf den nächsten Montag hinfiebern, an dem ich mir die neueste Folge zu Gemüte führen kann. Auch Season fünf lieferte in Teilen große Fernsehmomente. So deklarierten etliche Fans Episode neun mit einer ausufernden und für Fernsehverhältnisse bombastisch inszenierten Schlacht zur besten Ausgabe der Serie. Scheinbar schrieb sich das Serienteam aber auf die Fahne, die fünfte Staffel, die häufig wie eine Zeitüberbrückung bis zur Fertigstellung des neuesten Buchs wirkte, dazu zu nutzen, die Positionierung von «Game of Thrones» in der Serienlandschaft mit immer mehr Tabubrüchen weiter zu untermauern. Ja, «Game of Thrones» geht in Bezug auf Serientode kaum Kompromisse ein und schaffte es bisher auch ganz gut, das Massensterben geliebter Charaktere logisch zu begründen. Ja, «Game of Thrones» scheut sich nicht vor expliziten Gewaltdarstellungen, rollenden Köpfen und sogar Vergewaltigungen. Und ja, «Game of Thrones» schafft dadurch ein ganz und gar unkonventionelles Seherlebnis, dass die Zuschauer immer wieder vor unerwartete und schockierende Wendungen stellt.
Sobald dieses lobenswerte Charakteristikum allerdings zum Selbstzweck verkommt, verspielt jedes Format früher oder später aber massiv an Kredit. Damit kamen viele der expliziten Szenen in Staffel fünf wie bloße Effekthascherei daher. Vergewaltigungen hier, eingestreute Nackt-Szenen dort – das sorgte vor allem für Kopfschütteln. In einem herzzerreißenden Dialog – eines der Serienhighlights – wurde die enge Vater-Tochter-Bindung zwischen Stannis und Shireen Baratheon unterstrichen, die obendrein von den Darstellern superb dargestellt wurde und wohl nicht wenige Zuschaueraugen wässrig machte. Zur bloßen Generierung des nächsten Schockers wurde dieses rührende Verhältnis wenig später auf die absolut groteskeste Art und Weise verdreht, obwohl George R. R. Martin die Szene im Buch bereits behandelte und einen deutlich anderen Ablauf vorsah. Gerade diese Fehlentscheidungen sorgen bei den Toden beliebter Charaktere in meinem Fall weniger für Entsetzen und häufiger für Augenrollen.
Auch die finale Folge der neuen Staffel wirkte schließlich wie ein Zeugnis dafür, dass sich die Serienautoren alles andere als sicher waren, ob sie sich mit den Charakteren in die richtige Richtung bewegen. Alle sieben Storylines der fünften Staffel endeten nämlich mit Cliffhangern, von denen sich die überwiegende Mehrheit komplett offen ließen, wie es mit den Figuren weitergehen wird. So offenbarte die fünfte Staffel von «Game of Thrones» zwar wieder viel Licht, aber auch ungewohnt viel Schatten, der wohl vor allem der fehlenden Vision von David Benioff und D.B. Weiss zuzuschreiben ist. Dadurch wurde klar deutlich, dass nur Erfinder George R. R. Martin den Stoff ganz überblicken kann und aktiv an der Serie teilhaben muss, damit die Serie ihre Attraktivität vollständig beibehält und Handlungsstränge nicht trivialisiert.
Sowohl David Benioff und D. B. Weiss als auch ich werden sich wünschen:
Please! Come back, George!
In friedlicher Absicht:
Timo Nöthling