Jede Hoffnung ist verschwunden: In der Industriestadt Vinci scheinen alle korrupt, verzweifelt, selbstzerstörerisch. Auch die Ordnungshüter. «True Detective» ist zurück, düsterer und depressiver als zuvor. Unser Review der ersten beiden Folgen.
Cast & Crew
- Erfinder und Autor: Nic Pizzolatto
- Darsteller: Colin Farrell, Rachel McAdams, Taylor Kitsch, Kelly Reilly, Vince Vaughn u.a.
- Produzenten: Nic Pizzolatto, Woody Harrelson, Matthew McConaughey u.a.
- Regisseur: Justin Lin u.a.
- Musik: T Bone Burnett
Es ist schwieriger geworden. Während ich diese Zeilen schreibe, verstehe ich wahrscheinlich immer noch nicht alles in dieser neuen Welt, die die zweite Staffel von «True Detective» uns eröffnet. Die beiden ersten Folgen habe ich zweimal gesehen, und jedes Mal fügt sich das Bild dieses Molochs stimmiger zusammen. Mit dem Hintergrundwissen des vorherigen Sichtens werde ich mehr vereinnahmt, kann der komplexen Geschichte besser folgen. Diese Staffel will entdeckt werden. Man muss sich komplett auf sie einlassen.
Dass sich «True Detective» diesmal schwer folgen lässt, ist freilich kein positives Argument, zumindest nicht auf den ersten Blick. Es passiert unglaublich viel in den ersten beiden Folgen. Eckpfeiler der Geschichte ist das korrupte Geschäft um eine geplante Bahnlinie in Kalifornien, die Milliarden verschlingt. Oft geht es um Zahlen, um Machenschaften hinter den Kulissen, um einschläfernde wirtschaftliche Nebensächlichkeiten. Das ist nicht das «True Detective», das wir kennen. Wer von «House of Cards» oder «The Wire» die jeweils zweiten Staffeln gesehen hat, weiß ungefähr, worauf er sich einlässt. Auch diese beiden Serien veränderten den Tonus und drehten an der Komplexitätsschraube. Auch dort fiel es schwieriger zu folgen, gerade weil Geschichten um (staatliche) Korruption gern ins Langweilige abdriften. Dafür wurde nun auch «True Detective» von der Kritik viel gescholten. Teilweise zurecht.
In Staffel eins erzählte Produzent Nic Pizzolatto noch gegenteilig: Der Fall von Hart und Cohle war geradlinig, steuerte auf ein klar definiertes Ziel zu. Es war einfach, gedanklich zu folgen. Von Anfang an kannten sich die beiden Detectives, fast ausschließlich standen Hart und Cohle sowie ihre Charakterisierung im Mittelpunkt. Das Format wurde zur Two-Men-Show. Die neue Staffel verdoppelt die Anzahl der Hauptcharaktere auf vier, und drei von ihnen kennen sich zunächst überhaupt nicht. Damit einher geht, dass am Anfang auch vier völlig unterschiedliche Geschichten erzählt werden, die nichts miteinander zu tun haben. Geschichten über Charaktere, die – soviel vorweg – «True Detective» auch in Staffel zwei zum Pflichtprogramm machen:
Frank Semyon (Vince Vaughn): ein krimineller Unternehmer. Als sein Geschäftspartner Ben Caspere grausam ermordet wird, steht ein riesiges Projekt auf dem Spiel: der Bau einer milliardenschweren Eisenbahnstrecke in Kalifornien. Semyon erfährt, dass seine Gelder veruntreut wurden, und ohne die Aufklärung des Mordes an Caspere verliert er Millionen, möglicherweise auch Land. Semyon ist von Selbstzweifeln und irrationalen Ängsten geplagt. Keine Kinder, aber viel Geld, mit dem er nichts anfangen kann. Sein Antrieb scheint primitiv, aus einer zerstörerischen Wut heraus.
Ray Velcoro (Colin Farrell): ein von Selbsthass zerfressener, alkoholabhängiger Detective. Frau und Sohn haben ihn verlassen, er streitet vergeblich um Sorgerecht. Velcoro ist korrupt, arbeitet auch für Frank Semyon und erledigt dessen Drecksarbeit. Er hilft dabei, die illegalen Aktivitäten im Eisenbahndeal zu vertuschen.
Ani Bezzerides (Rachel McAdams): einsame Polizistin. Früh von der Mutter verlassen, wurden Ani von ihrem Vater aufgezogen, einem Kommunenführer, einem spirituellen Guru in der Einöde Kaliforniens. Zwei andere Töchter haben sich das Leben genommen, eine arbeitet in der Pornobranche. „Deine gesamte Persönlichkeit ist eine erweiterte Kritik an meinen Werten“, erklärt der Vater ihr. „Macht dir dein Leben überhaupt Spaß? Oder ist das alles nur ein reflexiver Drang aus Trotz gegen Autoritäten?“ Tatsächlich: Man sieht Bezzerides nie lachen. Die Polizistin macht zwar ihren Job engagiert, aber in ihr scheint kein Licht zu lodern. Vielleicht weiß auch sie, dass sie gegen die Hoffnungslosigkeit nicht ankämpfen kann. Ihre Abende verbringt sie whiskygetränkt im Spielcasino oder mit One-Night-Stands.
Paul Woodrugh (Taylor Kitsch): Vorübergehend von seinem Job als Straßenpolizist suspendiert, nagt die Leere immer mehr an seinem Ego. Paul leidet an erektiler Dysfunktion, möglicherweise ist er homosexuell und will sich das nicht eingestehen. Eines Nachts brettert er auf seinem Motorrad mit Höchstgeschwindigkeit über den Highway. Das Licht schaltet er aus, rast durch das dunkle Nichts. Zufällig entdeckt Paul bald die Leiche von Unternehmer Caspere – dem Mann, der alle Fäden zusammenführt: Am Tatort treffen sich Ray Velcoro, Ani Bezzerides und Paul erstmals, sie sollen die Aufklärung des Falls gemeinsam übernehmen.
Die Hoffnungslosigkeit dieser Charaktere trieft an allen Enden. Was treibt sie überhaupt an, was sind ihre persönlichen Motive? Es gibt keine Helden. Es ist die Landschaft, die sich wie ein toter Schleier über diese menschlichen Hüllen legt: die Stadt Vinci. Riesige Industriegelände, dreistöckige Highways mit sechs Fahrspuren, rauchende Schlote, die Arbeiter als Drohnen. Kinder spielen im vergifteten Gewässern. „Wo leben diese ganzen Leute überhaupt?“, fragt Ani zurecht, als sie und Ray an den Stahlkolossen und den unzähligen Arbeitern vorbeifahren. Was wird dort überhaupt produziert? Wir werden nicht eingeweiht.
Wir erkennen nur: Vinci ist auch eine Metapher. Während die Totalaufnahmen der ersten «True Detective»-Staffel das Mysteriöse beschwörten, das Geheimnisvolle und Abgründige in den Sümpfen Louisianas, vermitteln die Bilder diesmal das Gefühl des Vergeblichen, des Hoffnungslosen, des Korrupten. Leonard Cohen singt im großartigen Intro „I was not caught / though many tried / I live among you / Well disguised“, während sich die Industrietürme in den Silhouetten spiegeln: Jegliches Ziel an diesem Ort scheint aussichtslos. Die grauen Fabriken verschlucken das Menschliche. Wie will man hier, in Vinci, jemals einen Mord aufklären? Vielleicht liegt in dieser Frage aber auch der größte Unterschied zu Staffel eins: Man gewinnt den Eindruck, als will niemand den Mörder finden – außer der Unternehmer Frank Semyon, der ein rein finanzielles Interesse verfolgt.
Genau diese graue Atmosphäre mit ihren Figuren macht «True Detective» sehenswert, auch wenn der Mordfall diesmal weniger spannend ausgearbeitet wird. Aber wie in Staffel eins ist der Weg das Ziel: Natürlich geht es um die Aufklärung des Verbrechens, jedoch ist er auch hier nur Anlass, um eine Geschichte über das Menschsein zu erzählen – oder um die menschliche Natur im Hoffnungslosen. Um das Böse in der Figur. Alle Schauspieler liefern hervorragende Darbietungen ab; mit Ani Bezzerides widerlegt Produzent Pizzolatto außerdem die Kritik, er könne keine starken weiblichen Charaktere schreiben.
Die zweite Staffel von «True Detective» wird weniger Fans haben als die erste, möglicherweise zurecht. Die langweilige Korruptionsgeschichte ist notwendiges Übel. Wer die bedeutungsschwangeren Aufnahmen und Dialoge schon damals nicht mochte, wird auch hier abschalten. Am Klischee streifen die Figuren aber vorbei, spätestens in Folge zwei. Und wer damals vorrangig wegen des Murder Mystery geschaut hat – wegen der Frage, wer nun Dora Lange getötet hat – wird diesmal enttäuscht sein. Der Mord um den Unternehmer Ben Caspere interessiert kaum, die wirtschaftlichen Hintergründe lähmen den Genuss.
Die eigentliche Frage war auch schon in der ersten Staffel: Wer sind Cohle und Hart wirklich? Wer sind diese Menschen, und was sind ihre Motive? Es sind Themen, die diesmal noch eklatanter in den Mittelpunkt gerückt werden. Carcosa ist nicht mehr das mysteriöse Geheimnis, das es zu finden gilt. Nicht mehr der Ort, aus dem es kein Entkommen geben soll. Nein, diesmal ist der Abgrund, ist Carcosa bereits da. Carcosa ist überall.
Ich werde die ersten beiden Folgen noch einmal schauen. Die Faszination an «True Detective» ist zurück, auch wenn diese Staffel bisher anders, schwächer daherkommt als der schmaler erzählte erste Teil. Doch ich werde wieder gefangen genommen von Pizzolattos Verlierern. Und will unbedingt wissen, wie es in der nächsten Woche weitergeht.
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02.07.2015 11:53 Uhr 1