Es ist wieder Zeit, Klartext zu sprechen! Auch im zweiten Teil der neuen Reihe #SorryNotSorry spricht sich ein Redakteur gegen den vorherrschenden Konsens aus. Dieses Mal klagt Sidney Schering, dass die Komödie «Gambit – Der Masterplan» besser sei als ihr Ruf.
Als Colin Firth, Alan Rickman, Cameron Diaz und Stanley Tucci unterschrieben haben, in einem losen Remake der Diebstahlkomödie «Das Mädchen aus der Cherry-Bar» mitzuwirken, haben sie sich wohl große Hoffnungen gemacht. Nicht zuletzt stammte das Drehbuch zu diesem Projekt von den Brüdern Ethan und Joel Coen, die in den Jahren zuvor mit Werken wie «No Country for Old Men], [[Burn After Reading» und «A Serious Man» einen wahren Lauf bewiesen haben. Aber die Regiearbeit von Michael Hoffman («Ein russischer Sommer») legte nach ihrer Weltpremiere eine Bruchlandung hin – harsche Kritiken und überschaubare Einnahmen im Vereinigten Königreich (wo er im November 2012 eröffnete) führten zu langen Startverschiebungen in anderen Ländern. In Deutschland erblickte die Betrugskomödie erst am 20. Juni 2013 das Licht der Kinos, in den USA wurde «Gambit – Der Masterplan» sogar zur Direct-to-DVD-Produktion degradiert.
Egal wo, das Bild blieb gleich: Kritiker rümpften mehrheitlich die Nase, zahlende Zuschauer verirrten sich nur in sehr geringen Massen in den Film. Doch wo es eine Regel gibt, da ist eine Ausnahme nicht fern. Denn einer, der die ständigen Schelten für «Gambit – Der Masterplan» nicht nachvollziehen kann, lehnt sich nun gegen das Gezeter auf. Auch wenn der Verfasser dieses Artikels sich dessen bewusst ist, dass es schwer fällt, Menschen bei Komödien von ihrer eingangs negativen Meinung abzubringen. Wenn jemand etwas nicht lustig findet, kann man ihm kaum sagen „Doch! Ist lustig!“ und einen Lachanfall erwarten. Aber vielleicht lassen sich die zahllosen Feinde dieses knackig erzählten Neunzigminüters davon überzeugen, dass er Esprit hat – und dass es möglich ist, ihn zu mögen. Womöglich lassen sich einige, die «Gambit – Der Masterplan» noch nicht gesehen haben, durch diese Äußerung einer raren, erfreuten Meinung zum Film davon überzeugen, ihm sehr wohl eine Chance zu geben …
Aber wovon handelt eigentlich dieser vermeintliche Unfall von einer Komödie? Also: Nach Jahren des Leidens unter seinem exzentrischen, arroganten Boss Lionel Shahbandar (Alan Rickman) hat Kunstkurator Harry Deane (Colin Firth) die Nase gestrichen voll. Deswegen plant der nüchtern-überkorrekte Kenner in allen künstlerischen Belangen mit einem alten Bekannten, dem Meisterfälscher Major Wingate (Tom Courtenay), einen gerissenen Coup. Sie wollen Harrys stinkreichem Boss eine Fälschung eines verschollen geglaubten Monet-Meisterstücks unterjubeln. Um diese hinterlistige Nummer einzufädeln, holt sich das Duo die Texanerin PJ Puznowski (Cameron Diaz) mit ins Boot. Diese soll behaupten, dass das wertvolle Gemälde jahrzehntelang als bei ihrer Großmutter hing und nicht als das Werk erkannt wurde, das es in Wirklichkeit ist. Mit ihrem schroffen Charme soll die quirlige Rodeokönigin zudem Shahbandar so sehr um den Finger wickeln, dass er die Story nicht weiter hinterfragt. Aber auch Harry wirft ein Auge auf PJ und so machen Eifersucht und unvorhergesehene Reaktionen die Umsetzung des Plans schwerer als zunächst gedacht …
Die Mängel, die viele Kollegen bei der Sichtung dieses Remakes ausfindig machen, sind mannigfaltig. Schwerfällig, ideenlos und unbeholfen sei es, und die Cleverness eines 'echten' Coen-Films hätte reinen Plattitüden weichen müssen. Und über die meisten dieser Einschätzungen musste der Autor dieser Gegenkritik staunen – er hat «Gambit – Der Masterplan» ohne Vorkenntnis des Konsens gesehen, fühlte sich gut unterhalten und schlug dann staunend die Arbeit seiner internationalen Kollegen sowie später die seiner deutschen Mitbewerber nach. Ja, an die Größe eines guten Coen-Werks reicht Hoffmans Gaunerei nicht heran. Aber mit den kleineren, leichteren Komödien des gefeierten Brüder-Duos kann sich dieser Filmspaß sehr wohl messen lassen. Auch in Sachen Cleverness: Das Thema der Fälscherei und dass nicht alles so sein muss, wie angenommen, spiegelt sich mehrfach in anderen Aspekten dieser Produktion. Auf der dramaturgischen Ebene etwa, indem die Geschichte auf simple Lösungen vertrackte Pfade folgen lässt. Inhaltlich, indem die mit sehr, sehr groben Pinselstrichen gezeichneten Figuren letztlich zwar keine dreidimensionale Gestalt annehmen, aber wenigstens eine mit großer Spielfreude dargebotene Zweidimensionalität. Alan Rickman ist nicht ganz so widerlich und dumm, wie Harry es glaubt. PJ ist deutlich weltmännischer als vermutet, auch die dauergrinsenden Geschäftsmänner aus Japan sind letztlich mehr als nur einseitige Lachnummern.
Selbst in Hoffmans viel gescholtene Regieführung floss offenbar mehr Gedankenarbeit, als man angesichts der giftigen Reviews denken möchte. So lange sich das Skript noch in feinster Retro-Manier auf den üblichen Pfaden einer «Der rosarote Panther»-Krimiposse bewegt, arbeitet Hoffman mit Wischblenden und exakt auf das Gesagte zugeschnittenen Bildern. Diese Elemente lassen aber allmählich nach, der Schnitt wird zeitgemäßer und die Kamera sucht sich weniger altmodisch-klassische Winkel. Eine aggressive Modernisierung findet zwar tatsächlich nicht statt, aber da «Gambit – Der Masterplan» auch nach seinem Verlust einer urtypischen 50er- und 60er-Jahre-Krimikomödienlogik einen aus der Zeit gefallenen Geist atmet, wäre das eh unangebracht.
Womöglich generiert sich das Sehvergnügen bei diesem Film zum größten Teil eh daraus, wie empfänglich man dafür ist, wenn Firth einen unterkühlten, leicht hochnäsigen, dennoch ursympathischen Mann höherer Klasse spielt, der seine selbstzugesprochene Überlegenheit büßen muss. Durch Missgeschicke, ihm entgleitende Situationen und eine mit bodenständiger Würde bestrittenem Slapstick. Firth legt sich hier einmal mehr ordentlich ins Zeug und ist liebenswert genug, dass – zumindest dieser Kritiker – seiner Figur einen guten Ausgang der Story wünscht, ihm wegen seiner leichten Arroganz aber auch diverse Rückschläge gönnt. Schadenfreude und gönnerhafter Humor gehen hier Hand in Hand. Bei Rickman und Diaz sitzen die Sprüche ebenfalls regelmäßig, und daher bleibt für diesen Autor nur folgendes Fazit möglich: Ja, «Gambit – Der Masterplan» ist kein Film für die Ewigkeit. Dafür werden manche Gags zu lange gemolken. Es ist deswegen verständlich, dass sich Kritiker nicht zu reinen Begeisterungsstürmen hinreißen lassen. Aber in ihrem Frust übersehen sie, so sieht es zumindest dieser Filmfreund, einige der Pluspunkte dieses feinen, kleinen Werks. Und daher empfiehlt er: Jeder, der auch nur einen Funken Interesse an Firths Betrügerei hat, soll reinschauen. Allen Verrissen zum Trotz. Sorry, liebe Kollegen.
In friedlicher Absicht:
Sidney Schering
«Gambit – Der Masterplan» ist am 28. Juni 2015 ab 20.15 Uhr bei RTL zu sehen.