Chance vertan: Mit «Jurassic World» gelingt Hollywood nicht etwa ein neuer Meilenstein im Blockbusterkino, sondern lediglich eine chic aussehende Neuauflage des wirklichen Meisterwerks aus den Neunzigern.
Filmfacts: «Jurassic World»
- Kinostart: 11. Juni 2015
- Genre: Abenteuer / Action
- FSK: 12
- Laufzeit: 124 Min.
- Kamera: John Schwartzman
- Musik: Michael Giacchino
- Buch: Rick Jaffa, Amanda Silver, Colin Trevorrow, Derek Connolly
- Regie: Colin Trevorrow
- Darsteller: Chris Pratt, Bryce Dallas Howard, Vincent D'Onofrio, Omar Sy, Jury Greer
- OT: Jurassic World (USA 2015)
Anfang der Neunzigerjahre versetzte Regielegende Steven Spielberg die Journaille der Welt in kollektives Staunen. Wenig später stiegen auch die Kinobesucher in diese Lobpreisung mit ein. Spielbergs technische Maßstäbe setzendes Leinwandspektakel «Jurassic Park» ist noch heute einer der Wegbereiter modernster CGI-Technik, die aus dem aktuellen Blockbusterkino nicht mehr wegzudenken ist. Zugleich war der Auftakt des mittlerweile vierteiligen Dino-Franchises aber auch eines der Paradebeispiele für mit Passion gemachtes Abenteuerkino. Ähnlich mitreißend präsentierten sich zuvor lediglich die Eskapaden eines gewissen Indiana Jones. Eine durchaus interessante Parallele, wenn man bedenkt, dass die Reihen selbst sowohl unter der Regie ein und desselben Mannes entstanden sind, als auch die Fortführungen der Franchises mit dem gleichen Hauptdarsteller gesegnet sind respektive gesegnet sein werden. Hollywood-Schnuckel Chris Pratt («Guardians of the Galaxy») mimt nicht nur die Hauptfigur Owen in «Jurassic World», sondern wird auch in die Fußstapfen von Harrison Ford treten, wenn der fünfte Teil von «Indiana Jones» (hoffentlich) in wenigen Jahren die internationalen Lichtspielhäuser heimsuchen wird.
Nun darf sich der gebürtig aus Virginia stammende Schauspieler erstmals im Heldenmodus austesten. Dabei macht Pratt nicht nur aus physischer Sicht eine gute Figur, es ist gleichzeitig auch seine Aufgabe, sämtliche Sympathien von «Jurassic World» auf seinen Schultern zu stemmen. Denn wo die technischen Quantensprünge ausbleiben, da muss der Blockbuster heutzutage eben auf einer anderen Ebene punkten. Doch genau die scheinen sowohl Regisseur Colin Trevorrow («Journey of Love – Das wahre Abenteuer ist die Liebe») als auch sein Konvoy an Drehbuchautoren nicht recht zu finden. Rick Jaffa, Amanda Silver («Planet der Affen: Revolution») sowie Derek Connolly («Monster Trucks») übernehmen die gängigsten Erzählstrukturen typischer Popcornfilmkost und reichern diese mit einer Extra-Portion Dino-Action an. Das Endergebnis ist zwar nett, aber alles andere als dem Auftaktfilm würdig.
In den Neunzigerjahren war das Projekt „Jurassic Park“ der visionäre Traum eines Wissenschaftlers: ein Freizeitpark, der es Menschen ermöglichen sollte, im Labor erschaffene Dinosaurier zu bestaunen. Doch die geplante Attraktion wandte sich gegen den Menschen. Erst heute, zweiundzwanzig Jahre später, stehen die Tore des mittlerweile „Jurassic World“ genannten Reservats für Touristen und Interessierte offen. Die resolute Parkleiterin Claire (Bryce Dallas Howard) weiß genau, wie sie die Besucherzahlen in ihrem Park konstant hoch hält. Ihre Gäste verlangen immer wieder nach noch größeren, noch spektakuläreren Tieren. Eine neue Spezies, der Indominus Rex, soll der Vorreiter für die zukünftige Generation an Riesensauriern sein, die dem T-Rex allenfalls bis zur Schulter reichen und mit einer Cleverness gesegnet sind, von denen die Wissenschaftler nicht zu träumen wagen. Das erste, im Labor geglückte Experiment hat zwar noch keinen Namen, wohl aber ein Gehege, in welchem das knapp 15 Meter hohe Wesen vor sich hin vegetiert und nur darauf wartet, zurückzuschlagen. Der Indominus Rex macht sich seine enorme Intelligenz zunutze und bricht aus. Claire und ihr gut aussehender Kollege Owen (Chris Pratt) müssen schnell handeln, um die Menschen rechtzeitig aus dem Park zu evakuieren, bevor der Dinosaurier ein Blutbad anrichtet. Zur selben Zeit am anderen Ende des Parks kämpfen Claires Neffen Gray (Ty Simpkins) und Zach (Nick Robinson) ums nackte Überleben…
Sowohl «Jurassic Park» als auch «Jurassic World» können sich einen großen Pluspunkt zueigen machen: Entertainmentqualitäten kann man beiden Projekten auch dann nicht absprechen, wenn man die technische Komponente der Produktionen einmal außen vor lässt und die Geschichte für sich allein stehend betrachtet. Da das Thema „Dinosaurier“ im Blockbustersegment überraschenderweise äußerst selten vertreten ist und sich abseits des «Jurassic»-Franchises nie so etwas wie eine kinematografische Dino-Kultur etablieren konnte, sind die Riesenechsen zu jedem Zeitpunkt echte Eyecatcher. Die Spielereien mit den Urzeitwesen wirken auf der Leinwand längst nicht so ausgelutscht wie die x-te Zerstörungsorgie eines Michael Bay oder die Comicheld-Eskapaden einschlägiger Filmschmieden. Umso trauriger ist da die leidliche Erkenntnis, dass die Macher mit «Jurassic World» offensichtlich nur eine dem aktuellen Zeitgeist angepasste Variante des «Jurassic Park»-Originals anvisierten. Anders lässt es sich nicht erklären, weshalb man fast schon von einer Weigerung vor kreativen, geschweige denn neuen Plotideen sprechen kann, von denen in «Jurassic World» kaum etwas zu spüren ist. Dem in Hollywood vorherrschenden „Höher, schneller, weiter“-Gedanken einer typischen Fortsetzung folgend, ist im vierten Teil der Dino-Saga eben alles eine Spur spektakulärer als damals vor zweiundzwanzig Jahren: War es im Auftaktfilm von 1993 noch der T-Rex, der den potenziellen Parkbesuchern das Fürchten lehrte, ist der neue „Schreckosaurus“ mit knapp 15 Metern Wiederristhöhe nun eben nochmal eine ganze Ecke mächtiger als der Widersacher von einst. Der Park ist größer, die Kids mutiger und die Attraktionen noch ausgefeilter. Doch dass dieses simple Schaffen neuer Superlative nicht automatisch in ein „besser“ münden muss, liegt angesichts des Mangels an neuer Ideen auf der Hand.
Während der mordlustige Indominus Rex, dessen obskure Namensgebung noch zu den amüsantesten Momenten in «Jurassic World» gehört, seine Pfleger an der Nase herumführt, ist das Drehbuch eine Ansammlung dessen, was schon vor 22 Jahren geschah: Zwei Heranwachsende sind im Park plötzlich völlig auf sich allein gestellt und versuchen, der Gefahr mit allen Mitteln zu entkommen. Um der Katastrophe Einhalt zu gebieten, mimt Bryce Dallas Howard («50/50 – Freunde für’s Überleben») eine toughe Parkleiterin, die an der Seite ihres gut gebauten Kollegen Owen nach Rettungsmöglichkeiten für Park und Besucher sucht. Leider gibt diese Handlungsbeschreibung nicht nur für sich allein wenig her, sondern ist zugleich auch das Paradebeispiel für das verschenkte Potenzial. «Jurassic World» ist nämlich mitnichten der von Skeptikern vorab vorhergesagte Totalausfall, sondern macht sich nach einem starken Auftakt mit der Zeit selbst kaputt. Innerhalb der ersten halben Stunde re-kreiert Regisseur Trevorrow ebenjenes Gefühl der Neunziger: Manch einer mag sich vielleicht noch an das Staunen ob der lebensechten Effekte erinnern, an die Gänsehaut beim legendären «Jurassic Park»-Theme von Komponist John Williams oder an die visionär-opulenten Kamerafahrten, die dem Zuschauer das Gefühl gaben, Zeuge von etwas ganz Großem zu sein. Der ultimative Wow-Effekt kann «Jurassic World» zwangsläufig nicht mehr gelingen, doch mit dem Design des Parks und den in 3D besonders gut zur Geltung kommenden, schwelgerischen Bildkompositionen von John Schwartzman («Dracula Untold») kommt der Film von 2015 überraschend nah an die Atmosphäre von vor über zwei Jahrzehnten heran. Hinzu kommt eine zu Beginn eingeführte Plot-Motivation, die aus «Jurassic World» einen Blockbuster mit Substanz hätte machen können.
Schon früh legt der Regisseur sein Hauptaugenmerk auf die Grenzwertigkeit von Genversuchen, auf den Menschen als über alles erhabenes Wesen und die Grenzen der wissenschaftlichen Möglichkeiten. Dass auch massenkompatiblen Produktionen solch ethische Ansätze gut tun können, bewiesen erst vor einigen Jahren die Neuauflagen der «Planet der Affen»-Filme. Diese gingen mit der Thematik zwar durchaus zurückhaltender um, doch transportiert man die inhaltlichen Gegebenheiten auf die Größenordnung eines «Jurassic»-Filmes, so darf es für einen Überblockbuster dieser Sorte gern auch ein wenig mehr Pathos sein, der den inhaltlichen Anspruch in einem massentauglichen Rahmen hält. Doch dieser muss schließlich völlig weichen. In der zweiten Hälfte des mit zwei Stunden großzügig aber gut bemessenen Leinwandspektakels dominieren hollywood‘sche Katastrophenfilmklischees den Plot, der sich damit nicht selten fast der Lächerlichkeit preisgibt. Kameraschwenks und nur allzu heroisch dargebotene Dialogfetzen, einhergehend mit simpelsten Charakterzeichnungen erinnern bisweilen gar an die schwächeren Filme eines Michael Bay, was auch das hohe Aufkommen von penetrant platziertem Product Placement erklären würde. Leider fehlt es Colin Trevorrow an der notwendigen Leichtigkeit. Trotz vereinzelt augenzwinkernder Kommentare von Seiten seiner Figuren nimmt sich «Jurassic World» durchgehend ernst. Würde das Drehbuch den gesellschaftskritischen Ansatz aus dem Auftakt konsequent verfolgen, wäre dieser Tonfall auch gerechtfertigt. Doch spätestens mit dem über alle Maße kuriosen Schlussakt führen die Macher ihre Grundaussage endgültig ad absurdum. So muss Chris Pratt in den entscheidenden Momenten einfach über diverse Merkwürdigkeiten hinweg lächeln – denn spätestens, wenn er sich in bester Dinoflüsterer-Manier mit einer der schnuckeligen Riesenechsen anfreundet, wird selbst den größten Skeptikern für einen Moment das Herz aufgehen.
Fazit: Die Message, dass der Mensch nicht Gott spielen möge, ließe sich durchaus subtiler darbieten. Als weitestgehend kurzweilig inszenierte Popcorn-Action funktioniert «Jurassic World» allerdings immerhin so lange gut, bis die Macher ein Hollywoodklischee nach dem anderen abfeuern. Ab dann rutscht «Jurassic World» sukzessive in unterstes Blockbuster-Mittelmaß, was einem Nachfolger der «Jurassic Park»-Reihe nun wahrlich nicht würdig ist.
«Jurassic World» ist ab dem 11. Juni bundesweit in den Kinos zu sehen - auch in 3D!