Wie wichtig ist Stefan Raab im Jahr 2015 noch für ProSieben? Im zweiten Teil der Raab-Bilanz blicken wir auf den «ESC», die Enttäuschungen der vergangenen Jahre und ziehen ein Gesamt-Fazit.
Oft war in den letzten Wochen und Monaten von Unstimmigkeiten zwischen ProSieben und Stefan Raab zu hören, wobei sich die mediale Berichterstattung in diesem Zuge meist aus diversen Spekulationen zusammensetzte, die von offizieller Seite quasi reflexhaft dementiert wurden. Quotenmeter.de versucht sich im Zuge dessen und anlässlich der Sommerpause von «TV total» an einer Bilanz des Raab'schen Schaffens in der jüngeren Vergangenheit. Im zweiten Teil (
den ersten Teil vom Donnerstag können Sie bei Interesse hier nachlesen) blicken wir unter anderem auf eine ungewöhnliche Sender-Kooperation im Rahmen des «Eurovision Song Contests» und erinnern an die Flops und Enttäuschungen der vergangenen Jahre.
Sensationserfolg auf internationaler Bühne: Der «Eurovision Song Contest»
Während man sich inzwischen wieder an den obligatorischen Flop beim «ESC» gewöhnt hat, gab es zwischen 2010 und 2012 gleich drei Jahre hintereinander, in denen Deutschland die Top Ten erreichte. Die Verantwortlichen hierfür waren Lena Meyer-Landrut, Roman Lob und insbesondere Stefan Raab, der in einer beispiellosen Sender-Kooperation zwischen ProSieben und der ARD drei verschiedene Casting-Konzepte ausprobierte. Das erfolgreichste war ohne jede Frage «Unser Star für Oslo», das 2010 die gerade einmal 18 Jahre alte Lena entdeckte. Aber auch hinsichtlich der Einschaltquoten konnten die Beteiligten zufrieden sein: Die sechs bei ProSieben am Dienstagabend ausgestrahlten Folgen kamen im Schnitt auf einen Zielgruppen-Marktanteil von 13,4 Prozent bei deutlich über zwei Millionen Zuschauern, das Finale erreichte im Ersten gar grandiose 20,3 Prozent, viereinhalb Millionen Menschen konnten sich für das Format begeistern.
Diesem Erfolg lief Raab mit seinen beiden weiteren Show-Konzepten jedoch hinterher. Die große Lena-Songparade 2011 startete zwar mit 2,56 Millionen Zuschauern und 13,2 Prozent der Zielgruppe sehr ordentlich, hatte im zweiten Teil jedoch empfindliche Verluste zu verkraften und endete schließlich recht unspektakulär im Ersten. Mit Platz zehn sprang in Düsseldorf zwar abermals ein respektables Ergebnis heraus, doch kam das viel eher dem verantwortlichen Sender NDR zugute als ProSieben. Im (bisher) letzten Jahr der senderübergreifenden Kooperation sah es sogar richtig übel aus für die Unterföhringer: «Unser Star für Baku» begeisterte nur zum Auftakt mit starken 15,6 Prozent Marktanteil, die restlichen Folgen rangierten unterhalb des Senderschnitts, sodass alles in allem nur miese 9,9 Prozent heraussprangen. Auch Das Erste konnte mit den Quoten seiner beiden Folgen nicht zufrieden sein, wurde allerdings immerhin durch einen achten Platz in Aserbaidschan entschädigt.
Hier liegt auch der Knackpunkt, weshalb die Contest-Deals zwar für Raab und die ARD als volle Erfolge zu verbuchen sind, nicht aber uneingeschränkt für ProSieben. Mit Ausnahme von «Unser Star für Oslo» waren die als wochenlanger Vorentscheid fungierenden Casting-Shows keine Überflieger beim deutschen Publikum, was angesichts der erfolgreichen Künstler und der ungewöhnlichen Zusammenarbeit von öffentlich-rechtlichem und privatem Fernsehen ein wenig in Vergessenheit geraten ist. Vor allem das chaotische Voting-System, das letztlich Roman Lob für sich entschied, ließ überdies Zweifel an Raabs Spürsinn für gelungene Konzepte aufkommen.
Einstige Hits mit Abnutzungserscheinungen: Der «Bundesvision Song Contest» und die Pokernacht
Quotenentwicklung des «BuViSoCo»
- 2005-07: 2,58 Mio. (9,2% / 18,6%)
- 2008-10: 2,07 Mio. (8,4% / 16,5%)
- 2011-14: 1,43 Mio. (6,2% / 12,3%)
Durchschnittliche Werte im besagten Zeitraum.
Zu einem weiteren Problem-Projekt hat sich in den vergangenen Jahren der
«Bundesvision Song Contest» entwickelt. Im Vergleich zu den letzten beiden Contest-Castings, deren Grundidee bereits in gewissen Punkten defizitär war, fällt die Fehleranalyse hier allerdings weitaus schwerer, denn vom Grundsatz her hat Raab kaum ein Format geschaffen, das derart löblich und unterstützenswert ist wie der «BuViSoCo». Angeblich aus der Enttäuschung heraus kreiert, dass Max Mutzke 2004 in Istanbul "nur" den achten Platz erreichte, entwickelte man ein Konzept, das deutschen Musikern und Bands eine möglichst große Bühne zur Vorstellung ihrer Musik bieten sollte. Voraussetzung für eine Teilnahme war und ist, dass jeder der 16 vorgestellten Songs mindestens zur Hälfte in deutscher Sprache vorgetragen wird. Eine vergleichbare Veranstaltung gab und gibt es nicht - zumindest nicht für Künstler, die nicht bereit sind, sich in ein Casting-Korsett mit den damit einhergehenden Beschränkungen ihrer musikalischen Freiheit zwängen zu lassen.
Lange Zeit traf man mit diesem Wettstreit auch den Nerv der Masse, nach großartigen 21,2 Prozent Zielgruppen-Marktanteil im ersten Jahr (2005) folgten bis 2010 jährlich weitere Shows, die mit 15,0 bis 18,3 Prozent stets den großen finanziellen und organisatorischen Aufwand rechtfertigten, der für die Durchführung der Live-Veranstaltung nötig ist - schließlich werden im Vorfeld schon Künstler angeworben, etliche Radiostationen müssen als Kooperationspartner gewonnen werden, eine große Arena ist zu mieten, die hohen audiovisuellen Standards für eine adäquate Übertragung der Performances genügt, ein umfassendes Televoting ist technisch zu stemmen. Angesichts dessen waren die rund 1,3 Millionen Zuschauer in den Jahren 2012 und 2013 schlicht und einfach viel zu wenig, die zu gerade einmal noch durchschnittlichen 11,9 und 11,5 Prozent Zielgruppen-Marktanteil führten. Immerhin: Die Jubiläumsausgabe zehn gelangte im Vorjahr wieder auf etwas bessere 13,0 Prozent bei 1,44 Millionen.
Dennoch dürfte der «BuViSoCo» zu den wirtschaftlich unrentabelsten Projekten gehören, in die ProSieben derzeit investiert - und es ist davon auszugehen, dass der Sender dies nicht machen würde, stünde nicht Raab hinter dem Projekt und wäre es für ihn keine Herzensangelegenheit, die weit über seine tägliche «TV total»-Routine hinausreicht. Dafür legte sich der Entertainer zuletzt auch wieder etwas mehr ins Zeug, die oftmals etwas langatmigen Vorstellungsfilme durch gemeinsame Kurzauftritte mit den jeweiligen Künstlern etwas aufzufrischen. Das grundsätzliche wettbewerbsinterne Gerechtigkeitsproblem, dass sich sehr bekannte Acts wie Revolverheld, Seeed und Xavier Naidoo mit völligen Neulingen messen und letztere somit per se einen schwereren Stand haben, bleibt jedoch nach wie vor bestehen - und aus Angst vor weiteren Quotenverlusten wird sich der Sender kaum darauf einlassen, künftig auf eine reine Underdog-Parade umzustellen.
Von deutlich geringerer Relevanz war von vornherein schon die erstmals Mitte 2006 gezeigte
«Pokerstars.de-Nacht», der es viele Jahre lang glückte, vier bis sechs Mal im Jahr zumeist am späten Dienstagabend veritable Quoten-Erfolge zu erzielen. Erst seit gut zwei Jahren scheint sich die TV-Pokerrunde allmählich überholt zu haben, von den letzten 13 Folgen jedenfalls kam keine einzige mehr über einen Zielgruppen-Marktanteil von 12,3 Prozent hinaus. Nachdem im Dezember letzten Jahres nur noch zehn Prozent verzeichnet wurden, sahen sich die Programmverantwortlichen dazu veranlasst, das kleine Event vom Dienstag auf den Freitag zu legen - was sich zum Todesurteil der Show entwickeln könnte, denn mit 8,2 und 8,4 Prozent lief es hier schlecht wie nie zuvor. Allerdings scheint auch der Pokertrend in letzter Zeit wieder merklich abgeflaut zu sein, weshalb eine Einstellung oder zumindest eine etwas längere Auszeit für die Pokernacht wohl keine schlechte Idee wäre, bevor sie einen qualvollen Quoten-Tod stirbt. Dies würde auch Platz für kleinere Abend-Events machen, die nicht ergiebig genug für eine Primetime-Show sind - oder natürlich für weitere Wiederholungen von «The Big Bang Theory».
Die Flops: «Absolute Mehrheit», «Quizboxen» und «Prunksitzung»
Es ist keine Schande, als umtriebiger Show-Entwickler auch hin und wieder mal einen Misserfolg zu landen. Von diesem Recht machte Raab vor allem in den Jahren 2012 und 2013 Gebrauch, als gleich drei seiner Kreationen relativ unsanft landeten. Die größte mediale Aufmerksamkeit rief hierbei
«Absolute Mehrheit - Meinung muss sich wieder lohnen» hervor, ein Polit-Talk - und damit schon rein vom Genre her äußerst ungewöhnlich im Portfolio eines Privatsenders. Das markanteste Element der Sendung war ein Telefonvoting, in dem die Zuschauer darüber befinden sollten, wessen Argumentation sie für die profundeste und schlüssigste hielten. Sollte einer der Gesprächsgäste die "absolute Mehrheit", also über 50 Prozent der Stimmen, erreichen, bekam er einen Jackpot überreicht. Ein von vornherein für problematisch befundenes Konzept, lädt es doch eher zu populistischen Meinungsäußerungen ein. In den fünf regulären Ausgaben gelang es genau einem Gast, mit seiner Argumentation mehr als die Hälfte der Zuschauerstimmen zu generieren: Rapper Sido.
Damit hatte sich «Absolute Mehrheit» endgültig dem Spott des Bildungsbürgertums ausgesetzt, zumindest die Einschaltquoten rettete Sido aber zwischenzeitlich noch einmal. Nachdem Folge zwei nach einem Top-Start mit 18,3 Prozent auf dramatische 9,1 Prozent Zielgruppen-Marktanteil am umkämpfen späteren Sonntagabend zurückgefallen war, steigerte sich eben jene Sido-Folge ein letztes Mal auf überzeugende 13,3 Prozent. Es kam zu einer medialen Debatte, ob der Talk ein probates und legitimierbares Mittel ist, politische Inhalte ins Privatfernsehen zu hieven. Für ein Ende der Kontroversen sorgten dann im Mai 2013 die Fernsehzuschauer, indem sie Ausgabe fünf mit desaströsen 5,3 Prozent Marktanteil bei insgesamt nur 0,54 Millionen Zuschauern abstraften. Zwar wurde die Sendung Anfang September noch einmal anlässlich des TV-Duells zwischen Merkel und Steinbrück wiederbelebt, doch blieb es bei dieser einmaligen Rückkehr - die mit 8,1 Prozent auch nicht gerade eine herausragend starke Massentauglichkeit unter Beweis stellen konnte. Inzwischen ist es still um Raabs Ambitionen als Polit-Talker geworden.
Infos zum Schachboxen
Sportart, in der die Teilnehmer jeweils abwechselnd in Schach- und Boxrunden gegeneinander antreten. Die Idee war bei ihrer Entwicklung im Jahr 2003 zunächst als Kunstperformance gedacht, entwickelte sich jedoch schnell zum Wettkampfsport.Noch etwas kurzlebiger fiel das erstmals im Oktober 2012 gezeigte
«Quizboxen» aus, das sowohl körperliche als auch intellektuelle Fähigkeiten von Amateurboxern abverlangen wollte - und damit stark an das Schachboxen (siehe Infobox) erinnerte. Auch bei dieser Idee mangelte es nicht an einem grundsätzlichen Interesse, immerhin startete sie mit tollen 19,6 Prozent Zielgruppen-Marktanteil am späteren Donnerstagabend und erreichte auch im zweiten Anlauf einen guten Monat später immerhin noch 15,0 Prozent der 14- bis 49-Jährigen. Dass diese Werte im Anschluss an «The Voice» zustande kamen und in beiden Fällen mit deutlichen Verlusten gegenüber dem Casting-Hit einhergingen, trübte das Bild allerdings schon ein wenig. Eine Verschiebung auf den Dienstagabend ließ die Show mit nur noch 11,1 Prozent ins biederere Mittelmaß abrutschen, bevor letztlich eine weitere Verschiebung auf den wenig beliebten Freitagabend dem Format den Gnadenstoß gab. Im März 2013 fiel es hier um 22 Uhr auf desaströse 7,1 Prozent zurück, als dann zwei Monate später selbst nach 23 Uhr nur miese 9,2 Prozent zustande kamen, war das Ende besiegelt.
Im selben Jahr versuchte sich Raab dann auch noch daran, dem von ihm sehr geschätzten Brauch Karneval eine Bühne im Privatfernsehen zu verschaffen - die
«TV total Prunksitzung» wurde ins Leben gerufen, aber nach nur einer einzigen Ausgabe auch schon wieder verworfen. Zwar kamen beim Gesamtpublikum einigermaßen solide 5,7 Prozent bei 1,72 Millionen Zuschauern zustande, die 9,5 Prozent des jungen Publikums waren aber schlichtweg viel zu wenig, um das Event langfristig anzulehnen - zumal es
auch inhaltlich nicht gerade Bäume ausriss.
Fazit:
Das Momentum spricht wohl eher gegen als für Stefan Raab, da einerseits unter seinen jüngeren Konzepten kaum mehr ein Hit ausfindig zu machen war und er sich andererseits in den vergangenen beiden Jahren erstaunlich zurückhaltend bei der Produktion weiterer neuer Shows präsentierte. Dass ein so ergiebiger und visionärer Typ wie Raab nicht jede seiner Ideen gewinnbringend an das Massenpublikum herantragen kann, liegt in der Natur der Sache - nicht jeder Neustart ist ein «Schlag den Raab» und legt einen jahrelangen nationalen wie internationalen Siegeszug hin. Doch die erhöhte Flop-Quote in der jüngeren Vergangenheit gepaart mit einem offenbar nachlassenden Innovationseifer auf der anderen Seite lassen dann doch eine gewisse Sorge aufkommen, ob Raab allmählich die Ideen ausgehen könnten - oder die Ambitionen, gegen seine allmählich wohl einsetzende Altersmüdigkeit anzukämpfen.
Doch die Eingangsfrage dieses Zweiteilers war ja auch, wie wichtig der Tausendsassa noch für ProSieben ist - und selbst wenn man den Punkt Innovation streicht, lässt sich die Raab'sche Bedeutung für seinen Sender kaum hoch genug ansetzen. Ob für das biedere und selten glanzvolle Tagesgeschäft oder den schillernden Samstagabend: In Unterföhring hat man in den vergangenen Jahren zu wenig in Richtung Talentförderung unternommen, um für einen Weggang seines unbestrittenen Sendergesichts gerüstet zu sein. Man könnte fast sagen, dass sich der Eifer diesbezüglich weitgehend auf eine Etablierung von Joko und Klaas beschränkt, die allerdings noch weit davon entfernt sind, in Raabs Fußstapfen zu treten. Ihr «Circus HalliGalli» ist kein wirklicher Quotenrenner und dient mehr zur Erschließung eines jungen, gebildeten Publikums und bis auf das «Duell um die Welt» hat bis dato auch noch keines ihrer größeren Show-Projekte seine Primetime-Tauglichkeit nachhaltig unter Beweis stellen können.
Joko und Klaas: Könnten sie Stefan Raab ersetzen?
Es wäre also ein Fehler, Raab zum "alten Eisen" zu schieben, weil er augenscheinlich längst nicht mehr alle Projekte mit Feuereifer angeht und neue Hits aus seiner Feder nun schon etwas länger auf sich warten lassen. Gleichwohl deutet sich allmählich an, dass sich seine ganz große Zeit dem Ende entgegen neigt und ProSieben aus seinem kreativen Dornröschenschlaf erwachen sollte, in den es in Folge seiner Show-, Serien- und Film-Erfolge gefallen ist - schließlich sind diese Hits sehr monothematischer Natur und konstituieren sich zum Großteil aus dem bisher unantastbaren Raab (Shows) und den amerikanischen Comedy-Serien, von denen künftig nur noch «Die Simpsons» und «The Big Bang Theory» mit neuem Stoff zur Verfügung stehen. Sollte Raab nun also tatsächlich schon in wenigen Monaten nicht mehr für ProSieben arbeiten, wäre es ein harter Schlag für die Sendeanstalt, der in so kurzer Zeit kaum abzufedern wäre. Sehr realistisch erscheint jedoch, dass Raab künftig den Show-Sektor des Senders nicht mehr weiter alleine bedienen möchte und vielleicht auch kann - und das könnte für beide Seiten von Vorteil sein, da der Entertainer weniger langweilige Routine abzuspulen hätte und sein Sender mal ein wenig in die Hufen kommen müsste. Zumindest, wenn ProSieben kein ähnlich profilloses Konstrukt werden möchte wie Schwestersender Sat.1 in weiten Teilen seines Programms.