In Los Angeles wurden vor Kurzem die neuen Serien für die kommende Fernsehsaison den Programmeinkäufern aus aller Welt vorgestellt. Quotenmeter.de-Experte Markus Ruoff sprach stellvertretend mit ProSiebenSat.1-Einkäufer Rüdiger Böss, RTL-Einkäufer Jörg Graf, Sky-Programmchef Marcus Ammon und ZDF-Redakteur Sebastian Lückel über Trends, Enttäuschungen und persönliche Favoriten bei den diesjährigen Screenings aus Los Angeles.
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Nach der Sichtung aller Piloten. Wie war ihr Gesamteindruck? Waren die L.A. Screenings 2015 ein guter Jahrgang?
Rüdiger Böss: Generell gibt es nach wie vor sehr viele „serialized“ Dramen, also Serien, die eine fortlaufende Geschichte erzählen. Das ist sicherlich ein langfristiger Trend. Für uns gilt dabei, dass wir bei diesen Serien sehr genau überlegen, wie wir sie optimal programmieren können. Wir bieten unseren Zuschauern über Video-on-Demand-Angebote, die Catch-up-Funktion auf den Sender-Websites oder unsere 7TV App die Möglichkeit, die Folgen zeitunabhängig oder am Stück anzuschauen.
Jörg Graf: Der Gesamteindruck ist durchaus positiv, da die Studios nach wie vor auf hohem qualitativen Niveau produzieren. Wie Sie wissen, würden wir uns noch mehr klassische Serien mit abgeschlossener Handlung wünschen. Die gute Nachricht ist, dass Hollywood dieses Genre nicht völlig vergessen hat und es mit «Code Black», «Rush Hour» oder «Heartbreaker» durchaus solide Formate gab, die nicht ausschließlich horizontal erzählt sind.
Marcus Ammon: Vielfältig, abwechslungsreich, unterhaltsam. Wie jedes Jahr gibt es auch diesmal eine, wie ich finde, gesunde und kraftvolle Mischung aus allen genannten Bereichen, gewürzt mit einigen neuen, mutigen Ansätzen. Hollywood ist und bleibt ein Impulsgeber für kreative Ideen und Umsetzungen sowie für hochwertig produzierte Pilotfolgen.
Sebastian Lückel: Es war insgesamt ein durchwachsener Jahrgang, der zwar mit riesigen Überraschungen geizte, aber gleichzeitig einige vielversprechende Serien zeigte. Aber davon abgesehen sind und bleiben die L.A. Screenings durch die qualitative und genreübergreifende Vielzahl an Serien-Neuvorstellungen für jeden TV-Sender eine inspirierende und lohnende Reise.
Welche Serien haben Sie speziell für Ihre Sender gesucht?
Jörg Graf: Crime und Medicals im Procedural-Bereich sowie starke serialized Formate, die eine weibliche Zielgruppe ansprechen und für eine kompakte, zusammenhängende Programmierung bei VOX oder RTL geeignet sind.
Marcus Ammon: Bei Sky Atlantic HD richten wir uns an den hervorragenden Produktionen unseres Partners HBO aus: Was auf dem Sender kommt ist hochwertig, anspruchsvoll, unterhaltsam und überraschend. Auch in dieser Hinsicht haben die Screenings 2015 einiges zu bieten.
Sebastian Lückel: Wir suchen stets hochwertige Serien, die das Programmportfolio von ZDF und ZDFneo erweitern können. Interessant sind für uns vor allem US-Pay-TV-Serien, die für uns erreichbar sind, weil sie zum einen nicht zwangsläufig automatisch beim jeweiligen Output-Partner der Studios liegen und uns zum anderen durch ihre Qualität überzeugen können.
Welchen Trend haben Sie dieses Jahr beobachtet?
Rüdiger Böss: Wir haben in diesem Jahr viele Cop-Shows gesehen – das Besondere an ihnen ist, dass nicht klassisch der Polizist im Mittelpunkt steht, sondern ein Mensch, der dank außergewöhnlicher Fähigkeiten der Polizei hilft, Verbrechen aufzuklären. Zum Beispiel: «Minority Report» oder «The Frankenstein Code». Superhelden liegen weiterhin voll im Trend: Von Warner kommen beispielsweise «Supergirl», «Lucifer» und das «The Flash»-Spin-Off «DC‘s Legends of Tomorrow». Auch in Sachen Crime waren toll erzählte, neue Serien wie «The Family» oder «Quantico» dabei.
Jörg Graf: Auffällig ist sicherlich die gegenüber den Vorjahren extrem geringe Anzahl der Comedies. Während Sitcoms in den letzten Jahren bei allen Studios boomten, kann man die Halbstündiger in diesem Jahr an einer Hand abzählen. Bei den Serien hält der Trend der serialized shows an. Mir persönlich gefielen dabei durchweg die originären Ansätze besser als die auf bestehenden Shows oder Filmen basierenden Formate wie «Minority Report» oder «Limitless».
Marcus Ammon: Ein eindeutiger Trend war nicht zu erkennen, das Angebot der Studios war breitgefächert: verschiedenste Genres, teilweise wirklich beeindruckendes Storytelling und überzeugende Darstellern.
Sebastian Lückel: Filmadaptionen und Remakes von Serien gab es bei allen US-Studios zu sehen. Davon abgesehen: Die Procedurals kommen zurück, wenn auch nicht immer geradlinig erzählt, sondern gerne mit Zeitsprüngen gespickt. Ansonsten werden die Vorjahrestrends, also starke Frauen als Protagonistinnen, Thriller-Drama- und Superhelden-Serien, sowie "diversity", also kulturell vielfältig, im Cast, weitgehend fortgeführt. Eine kleine Renaissance bekommen Medical-Dramas, obwohl die vorgestellten drei neuen Serien «Chicago Med», «Heartbreaker» und «Code Black» sich erst noch beweisen müssen. Da scheint «Code Black» die erfolgsversprechendste neue Serie zu sein.
Welche Serien waren Ihre Favoriten bei den diesjährigen Screenings?
Rüdiger Böss: Aus meiner Sicht gab es in diesem Jahr zwei herausragende Serien: «Blindspot» von Warner ist eine visuell sensationelle Crime-Serie und «Code Black» ein starkes, schnell inszeniertes Krankenhaus-Drama, bei dem wahrscheinlich die Hälfte des Budgets in Kunstblut geflossen ist.
Jörg Graf: Persönlich hat mir «Billions» sehr gut gefallen und ich hätte gerne gleich weitere Episoden gesehen. Die Showtime-Serie ist sicherlich kein typisches Free-TV-Format wie wir es gerne hätten, Damien Lewis und Paul Giamatti zeigen aber Schauspiel auf höchstem Niveau und es ist eine Freude den beiden zuzusehen. Hinsichtlich breiter Zielgruppen empfand ich «Rush Hour» als sehr erfrischend, aber auch «The Catch» von Disney ist eine Serie mit guter Prämisse und qualitativ hochwertig umgesetzt.
Marcus Ammon: Persönlich haben mich «The Family», «Game of Silence», «Billions», «Blindspot», «Quantico» und «The Catch» am meisten beeindruckt, bei den Comedys «Life in Pieces» und «Baskets».
Sebastian Lückel: Beeindruckend waren die Crime-Thriller-Serien «Blindspot» und «Quantico», die durch schnelle Expositionen und gut eingeführte Figuren gleich Lust auf mehrere Folgen machten. Aber auch bei «Rush Hour», einer Serienadaption nach dem gleichnamigen Filmfranchise, fühlt man sich gleich gut aufgehoben. Der Pilot konnte durch junge Nachwuchsdarsteller, einer bereits erkennbaren guten Chemie im Cast und einen tollen Mix aus Gags und Action überraschen. Ebenso ist die neue Showtime-Serie «Billions» zu nennen, die einmal mehr beispielhaft für eine vielschichtig erzählte TV-Serie ist, die qualitativ Hollywoodspielfilmen in nichts nachsteht.
Was waren die positiven und/oder negativen Überraschungen bei den Screenings?
Rüdiger Böss: Gerade an «Blindspot» und «Code Black» sieht man, dass sich viele Studios einfach darauf verstehen, immer wieder neue Talente zu entdecken und Hauptrollen mit neuen, jungen Schauspielern zu besetzen. Weniger zufrieden bin ich leider nach wie vor mit dem Comedy-Angebot. Hier hat Hollywood weiterhin die Hausaufgaben nicht gemacht. Ich habe in diesem Jahr aber auch einiges Neues gesehen: «Crazy Ex-Girlfriend» hat zum Beispiel sehr lustige und aufwändig produzierte Musical-Einlagen. Und auch eine Horror-Comedy wie «Scream Queens» gab es so noch nicht. Ich glaube, dass die neue Serie des «Glee»-Erfinders Ryan Murphy gerade bei jungen Zuschauern richtig gut ankommen wird.
Jörg Graf: Der Level auf dem die meisten US-amerikanischen Serien produziert sind, ist nach wie vor sehr hoch. Cast, Inszenierung, Production Value sind bei den meisten Piloten auf sehr hohem Niveau. Aus der Sicht eines großen Senderns, der ein breites Publikum bedient, wären mir noch mehr klassische Krimiserien mit episodisch abgeschlossener Handlung lieb gewesen. Aber mit «Rush Hour», «Code Black» oder «Heartbreaker» zeigt sich, dass die Procedurals nach wie vor Teil der Serienlandschaft sind und auch hier frische, unterhaltende und spannende Shows möglich sind.
Marcus Ammon: Ich bin immer wieder beeindruckt, wie visuell aufwändig viele der Piloten sind, die ich sehen durfte. Der sogenannte production value bei Serien ist teilweise so hoch, dass sie aufwändigen Kinoproduktionen in nichts nachstehen.
Sebastian Lückel: Einmal mehr ist uns die Qualität der Produktionen positiv aufgefallen. Production Value, Inszenierungsstil und Cast sind fast ausnahmslos hochwertig. Kaum ein Pilot ist komplett misslungen, vielmehr sind selbst nicht vollends überzeugende Geschichten visuell ansprechend umgesetzt und somit auch gut konsumierbar. Negativ war sicherlich, dass es weniger zu lachen gab. Es wurden schlicht weniger Sitcoms produziert - was auch den Vorjahrestrend fortsetzt. Die vorgestellten Piloten konnten dann - mal abgesehen von den «Muppets», deren Comeback einige sicherlich sehr freuen wird - auch nicht den "einen Hit" innerhalb des Genres präsentieren.
Welche der neuen Serien können Sie sich für eine Ausstrahlung auf Ihren Sendern vorstellen?
Jörg Graf: Wir haben in L.A. lediglich die Piloten gesehen. Für eine Entscheidung über die konkrete Programmierung würde ich gerne weitere Folgen einiger Serien sehen.
Marcus Ammon: Lassen Sie sich überraschen!
Sebastian Lückel: Vorstellen können wir uns viel - aber ein paar kleine Geheimnisse muss der Mensch und auch eine Sendergruppe doch haben, oder?
Herzlichen Dank für das Interview!
Hier finden Sie noch unsere kurze Analyse zu den L.A. Screenings 2015.
Auf der folgenden Seite sind zur Übersicht alle neuen Network-Serien inklusive dem zugehörigen Studio aufgelistet
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