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Stand-Up-Comic-in-Chief

Einmal im Jahr muss der amerikanische Präsident als Stand-Up-Comedian auftreten. Man stelle sich diese Tradition einmal in Deutschland vor...

Stellen Sie sich mal vor, es ist Bundespresseball. Am Bankett sitzen unter anderem Anne Will, Josef Joffe, Jakob Augstein, Benjamin von Stuckrad-Barre, Sahra Wagenknecht und Frauke Petry.

Und dann hält Angela Merkel eine halbstündige Rede, die vor allem eines sein soll: Komisch. Sie reißt die herrlichsten Witze über die Unzulänglichkeiten ihrer politischen Gegner und die Fehltritte, Misserfolge und Skandale ihrer eigenen Regierung. Sie würde die Geheimdienstaffäre polemisieren, genauso wie die PKW-Maut und den Länderfinanzausgleich. AfD, Linke und FDP bekämen ordentlich ihr Fett weg – und im Publikum müssten alle brav mitlachen und zumindest so tun, als fänden sie das auch ganz lustig. Ja, sogar Sahra Wagenknecht und Frauke Petry.

Danach würde Oliver Welke oder Friedrich Küppersbusch die Bühne betreten und da ansetzen, wo die Bundeskanzlerin gerade aufgehört hat: Beim satirischen Zerlegen des Politbetriebs. Ein unvorstellbares Szenario? In Deutschland schon. In den USA findet genau sowas einmal im Jahr statt. Das nennt sich White House Correspondents‘ Dinner, wird landesweit bei C-SPAN übertragen und sieht so aus.

Obama ist nicht der erste Präsident, der das mit sich machen lässt. Die Veranstaltung hat eine lange Tradition, der sich auch komödiantisch weniger begabte amerikanische Staatschefs wie die Bushs während ihrer Amtszeiten gestellt haben. Ist man Commander-in-Chief, führt kein Weg daran vorbei, einmal im Jahr geröstet zu werden.

Noch schwerer haben es an diesen Abenden nur die auftretenden Comedians: Sollen sie – wie damals Stephen Colbert – die Ebene der augenzwinkernden Kumpanei verlassen und damit zumindest den unumschränkten Applaus des gegnerischen politischen Lagers abräumen? Oder sich – wie in diesem Jahr Cecily Strong – auf etwas weniger dezidierte Töne beschränken, damit aber Gefahr laufen, deutlich blasser als die rüberzukommen, denen kein Seitenhieb zu hart war?

Fragen, die wir uns in Deutschland nicht stellen müssen. Wir haben keine solche Veranstaltung. Obwohl sie es uns sicher ganz gut täte.
01.05.2015 12:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/77942
Julian Miller

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