Halb England schaute vor zwei Jahren hin, als der Mörder des jungen Danny Latimer gesucht wurde. Jetzt kommt der Krimihit «Broadchurch» zum ersten Mal ins deutsche Fernsehen. Wir sagen vorab, für wen sich das Einschalten lohnt.
Cast und Crew
- Erfinder: Chris Chibnall
- Regie: James Strong, Euros Lyn
- Darsteller: Olivia Colman, David Tennant u.a.
- Autoren: Chris Chibnall, Louise Fox
- Musik: Ólafur Arnalds
Ganz vorneweg: Mit «Sherlock» hat die neue ZDF-Serie «Broadchurch» nichts zu tun, außer dass sie aus Großbritannien stammt und im Krimigenre angesiedelt ist. Eher baut die Geschichte auf der Tradition des legendären «Twin Peaks» auf, sie erinnert auch an «True Detective», den amerikanischen Serienhit 2014. «Broadchurch» wurde in England ein Straßenfeger, mit zig Millionen Zuschauern. Jetzt kommt das UK-Phänomen nach Deutschland.
Die Serie spielt im gleichnamigen Dorf, in dem der Mord des jungen Danny Latimer ein Rätsel aufgibt: Eines Nachts, scheinbar unbemerkt, stürzt sich Danny von einer Küstenklippe. Der Zuschauer wird fast Zeuge des Sprungs, er sieht Danny in den ersten Seriensekunden am Abgrund der Klippe stehen. Bis die Blende und der Titelschriftzug eingeblendet werden und verhüllen, ob er wirklich springt. Am nächsten Morgen jedenfalls wird Danny tot am Strand aufgefunden, schnell stellt sich aber heraus: Der Junge ist nicht durch einen Sprung gestorben. Offenbar war er nicht einmal auf der Klippe. Es ist nur eines der vielen Rätsel, die sich um den Mord zu ranken beginnen. Die Kleinstadt in Südengland stürzt ins stille Chaos.
Das also ist die Ausgangslage der Serie, die doch stark an ihr offensichtliches Vorbild «Twin Peaks» erinnert: Verschrobene Charaktere, investigative Reporter, lose Charaktergeschichten, die später zusammenführen, immer wieder neue Verdächtige. Natürlich wird «Broadchurch» längst nicht so schräg wie der David-Lynch-Klassiker, es bleibt stets im Erklärbaren, im Rationalen verortet. Wie bei der Produktion von «Twin Peaks» wusste ein Großteil des Casts lange Zeit nicht, wer als Mörder von Danny im Drehbuch stand. So sollte sich die Spannung der Darsteller auf ihr Schauspiel übertragen. Die Szenen bei «Broadchurch» wurden meist nur einmal gedreht, nicht in zahlreichen Takes. Auch so wollte man Authentizität und einen dokumentarischen Stil herstellen. Gewissen inhaltliche Parallelen zu «True Detective» sind offensichtlich: Einer der beiden Polizisten kommt für die Ermittlungen neu nach Broadchurch, er besitzt – wie Rust Cohle – eine mysteriöse Vergangenheit. Neben den Charakteren erzählt der Schauplatz selbst seine eigene Geschichte. Die Atmosphäre spielt eine gewichtige Rolle. Gemeinsam ist den Serien auch der Aufbau: Der Mord steht am Anfang, es entspannt sich daraus ein „Whodunit“. «True Detective» bleibt dennoch deutlich philosophischer, es geht weniger um den Mord und dessen Aufklärung, sondern um die persönlichen Dämonen der Hauptdarsteller, die sie in ihrer Zusammenarbeit und bei den Ermittlungen entdecken. «True Detective» ist weniger Krimi, mehr Drama. Durch die partielle Erzählung in Rückblenden ist es deutlich innovativer als «Broadchurch». Genau wie «Twin Peaks».
In dieser Hinsicht ist «Broadchurch» sehr klassisch angelegt, eher wie ein Agatha-Christie-Krimi. Die Traditionalität des Formats ist in allen Belangen ihre große Schwäche: Nirgendwo traut sich «Broadchurch» etwas, die Handlungsentwicklung ist im gewissen Rahmen vorhersehbar. Selbst so mancher «Tatort» traut sich erzählerisch, stilistisch mehr. Wer im Genre bewandert ist und die oben genannten Formate wie «Twin Peaks» und Co. kennt, wird mit «Broadchurch» möglicherweise nicht warm. Die Serie fällt ein wenig aus der Zeit, Stilmittel jüngerer Qualitätsserien findet man vergebens. Dies heißt vor allem, dass man stark chronologisch erzählt und Ereignisse nicht ausspart, sondern alles vor die Linse bringt: Wie die Mutter ihren toten Danny am Strand identifiziert und in Tränen zusammenbricht, wie generell der Morgen für die Familie verläuft, an dem der grausame Mord bekannt wird – solche Dinge würden in ambitionierteren Erzählungen ausgespart. Gleiches gilt für die doch nüchterne Darstellung der Polizeiarbeit, außerdem fokussiert sich «Broadchurch» nicht auf die Ausarbeitung wichtiger, interessanter Charaktere. Alle bekommen ihre Screentime, und manchmal wird es selbst leicht soapig: Als Dannys Schulfreund vom Mord erfährt, löscht er plötzlich alle SMS und Dateien auf seinem PC, ohne Erklärung. Von solchen Szenen gibt es einige in «Broadchurch».
Trotz ihre gewissen Anachronistik steht die britische Serie für einen Trend im internationalen Fernsehen: den zu klassischen, langsam erzählten und düsteren Krimis. Damit steht man weniger in der Tradition von «True Detective» und «Sherlock», die in ihrer jeweiligen Art und Weise innovativ sind, sondern eher in der von «The Killing», «The Bridge» oder den ebenfalls britischen «The Fall» und «Top of the Lake». Freunde dieser komplexen, durchaus spannenden Kriminalgeschichten im Stile Agatha Christies können auch «Broadchurch» mit gutem Gewissen einschalten. Der Handlungsort erzeugt diese Gewisses-Etwas-Stimmung, die Atmosphäre schnürt sich beklemmend zu, damit steigt die Unterhaltung beim Zuschauer. Der Plot wartet mit genügend Wendungen und Entwicklungen auf, um die Zuschauer über mehrere Stunden bei der Stange zu halten – eben im vorhersehbaren Rahmen, den man von Whodunit-Krimis kennt.
Schauspielerisch agiert man auf hohem Niveau, das ist der größte Pluspunkt von «Broadchurch». Die beiden Ermittler Hardy (gespielt von David Tennant) und Miller (Olivia Colman) fungieren als reizbares Duo; jeder Charakter hat seine eigenen Stärken: Tennant interpretiert seine Rolle mit einer wunderbar nervigen Gleichgültigkeit, die aus der Hintergrundgeschichte des Ermittlers entsteht. Wahrer Star der Serie ist Olivia Colman, die sonst eher in Comedyserien auffiel. Ihre Rolle ist das Bindeglied zwischen Aufklärung und lokaler Verantwortung, denn Ermittlerin Miller ist sowohl diejenige, die die widrigen Umstände des Mordes professionell aufzuklären hat, als auch kennt sie jeden Verdächtigen, jeden potenziellen Mörder persönlich. Colmans Rolle changiert großartig zwischen emotional betroffener Dorfbewohnerin und nüchterner Ermittlerin.
Viel mehr charakterliche Ausarbeitung außer hier findet man jedoch nicht bei «Broadchurch», und auch das ist typisch für diese Art von Krimi, die zwar intelligent geschrieben, aber weder innovativ noch sonderlich tiefgängig ist. Kurz: Es ist vor allem die Atmosphäre, die erzeugte Stimmung, die beeindruckt. «Broadchurch» bitte einschalten und selbst urteilen. Auch Agatha-Christie-Geschichten sind heute noch spannend zu lesen.
«Broadchurch» ist ab Sonntag um 22.00 Uhr im ZDF zu sehen.
Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
24.04.2015 12:34 Uhr 1
24.04.2015 17:25 Uhr 2
Da ist das ZDF mal halbwegs mutig (wohl auch weil sie die Serie mitfinanziert haben), und dann kommt so eine qm-Kritik und gibt 50%. Komisch nur, dass die internationale Presse das anders gesehen hat, und Broadchurch einstimmig gepriesen hat. Aber QM wirds wohl besser wissen...
Wie der Autor der Serie fehlenden Tiefgang vorwerfen kann, ist mir unverständlich. Die Serie überzeugt schauspielerisch, inhaltlich, kinematograpisch und nicht zuletzt durch einen einmaligen Score, den der Autor wohl überhört hat, da er an keiner Stelle erwähnt wird. Dass lediglich die beiden Hauptdarsteller charakterlich ausgearbeitet sein sollen, ist einfach falsch. Klar kriegt man nicht zu jedem Charakter die komplette Hintergrundstory, das wäre wohl auch etwas zu viel. Aber Beth Latimer ist bspw. kein Stück weniger ausgearbeitet als Hardy und Miller.
Ich hoffe, dass die Quoten einigermaßen ok sein werden (wahrscheinlich leider eher nicht), und dass man in Zukunft öfters solche Serien zu sehen bekommt. Ansonsten kann sich das deutsche Publikum ja weiterhin am Tatort erfreuen, der - Zitat QM - "sich erzählerisch, stilistisch mehr" traut.
24.04.2015 18:54 Uhr 3
50% ist etwas tief gegriffen, aber wieso gerade diese (für GB Verhältnisse) durchschnittliche Krimikost derartig gefeiert wird, bleibt mir ein Rätsel. Habe auch fast komplett vergessen, was am Ende die Auflösung war, das spricht nicht gerade für den Fall.
Aber es soll ja auch Leute geben, die die letzten Staffeln Doctor Who noch SEHR gut finden. Von daher wird da wohl irgendwo der Fehler liegen.